Haus Schwarzenberg: Standhaft zwischen Bars und Boutiquen
Sie sind die Letzten hier. Um sie herum buhlt die neue Mitte am Hackeschen Markt mit Edelboutiquen und Galerien, Café-to-go-Ketten und Sushi-Bars um die Aufmerksamkeit von Touristen.Haus Schwarzenberg feiert sein 15-jähriges Bestehen.
Auch im zweiten Hinterhof der Rosenthaler Straße 39 ziehen die Touristenströme durch, um auf dem Fotohandy noch rasch das „echte“ Berlin mit nach Hause zu nehmen.
Das echte Berlin? „Vor 15 Jahren war hier fast alles möglich, zumindest glaubten wir das“, sagt sich Henryk Weiffenbach, Fotograf und Mitglied der 1983 gegründeten West-Berliner Künstlergruppe „Dead Chickens“. 1995 mietet die Gruppe mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden das leer stehende Haus von der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte, kurz WBM, rettet es in den Folgejahren vor dem drohenden Verfall und nennt es wie ihren neuen Verein: Schwarzenberg. Ein Name, der auf den gleichnamigen Roman von Stefan Heym zurückgeht, in dem die Geschichte einer basisdemokratischen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt wird.
Sitzt der 45-jährige Weiffenbach heute zusammen mit dem jüngsten Vereinsvorstandsmitglied Gudrun van Rissenbeck an einem Tisch vor dem ebenfalls 1995 gegründeten Club „Eschschloraque Rümschrümp”, sieht der schmale Hinterhof gar nicht so viel anders aus als damals: hohe unverputzte Wände, Graffiti und Grün, das aus Ecken und Nischen sprießt. Nur die Gerüste und Abdeckplanen sind neu. Denn zurzeit werden die Fassaden des Gebäudekomplexes, in dessen vorderem Teil das Central-Kino, das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt, eine Gedenkstätte Deutscher Widerstand und das Anne-Frank-Zentrum zu Hause sind, saniert. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diente das Haus unter anderem als Fabrik- und Wohngebäude, als Defa-Sitz und als Bürstenwerkstatt mit Versteck einer jüdischen Familie.
Doch ein Ort der Nostalgie war „Haus Schwarzenberg“ nie. Auch, wenn die Vereinsmitglieder nicht jeden Trend mitmachen. Pub-Crawling hat es hier – anders als im Tacheles – nur ein einziges Mal gegeben. Nach der einen Erfahrung mit betrunkenen Touristengruppen beschloss der Vereinsvorstand einvernehmlich: nie wieder. Mehr als 1000 Konzerte wurden bis heute im „Esch” gespielt, an die 100 Ausstellungen in der „Neurotitan Galerie“ gezeigt. Zurzeit stellt dort die bekannte Zeichnerinnen-Gruppe Spring Originale aus ihrer Kurzgeschichten-Anthologie aus. Die neun Ateliers des Hauses sind an Künstler unter anderem aus Australien, Israel, Japan und Schweden vermietet. „Ich sehe noch mehr Entwicklungspotenzial“, sagt Weiffenbach. Auch wenn der Mietvertrag nur bis 2015 läuft und die Vergangenheit bisweilen unsicher und turbulent war: Drei Versteigerungstermine brauchte es, bis die WBM das Haus 2004 erwerben und seine weitere Nutzung durch die eigenständig wirtschaftenden Künstler sichern konnte.
Am meisten gewandelt hat sich die Klientel des Hauses. Vor etwa zehn Jahren kam sie noch überwiegend aus dem Kiez, heute ist diese Besuchergruppe die kleinste. Dafür kommen Kunstinteressierte aus ganz Berlin und viele Touristen. Das ist ein Paradebeispiel für die Veränderung in der Spandauer Vorstadt, möchten Professoren mit ihren Studenten heute über Gentrifizierung sprechen. Geradezu „gruselig“ sei es mittlerweile in der Rosenthaler Straße, sagt die 33-jährige van Rissenbeck, seit vier Jahren im „Haus Schwarzenberg” aktiv. An die Zeit vor 15 Jahren erinnert in dieser schönen neuen Häuserwelt fast nichts mehr. Schicke Fassaden gab es damals in dem, von Weiffenbach „romantische Wüste“ genannten Niemandsland nicht. Sondern einen kleinen Park, eine alte Schusterwerkstatt, besetzte Häuser und Institutionen der Subkultur wie den berühmten Club „Eimer” in der Nummer 68.
Einen hat all der Wandel stets unberührt gelassen: den „Bloch“. Seit mehr als zehn Jahren steht der glubschäugige Riesenvogel aus Blech nun im Hinterhof und startet gegen ein kleines Entgelt unverdrossen seine tapferen Flugversuche. Unten im Kelleratelier treiben seit kurzem nach langer Abwesenheit auch wieder seine metallischen Freunde aus dem legendären „Monsterkabinett“ der „Dead Chickens“ ihr groteskes Wesen. Mit der glatten Schönheit rund um ihr neues Heim können die liebenswürdigen Kellermonster gar nicht mithalten. Aber sie schicken nach dem Atelierbesuch fröhlich lachende Menschen zurück ans Licht. Eva Kalwa
Das Jubiläumsprogramm „15 Jahre Haus Schwarzenberg“ geht noch bis zum 30. Oktober. Es gibt eine Ausstellung, Vorträge, Gesprächsrunden, Filme und Musik. Alle Infos auf www.haus-schwarzenberg.org oder unter Tel. 30872576.