Buchhandel: Wieland Giebel, der Stadtschreiber
Vor zehn Jahren eröffnete Wieland Giebel seine Buchhandlung Berlin Story. Aus dem Souvenirladen für Touristen wurde ein ansehnliches Verlagshaus.
Wer heute in die Buchhandlung „Berlin Story“ Unter den Linden 40 – direkt neben dem Café Einstein – kommt, wird sich wundern: Man kann hinter die Kulissen eines 500 Quadratmeter großen Buchladens schauen und dabei sein, wenn ein Buch entsteht. Eine Band spielt dazu, die aus Mitarbeitern der Buchhandlung besteht. Und am Ende des Rundgangs durch ein Geschäft, in dem Kunst und Krimskrams nah beieinander liegen, gibt es als Jubiläumsgeschenk ein 240 Seiten starkes Werk mit Auszügen jener 25 Bücher, die der eigene Verlag in diesem Jahr publiziert hat. Ein großer, blonder, meist freundlich lächelnder Herr mit einem eindrucksvollen Händedruck will seine Kunden begrüßen. Es ist der Chef Wieland Giebel, der heute vor zehn Jahren mit dem Verkauf von Berlin-Büchern begann, klein und unscheinbar im hinteren Teil einer Ausstellung von Stadtmodellen der Gesellschaft Historisches Berlin.
Das Haus, in dem zu DDR-Zeiten die französische Botschaft war und dessen Fassade von der einstigen „Linden“-Pracht erzählt, gehörte inzwischen der Bankgesellschaft, ein Nutzungsvertrag galt immer nur für 14 Tage. Giebel stürzte sich ins risikoreiche Vergnügen. Es konnte, sagt der 57-Jährige heute, nur gut gehen, weil viele Menschen die Ärmel hochkrempelten, Ausstellung und Laden auf die Beine stellten, mit Elan und Ausdauer ans Werk gingen.
„Die Berlin Story ist ein Kind des Interesses an dieser Stadt wie auch der Dynamik Berlins“, sagt der 1950 im thüringischen Schmalkalden geborene Jurist, der nie so etwas wie Buchhändler gelernt, sondern als Strahlenmesstechniker, Lagerarbeiter, Regionalplaner, Gabelstaplerfahrer und Entwicklungshelfer in Ruanda gearbeitet hatte. Bücher verkaufen war plötzlich eine neue Leidenschaft, und da der an Berlins Historie lebhaft interessierte Zeitgenosse spürte, dass das Interesse an der vielfach gebrochenen Geschichte Berlins riesig ist, beließ er es nicht beim Verkaufen, sondern schrieb und produzierte selbst, was viel verlangt wurde. „Ein interessantes Thema wird von einem Kunden vorgeschlagen, wir suchen einen Autor und überlegen uns, für wen das Buch gut sein könnte.“ So macht er „Nischenbücher“ mit Texten, die es seit vielen Jahren nur noch in Bibliotheken gibt, oder die Stadtgeschichte illustrieren wie „Kreuzberg und seine Gotteshäuser“ oder „Kaisers Kochbuch“ oder „Die Berliner Akzisemauer“. Niemand ist vor Wieland Giebel sicher.
Kaum wird rund um die einstige Petrikirche in Mitte gebuddelt – schon macht Giebel ein Buch. 25 im Jahr, alle 14 Tage eins. „Unsere Stärke sind Bücher, die es sonst kaum im Handel gibt“, sagt er. Die Ideen liefern Autoren, Museen oder Geschichtsvereine. Um sie präsentieren zu können, macht Giebel Kompromisse und verkauft T-Shirts, Zinnkrüge, Königsbüsten, Buddy-Bären oder Ampelmännchen. 1,4 Millionen Euro Umsatz 2007 meldet der Linden-Laden, der von sich sagen kann, 3000 verschiedene Titel über Berlin vorrätig zu haben und 29 Mitarbeiter zu beschäftigen. In den vergangenen zehn Jahren war das auf der touristischen Flaniermeile günstig gelegene Geschäft nicht einen Tag geschlossen.
Die Hälfte der Kundschaft bummelt touristisch Unter den Linden, fremdsprachige Berlin-Bücher machen einen großen Teil vom Umsatz aus, und auch Giebels selbst gedrehter Berlin-Film (in acht Sprachen) steht auf der Bestsellerliste des Geschäfts. Der läuft übrigens im Dauerbetrieb, „unsere Mitarbeiter können ihn im Chor auswendig mitsprechen“.
Giebels Hobby beschert der Stadt auch das Geschichtsfestival „Historiale“, bei der im nächsten Jahr auf dem Alex Barrikaden gebaut werden – die Märzrevolution von 1848 ist dann das Thema. Und so ziemlich alles, was der Buchhändler denkt, tut und plant, schreibt er nach Feierabend seit 2003 ins Internet. Da stehen mittlerweile 5000 Seiten in eigener Sache: Fortsetzung folgt. Lothar Heinke