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Die Kunstinstallation „Visions in Motion“ des US-amerikanischen Künstlers Patrick Shearn ist auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor zu sehen.
© dpa

30.000 Botschaften zum Mauerfall: Vorm Brandenburger Tor schwebt ein riesiger Teppich der Träume

Wünsche, Hoffnungen und Visionen: Patrick Shearn hat die Installation „Visions in Motion“ errichtet – aus beschrifteten Zetteln. Und es ist noch Platz für mehr.

Wer momentan dem Brandenburger Tor einen Besuch abstattet, wird sich vermutlich nicht viel mit der Sehenswürdigkeit auseinandersetzen – zu eindrucksvoll ist das monumentale bunte Kunstwerk, das die Straße des 17. Juni vor dem Tor einnimmt. Dort schwebt seit Freitag ein 150 Meter langer Teppich aus insgesamt 100.000 Bändern, von denen 30.000 mit kleinen Botschaften beschriftet sind.

Die Botschaften in der Kunstinstallation „Visions in Motion“ des aus Los Angeles stammenden Künstlers Patrick Shearn enthalten Wünsche, Forderungen, Hoffnungen und Visionen von vielen verschiedenen Menschen. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls wurden die Leute auch gefragt, welche Bedeutung das Thema Mauern und Grenzen für sie hat. Die Installation ist mit ihrer rechteckigen Form an die ehemaligen Mauer angelehnt, dabei aber durchlässig und ständig in Bewegung.

Die Stimmen der Menschen wurden auf der Straße, auf Festivals im Rahmen von Workshops, Veranstaltungen sowie Aktionen in Schulen und Kirchen eingeholt, sodass sich ein breites Spektrum an Meinungen aus der Gesellschaft zusammen getragen hat.

Unter dem Motto „Deine Vision im Himmel über Berlin“ haben die Verfassenden ihre Gedanken auf die bunten Bänder geschrieben, die anschließend innerhalb eines sechsmonatigen Schaffensprozesses an das kinetische Skynet angebracht wurden.

Das kinetische Skynet ist ein ultraleichtes Netz, das aufgrund seiner Beschaffenheit dafür sorgt, sich besonders dynamisch im Wind zu bewegen und für die Arbeiten von Patrick Shearn typisch: Vergleichbare Installationen wurden bereits in Lissabon, Peking und Miami gezeigt.

Es ist aber nicht vorgesehen, dass die Botschaften, die an dem Netz hängen, gelesen werden. Denn das Netz hängt, je nach den Windverhältnissen, zwischen 10 und 20 Metern hoch. Die einzige Möglichkeit, seine Botschaft in dem Zettelmeer zu finden: Man muss es mit einem Fernglas suchen.

Bevor das Netz am Freitagnachmittag in die Luft gezogen wurde, gab es noch eine letzte Möglichkeit, einen Blick auf die kleinen Botschaften zu werfen. Vielen Menschen liegt Humanität am Herzen: Baut keine Mauern, strebt nach einer vereinten Welt, Frieden und Gleichberechtigung, steht dort. Aber auch konkretere Nachrichten: Keine Autos in Innenstädten und kostenloser ÖPNV. Eine der Nachrichten, die Shearn am meisten bewegt hat, war die einer Mutter, die ihren Sohn verloren hatte: „Wo bist du,“ schrieb sie auf das Bändchen.

Parallel zu der Kunstinstallation bietet das Projekt, während der Laufzeit in der Festivalwoche, die Möglichkeit auf deren Homepage Botschaften digital abzugeben. Die werden nach und nach an den großen Globus projiziert, der sich zwischen der Installation und dem Brandenburger Tor befindet.

Das Projekt möchte die Menschen zusammenbringen

Die Projektleitung hat Kulturprojekte Berlin übernommen. „Wir haben Patrick Shearn und sein Kunstwerk für die Festivalwoche ausgewählt, weil das Besondere an seiner Kunst ist, dass sie im öffentlichen Raum aufgrund der Größe wirkt und sich gut einfügt“, sagt Projektleiterin Simone Leimbach.

Für den Künstler selbst war der Entstehungsprozess seines Werkes eine ganz besondere Erfahrung: „Die Arbeit mit den Menschen ist eine tolle Erfahrung für einen Künstler. Mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, ist für mich das größte“, schwärmt Shearn. Unabhängig von der persönlichen Erfahrung, hat Patrick selbst auch einen Wunsch: Er möchte die Menschen mit seiner Kunst zum Denken anregen.

Dazu sagt er: „Wenn wir uns alle besser kennen würden, dann würden wir uns gegenseitig nicht so viel Leid zufügen.“ Und genau das soll sein Projekt transportieren: Verschiedensten Menschen eine Stimme geben, diese sichtbar machen um dadurch den Menschen einen Einblick in die Wünsche, Hoffnungen und Visionen anderer zu geben.

Ein historischer Originalschauplatz

Das Kunstprojekt ist eines von sieben Projekten die an sieben verschiedenen Orten im Rahmen der Festivalwoche „30 Jahre Friedliche Revolution“ – Mauerfall, vom 04. bis zum 10. November gezeigt wird. Jeder Ausstellung ist ein historischer Originalschauplatz zugewiesen, die an Schlüsselereignisse beim Sturz des SED-Regimes erinnern sollen. Am frühen Abend des 9. Novembers wurde am Brandenburger Tor eher beiläufig eine neue Reiseregelung bekannt gegeben.

Eine Stunde später meldete das Westfernsehn in den Hauptnachrichten: „DDR öffnet Grenzen“. Daraufhin fanden sich die Ost-Berliner und Berlinerinnen an den innerstädtischen Grenzübergängen ein. Sie erzwangen die Öffnung der Mauer noch am selben Abend. Die Grenze, die Berlin, Deutschland und Europa teilte war nach 28 Jahren überwunden. Heute, 30 Jahre später, finden die Reflexionen zum Thema wieder an diesem Ort ihren Platz.

Carry-Ann Fuchs

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