Mehringhof-Theater: Schmale Sitze, weites Herz
Seit 25 Jahren führen Christian Luschtinetz und Andreas Wahl das Mehringhof-Theater: Kabarettisten wie Arnulf Rating, Horst Evers oder Fil wurden hier groß.
Neulich bei Horst Evers im Mehringhof-Theater. Ein Abend wie jeder andere: Am Eingang stehen Kartenabreißer und Brezelmann, ein Chef sitzt im Kassenhäuschen, einer steht hinter der Theke. Die Leute strömen, die Luft wird dick, die Chefs haben die Ruhe weg. Ziemlich kuschelig hier, quieken zwei Leute vorwurfsvoll auf, als sich ein Dicker dazwischen auf den leeren Sitz fallen lässt. Nein, am Sitzkomfort im Saal liegt es nicht, dass dieser Hort kabarettistischer Abendunterhaltung mehr als jeden zweiten Abend im Jahr ausverkauft ist.
Horst Evers, der „als Norddeutscher gern jeden Körperkontakt vermeidet“, wie er nach der Show mit dem Jever in der Hand sagt, wundert sich vorher auf der Bühne lautstark, dass der Laden inzwischen 25 Jahre alt ist.
Er hat hier 2004 seinen Solo-Durchbruch erlebt, spielt jedes Jahr einige ausverkaufte Wochen im Mehringhof-Theater und gehört zum ebenfalls immer ausgebuchten Jahresendzeitteam um Bov Bjerg und Manfred Maurenbrecher. Die Kulttruppe und zahlreiche illustre Gäste bestreiten auch das Jubiläumsprogramm „25 Jahre Mehringhof-Theater“. Nur Evers fehlt, wegen eines „lange geplanten Reiterurlaubs in Schottland“, wie er sich vor gackerndem Saal entschuldigt. Er mag den familiären Laden und seine „knorrigen, liebenswerten“ Chefs Christian Luschtinetz und Andreas Wahl.
Wenn die zwei wüssten, wie Arnulf Rating sie erst nennt. „Pat und Patachon der Berliner Kabarettlandschaft“ ist sein Kosename für die beiden, die mangels großem Personalstab bei jeder der jährlich 220 Vorstellungen gemeinsam im Theater hängen, ansonsten aber trotz unterschiedlicher Haartracht und Körperlänge null Ähnlichkeit mit Witzfiguren haben. Hausfreund Rating hat schon im Mehringhof, zweiter Hinterhof, eine Treppe, gespielt, als es noch CaDeWe – Cabarett des Westens – hieß. Am 1. April 1985 löste das Mehringhof-Theater hier das Szenekabarett als selbstständiger Mieter im fünf Jahre vorher gegründeten linken Kreuzberger Kollektiv Mehringhof ab. Seither sind durch Berlins unorthodoxesten Ort für politisches Kabarett 700 000 Besucher und 130 Künstler mit über 340 Programmen gezogen. Darunter Volker Pispers, der, obwohl er längst den Admiralspalast füllt, demnächst wie jedes Jahr im Mehringhof-Theater spielt, Hagen Rether, Marc-Uwe Kling, Kurt Krömer, Georg Schramm, Reiner Kröhnert, Dieter Nuhr, Josef Hader oder Rainald Grebe. Musikkabarett und Impro-Theater hielten Einzug und Comedyshows wie die von Fil und seinem Stoffhai Sharkey, auch zwei Newcomer, deren Karriere hier durchstartete. Fil und Arnulf Rating sind als Fans des Hauses natürlich Gäste im Jubiläumsprogramm.
Die beiden Patrone schafften es mit Charme und Konstanz immer wieder, zeitgemäße satirische Unterhaltung zu platzieren, sagt Rating. Und dann erzählt er eine Anekdote des Kollegen Matthias Deutschmann, der sich von einem älteren Bewunderer, der sich erkundigte, wo er zur Zeit spiele, den entsetzten Ausruf anhören musste: „Im Mehringhof-Theater? Nee, in den linken Laden gehe ich nicht rein!“
Damit haben die braven, bürgerlichen Anhänger von Horst Evers, die teils aus Teltow oder Hoppegarten angereist sind, ja nun gar kein Problem. Mit dem Gequetsche im Gestühl schon eher.
Früher waren die Sitze noch schmaler, grinsen die beiden Cheflakoniker, oder die Leute dünner. Maximal 250 Leute passen hinein, gespielt wird fünf Tage die Woche zu Eintrittspreisen von 10 bis 20 Euro. Christian Luschtinetz ist 54, und kam 1985 als abgebrochener Student und Kabarettist zum eigenen Theater. Andreas Wahl, 45 und Geograf, rutschte im Jahr darauf zufällig rein. Da war er noch mit Luschtinetz’ Schwester zusammen. Seitdem machen die beiden gemeinsam ihr Ding: Christian Bücher und Kasse, Andreas Bar und Technik, die Künstlerplanung und Betreuung teilen sie sich, ebenso Putzen und Aufräumen. Ohne Gewese oder das übliche Gegreine der von Zuschauerschwund gebeutelten Kleinkunstszene. Und natürlich mit Herzblut. „Der Job läuft gut“, sagen sie, und dass es spannend sei, immer neue Talente zu finden, die man groß machen könne. Auch wenn einige von ihnen später zu Häusern mit mehr Plätzen weiterzögen.
Kassenknüller wie Evers oder Pispers bezahlen sozusagen die Auftritte von Newcomern mit: Mischkalkulation á la Mehringhof. Was sie an den vergangenen 25 Jahren besonders freut? „Dass Wowereit nie gekommen ist und wir vor der Vorstellung keine Sponsorennamen runterbeten müssen.“
Die Veränderung des Genres von der Politanalyse hin zum Alltagsärgergenöle oder Quatsch zur Gitarre sehen sie gelassen. Nirgends Kulturpessimismus: „Alles, was live und mit der Hand gemacht wird, hat Zukunft“, sagt Luschtinetz. Und Wahl findet Kategorisieren eh nur anstrengend.
Christian und Andreas seien eben entspannt und nicht so verzweifelt wie andere Veranstalter, sagt Komiker Fil, der seit 1998 jedes Jahr sechs Wochen hier spielt. „Die betreuen dich, zahlen korrekt und kriegen keinen Anfall, wenn’s mal leer ist.“ Für ihn war das Mehringhof-Theater – „der am wenigsten nach Touristen gierende Laden der Stadt“ - sein Sprungbrett. Und dass, obwohl ihm zuerst die Politkabarettfans alten Schlages schon in der Pause wegliefen.
Ab und zu müsse man die Künstler halt streicheln, sagen Luschtinetz und Wahl. Das war’s auch schon an intimen Bekenntnissen aus der Theaterleiterwelt, mehr wäre viel zu indiskret. Ihr Wunsch zum Theaterjubiläum? „Die Rente sichern.“
Das spricht Horst Evers aus dem Herzen, der bis zum 70. Geburtstag jedes Jahr im Mehringhof-Theater auftreten will. Sein Wunsch für die Chefs? „Dass sie auch die nächsten 25 Jahre nie denken: Ach, scheiße, heute Abend muss ich wieder ins Theater.“
Mehringhof-Theater, Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg, Jubiläumsprogramm: 6. bis 17. April, www.mehringhoftheater.de
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