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© Kai-Uwe Heinrich

Videotheken: Sammler und Seher

Neben den großen Videotheken-Ketten mit ihrem Mainstream-Angebot gibt es in Berlin auch unabhängige Kultstätten der Filmkunst Ihr Angebot reicht von Klassikern bis Raritäten – attraktiv nicht nur für Kinosüchtige, die wieder kein Berlinale-Ticket ergattert haben.

Unter der gewölbten, fünf Meter hohen Stuckdecke hängt „Der Himmel über Berlin“. Wie ein guter Engel schwebt das Plakat von Wim Wenders’ Klassiker über den Regalen der „Filmgalerie 451“. Rund 18 000 Werke aus 100 Jahren Filmgeschichte umfasst das Sortiment der Videothek, die Silvio Neubauer vor acht Jahren in der Torstraße gegründet hat.

Mit nicht viel mehr als einem Rucksack voller VHS-Kassetten kam der studierte Architekt, der Mitglied in einem Uni-Filmclub war und in Stuttgart mit zwei Freunden die gleichnamige „Filmgalerie 451“ geführt hatte, nach Berlin. „Ich hatte sofort das Gefühl, dass hier in Mitte wegen der vielen Filminteressierten Potenzial für eine besondere Videothek vorhanden ist“, sagt Neubauer. Die Duldung seiner Sonntagsöffnungszeiten durch die Bezirksverwaltung und die schönen alten Räu me der alten Lokomotivfabrik Borsig mit ihrem Ruinen-Flair taten ein Übriges: Heute nutzen tausende Kunden aus allen Berliner Bezirken das neben den wichtigsten Neuerscheinungen vor allem auf Filmkunst, Klassiker und Raritäten ausgerichtete Programm. Unter den Nutzern sind viele Filmschaffende. So ist es nichts Besonderes, dass Hans-Christoph Blumenberg, dessen Film „Warten auf Angelina“ gerade in den Kinos lief, mal kurz auf einen Sprung vorbeischaut. Er suche einen der ganz frühen Filme mit Belmondo, sagt der Berliner Regisseur. Mit Hilfe eines Mitarbeiters, der selbst Filmstudent ist, wird er in den Regalen mit den Franzosen schnell fündig.

Aus der Nachfrage nach besonderen Filmen war schon in Stuttgart das unabhängige, heute in Berlin ansässige Video-Label „Filmgalerie 451“ entstanden. Es heißt wie die Videothek, wird aber von Neubauers früheren Partnern Irene von Alberti und Frieder Schlaich geführt. Die beiden haben sich auf Produktionen jenseits des Mainstreams spezialisiert, auf Klassiker des deutschen Films von Werner Schroeter oder Roland Klick genauso wie auf junges Kino von Robert Schwentke oder Angela Schanelec. Auch Tom Tykwers Filmdebüt von 1993 wurde hier veröffentlicht. „Die tödliche Maria“ sowie alle anderen „451“-Produktionen sind in Neubauers Videothek ausleihbar. Von einem Rückgang der Kundenzahlen durch Raubkopien oder legale und illegale Internetangebote merkt der 50-Jährige wenig: „Unsere feste Kundschaft schätzt unsere Vielfalt und die professionelle Beratung, und es kommen immer wieder neue Kunden dazu.“

Auch das Kreuzberger „Videodrom“ und die „Video Collection“ in Prenzlauer Berg, zwei weitere unabhängige Videotheken jenseits der großen Ketten, berichten von stabilen Kundenzahlen. Sie haben sich ebenfalls dem Verleih unabhängiger Filmkunst verschrieben. „Wir verstehen uns gar nicht als Kommerz-Videothek“, sagt Karsten Rodemann, der das „Videodrom“ in der Mittenwalder Straße seit rund 20 Jahren betreibt. Sein Geschäft lebe gleichermaßen vom Film-Enthusiasmus seines Personals wie seiner Kunden, denen er auch oft bei der Hilfe nach schwer erhältlichen Filmen behilflich ist. Jeder seiner Mitarbeiter hat mindestens ein cineastisches Spezialgebiet, in dem er intensiv beraten kann, Rodemann selbst hat sich auf Stummfilme spezialisiert.

Probleme gäbe es weniger mit rückläufigen Kundenzahlen als vielmehr mit dem zeitweise aggressiven Verdrängungswettbewerb durch neue Videotheken-Ketten, erzählt Andreas Michallik von der „Video Collection“ an der Schönhauser Allee. Sein aus rund 20 000 Titeln bestehendes Verleihprogramm richtet sich an Neugierige genauso wie an fachkundige Cineasten. Es gibt lange Regale mit den „100 Regisseuren“, nach Produktionsländern sortierte Reihen und wechselnde Themenwände mit Titeln wie „Der europäische Untergrund“ oder „Palästina“. Neben DVD-Geräten kann man sich wegen der vielen älteren, noch nicht auf DVD erschienenen Titel auch VHS-Rekorder ausleihen. Und noch ein besonderer Service lockt: Im Gegensatz zu fast allen anderen Videotheken haben hier auch Besucher aus anderen deutschen Städten und dem Ausland eine Chance, sie leihen gegen Kaution. „Die Befürchtung einiger Verleiher, dass diese Kunden Filme seltener zurückbringen, teile ich nicht“, sagt Michallik, das Gegenteil sei der Fall. Wer bei der Jagd auf die begehrten Berlinale-Karten leer ausgeht, kann hier also auch ohne festen Wohnsitz in Berlin uneingeschränkt seiner Filmleidenschaft nachgehen. Und das, ohne lange anzustehen.

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