zum Hauptinhalt
Der Akrobat ist in der von Eike von Stuckenbrock entwickelten Show „Dummy“ ab heute im Chamäleon zu sehen.
© promo

Eike von Stuckenbrock: Nur nicht still sitzen

Eike von Stuckenbrok war ein hyperaktives Kind. Deshalb wurde er Artist – und jetzt auch noch Regisseur. In Westdeutschland wurde seine Varietéshow aufgeführt und als "sehr Berlin" gelobt.

Was soll einer machen, der von Haus aus hibbelig ist? Der nicht still sitzen mag, der zwei Stufen auf einmal nimmt. Morgens Bäume ausreißen, mittags Wände hochrennen, abends Straßenlaternen austreten? Eike von Stuckenbrok hat sich für nichts davon entschieden. Oder für alles auf einmal. Er ist Artist geworden. Und neuerdings auch Regisseur. „Dummy“ heißt die von ihm inszenierte Varietéshow, die am heutigen Donnerstag im Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen Berlin-Premiere feiert.

Unterstützt hat ihn der Regisseur Markus Pabst, der mit seiner Kreuzberger Artistenplattform Base Berlin Showkonzepte entwickelt, die international erfolgreich laufen. Die beiden arbeiten schon lange zusammen. Obwohl „lange“ seltsam klingt, wenn ein Typ wie Eike von Stuckenbrok vor einem sitzt. So jung, so schmal wie er ist. Doch das täuscht: Körperkünstler fangen früh an. Schon mit 14 ist der gebürtige Bremer, der am Beetzsee in Brandenburg aufgewachsen ist, nach Berlin gezogen, um auf der Staatlichen Artistenschule zu trainieren. Und auf der Showbühne des Wintergartens, des Sydney Opera House, im Royal Variety der britischen Queen oder jetzt im Chamäleon ist gut zu sehen, was aus Stuckenbrok seither geworden ist – Muskeln, Ausdruck und Willen. Sein Steckbrief: 23 Jahre, 1,80 Meter, 60 bis 65 Kilo. Das schwankt, sagt er, „je nachdem, wie kurz die Nacht ist“. Wie, kurze Nacht? Stuckenbrok ist Handstand- und Pole-Akrobat. Vor zwei Jahren hat er beim Pariser Festival „Cirque de Demain“ eine der begehrten Medaillen gewonnen. Da muss man doch diszipliniert sein wie ein Hochleistungssportler. Nee, schüttelt er den Kopf. Die Leistung auf der Bühne müsse stimmen, klar, „das setze ich mal voraus.“ Aber nach der Show feiern oder neue Ideen proben – das ginge häufiger die ganze Nacht. „Früher waren wir ja das fahrende Volk, die Freaks, und ich erwarte gerade von dieser Szene, dass wir das immer noch ein bisschen sind.“

Nicht zu verwechseln mit Retro-Varieté, mit Nostalgieshow. Sowas mag er nicht. Statt plüschiger Requisiten setzt er er bei „Dummy“ auf digitale Deko mittels des Computerprogramms „Calypso“. Das sind interaktive Projektionen des Videokünstlers Frieder Weiss, die wie abstrakte Lichtreflexe der menschlichen Bewegung folgen. Und er mag das Subkultur-Ding. An der Spree, in Friedrichshain. „Ich bin Generation Bar 25“, zitiert er das prägende Gemeinschaftsgefühl des 2010 verblichenen Clubs, aus dem auch der Sänger und Producer Reecode stammt, der die Musik zu „Dummy“ geschrieben hat. Da ist es nur folgerichtig, dass Stuckenbrok jetzt zusammen mit Markus Pabst Genosse des Nachfolgeprojekts Holzmarkt ist, wo sie eine Probenhalle auf dem geplanten Gastro-, Wohn- und Kulturgelände beziehen wollen.

"Ich bin jetzt halbwegs ausgelastet"

Bewegungsdrang. Eike von Stuckenbrok lebt lieber in der Luft als auf dem Boden.
Bewegungsdrang. Eike von Stuckenbrok lebt lieber in der Luft als auf dem Boden.
© Thilo Rückeis

Akrobaten kannte er als Kind nur aus dem Zirkus, erzählt der Sohn eines Architekten und einer Lehrerin. Die Artistenschule schlugen die Eltern ihrem hyperaktiven Sprössling vor. Dass er sich dort körperlich austoben konnte, gefiel ihm sofort, nicht aber die Trennung der Disziplinen Artistik, Tanz und Schauspiel. Aber dann habe er interessante Shows gesehen, etwa in Frankreich, wo Varieté eine extreme Subkultur sei, und in vier Jahren Ausbildung festgestellt, dass das Unterhaltungsgenre mit dem piefigen Ruf mehr ist als nur Glitzerkostüm und Spagat. „Man kann damit Geschichten erzählen.“

Bei „Dummy“ sieht Erzählen so aus, dass sich die sechs Artisten nicht nur auf einer schiefen Ebene oder an Pole-Stangen oder Hula-Hoop-Reifen abarbeiten, sondern an den titelgebenden Schaufensterpuppen. Das sei Unterhaltung aber auch ein Stück Reflektion, sagt Stuckenbrok. So nach dem Motto: sind wir nur stumpfe Puppen oder eigenständige Individuen? „ Wir leben wir in einer Afterhour der Menschheit. Fast alles ist erfunden, ist erforscht, trotzdem wissen wir fast nichts.“ Oha, der Körperkünstler als Kulturpessimist. Dabei ist Eike von Stuckenbrok selbst fein raus: Er weiß wenigstens, wie er nur mit dem Einsatz seiner Hände eine Stange hochklettert und oben angekommen den Körper rechtwinklig wie eine Art Fahne versteift.

Im Westen der Republik übrigens, wo „Dummy“ bereits in den Häusern der GOP-Varietétheaterkette lief, ist die Show gut angekommen. Die „Münstersche Zeitung“ etwa findet die von einer Cellistin und dem verwitterten Nachtschattengewächs Reecode musikalisch untermalte Show innovativ und „sehr Berlin“. Eike von Stuckenbrok ist schnurz, was das wohl heißen mag. „Vielleicht meinen die Reecodes verpeilten melancholischen Elektrosound“, mutmaßt er. Der sei zeitlos retro und sehr berlinisch.

Seine eher zufällige Berufswahl jedenfalls hat sich als segensreich erwiesen. An sechs Tagen die Woche turnen, das schafft jeden Zappelphilipp. Oder wie er sagt: „Ich bin jetzt halbwegs ausgelastet.“ Sein nächstes Projekt ist allerdings ein Theaterstück. Nonverbal? „Nee, schon mit Worten.“ Gefährlicher Plan. Zu viel Gequatsche verschärft den Bewegungsdrang.

Chamäleon, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte, bis 21. Juli, Di-Fr 20 Uhr, Sa 19 u. 22.15 Uhr, So 19 Uhr, Tickets ab 36 Euro.

Gunda Bartels

Zur Startseite