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© dpa

Interview: Mireille Mathieu: Bisou, mon Berlin

Wenn Mireille Mathieu sagt: "Ich liebe diese Stadt" – dann ist das mehr als ein Lippenbekenntnis. Alle ihre deutschsprachigen Alben wurden in der Hauptstadt aufgenommen.

Ein Raum, eingerichtet in klassisch-zeitlosem Stil: Gestreifte Tapeten, dezente Beleuchtung, knisterndes Kaminfeuer. Da kann man schnell vergessen, dass draußen gerade ziemlich scheußlicher Nieselregen gegen die Fassade des Ritz Carlton am Potsdamer Platz tröpfelt. Mireille Mathieu sitzt auf der Couch: Eine freundliche, offenherzige Frau von 63 Jahren mit hellwachen Augen, die legendäre Topffrisur unverändert wie eh und je. Ihre schwarzen Haare schimmern im Schein der Zimmerlampe.

Eigentlich eine behagliche Atmosphäre, aber Nervosität liegt trotzdem in der Luft. Die französische Sängerin muss viele Interviews führen, Schlag auf Schlag geht es, sie ist nur einen Tag in Berlin. Am Donnerstag schon reist sie weiter nach Magdeburg für einen Auftritt in der Sendung von Carmen Nebel. Sie ist in Deutschland, um ihr neues Album „Nah bei dir“ vorzustellen, das am 30. Oktober erscheint. Im Frühjahr 2010 wird sie damit auf Tournee in Deutschland und Österreich gehen, in Berlin tritt sie am 14. Mai im ICC auf.

Eigentlich sollte das alles eine routinierte Angelegenheit für sie sein. Nächstes Jahr feiert Mireille Mathieu ihr 45-jähriges Bühnenjubiläum. Über 80 Alben hat sie in dieser Zeit veröffentlicht, viele davon auf Deutsch. Aber von Routine kann trotzdem keine Rede sein: „Das Lampenfieber“ – sie spricht französisch, das deutsche Wort buchstabiert sie aber mit großer Hingabe aus – „wird mit den Jahren größer, nicht kleiner. Ich denke mir: Wird das Publikum meine Lieder noch lieben?“ Aber das habe auch etwas Gutes: „Meine Musik behält dadurch ihre Emotionen, ihre Gefühle.“ Sie spricht fest und selbstbewusst, mit diesem stählernen Kern in der Stimme, der auch auf der Bühne dafür sorgt, dass die kleine Frau über sich selbst hinauswächst.

In Berlin sei sie schon sehr oft gewesen, erzählt sie, alle ihre deutschsprachigen Alben sind hier aufgenommen worden: „Ich liebe Berlin“ – dabei benutzt sie nicht nur das einfache „j’aime“, sondern das stärkere „j’adore“ und gerät auch sonst ins Schwärmen: „Très spéciale“ sei die Stadt, „mystérieuse“, anders als andere deutsche Städte, und das schon immer, nicht erst seit dem Mauerfall. Man möchte es ihr gerne glauben, trotz des Nieselregens, der die ganze Stadt in ein Einheitsgrau taucht.

Mireille Mathieu singt Lieder in vielen anderen Sprachen, sogar Finnisch und Chinesisch waren darunter. Aber keine Sprache ist – nach ihrer Muttersprache – für ihre Karriere so bedeutend geworden wie die deutsche. Hat sie das Gefühl, dass ihr deutsches Publikum immer die gleichen Klischees von ihr erwartet? Immerhin nennt man sie nur hierzulande, in Anlehnung an Edith Piaf, den „Spatz von Avignon“, in Frankreich heißt sie dagegen „demoiselle d’Avignon“ (Die Jungfrau von Avignon). Muss es in ihren deutschen Liedern immer um Paris gehen und um die Liebe? „Zu Beginn meiner Karriere habe ich nur auf Französisch gesungen“, erzählt sie, „dann wurden mir die deutschen Lieder auf den Leib geschrieben. Damals habe ich die Klischees sicher erfüllt.“ Inzwischen allerdings habe sie nicht mehr das Gefühl, in ein bestimmtes Muster passen zu müssen.

Trotzdem dreht sich natürlich auch das neue Album vor allem um eine Sache. Die Lieder – darunter erstmals zwei von ihr selbst geschriebene – tragen Titel wie „Liebe lebt“, „Und immer wieder Zärtlichkeit“ oder „C’est l’amour“. Bestimmten Zuschreibungen entkommt man eben nicht so einfach. Und das, obwohl Mireille Mathieu eigentlich gar nicht verheiratet ist und deshalb auch nicht mit „Madame“, sondern mit „Mademoiselle“ angeredet werden möchte. Aber das ist vielleicht auch gut so. Wenn sie verheiratet wäre – wer weiß, ob sie noch so schön über die Liebe singen könnte.

 Udo Badelt

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