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Voll dabei? Im Publikum des Palast der Republik saßen nur FDJler.
© Imago

Lindenbergs DDR-Konzert: Johnny Controlletti an der Grenze

Am 25. Oktober 1983 trat Udo Lindenberg im Palast der Republik auf. Tagesspiegel-Redakteure erinnern sich an den Tag, an dem der West-Rocker dann doch nicht den "Sonderzug nach Pankow" sang.

„Zu Udo Lindenberg? Wirklich zu Udo Lindenberg?“ Die Leiterin der Redaktion „Innenpolitik“ im ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) gab die Akkreditierungskarten dem damaligen Jungredakteur, der sein Glück gar nicht fassen konnte, lächelnd weiter. „Na ja, der Herr Lindenberg hat da nur ein Auftritt im ‚Rock für den Frieden’. Ist doch schön, dass er kommt.“ Die Dame um die 50 schlug einen roten Aktendeckel mit der Aufschrift „Angebote“ auf und holte einen mit der Schreibmaschine fehlerlos geschriebenen Text hervor. „Steht alles drin und ist abgesegnet. Sie müssen nur noch anrufen, dass alles wie beschrieben  gelaufen ist.“ 

Beim kurzen Überfliegen des Papiers stellte sich heraus, dass in dem halbseitigen Text Udo Lindenberg nur als einer unter mehreren auftretenden Künstlern erwähnt wurde. Sinngemäß drehte sich die von der höchsten Agitationsstelle der Partei abgesegnete Fassung in erster Linie um den „Beitrag internationaler Künstler für die Sicherung des Friedens“ und um eine „Manifestation der FDJ“. Den Text hatten Redakteure schon mit der berüchtigten „Schere im Kopf“ verfasst, um den Segen der höchsten Parteikontrolleure für die Formulierungen zu erhalten. Der so genannte Angebotsjournalismus trieb in den achtziger Jahren seltsame Blüten.

Mit ein wenig Herzklopfen machte ich mich also auf den kurzen Weg vom ADN-Gebäude in der Mollstraße zum Palast der Republik. Dort spielte sich eine der vielen skurrilen Szenen in der damaligen Zeit ab. Junge Menschen im blauen FDJ-Hemd, die die Karte über ihre Schul-, Universitäts- oder Betriebsleitung erhalten hatten, strömten ganz geordnet und lautlos in den Saal,  während die wahren Fans „Udo! Udo“ skandierten und von der Polizei im Schach gehalten wurden. 

Das Konzert lief dann wie im vorbereiteten Text ab. Die Namen der anderen Künstler und Gruppen sind inzwischen fast alle in Vergessenheit geraten. Nur der Auftritt des US-Sängers Harry Belafonte hat sich tief ins Gedächtnis eingeprägt. Nach gut einer Stunde sang Udo Lindenberg vier Titel, die die Zuschauer im Saal durchaus begeisterten. Der Beifall lag zwar meilenweit von einer Ekstase entfernt, aber so war es halt damals. Die wahren Fans hätten ganz anderes reagiert. 

Ich griff dann doch noch zum Kugelschreiber und schrieb die später berühmten Worte von Udo auf:  „In der BRD und in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine Rakete sehen. Keine Pershings und keine SS-20.“ Ich ging zum öffentlichen Münzfernsprecher, wählte die Nummer des zuständigen Chefs vom Dienst im ADN und gab den Text vom „Konzert im Palast der Republik“ frei. Der Mann notierte sich Udos Äußerung und fügte aber gleich die Einschränkung hinzu, wonach er „jetzt bestimmt keine Freigabe dafür mehr bekommen würde“. ADN sendete den Text am Abend genauso, wie er am Vormittag schon formuliert und bis ins kleinste Detail abgestimmt worden war. Claus-Dieter Steyer

Ermahnung von der Schwester

Udo Lindenberg hatte sich seinen Auftritt in der DDR anders vorgestellt.
Udo Lindenberg hatte sich seinen Auftritt in der DDR anders vorgestellt.
© Imago

Das berühmte Konzert in Ostberlin habe ich nicht erlebt. Denn damals war ich erst fünf und wohnte mit meiner Familie in Ostsachsen. "Bezirk Dresden", sagte man damals. Das entsprach geografisch etwa dem "Tal der Ahnungslosen". Wir hatten kein Westfernsehen oder -radio, aber einige Kassetten mit Musik, die meine Tante aus der Nähe von Karl-Marx-Stadt im Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten hatte. 

Auf einer dieser Kassetten war auch der "Sonderzug nach Pankow", den ich bald mitsingen konnte.

Als meine ältere Schwester irgendwann Mitte der Achtziger mit Freunden ihren Geburtstag feierte, wollte ich - wie das jüngere Brüder bei solchen Gelegenheiten gern tun - ein bisschen auftrumpfen und machte den Udo. Drei, vier Zeilen habe ich wohl geschafft zu singen, dann nahm mich meine Schwester erbost zur Seite und fragte, ob ich meine Eltern ins Gefängnis bringen wolle.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen und richtig Angst, für mehrere Tage. Erst danach war ich einigermaßen sicher, dass meine Einlage keine Folgen haben würde. Seitdem habe ich das Lied nicht mehr gesungen, auch nicht nach dem Mauerfall. Weil ich den Kerl mit Hut und Sonnenbrille einfach uncool fand. Ralf Nestler

Johnny Controlletti an der Grenze

Die geplante Tournee sagten die DDR-Oberen später ab.
Die geplante Tournee sagten die DDR-Oberen später ab.
© Imago

Heute kann ich sagen, wir haben einigen DDR-Bürgern womöglich schon lange, bevor es losging, Appetit gemacht auf das Konzert. Damals war das, als wir, die Freunde und ich, in viel zu vollen und viel zu klapprigen alten VWs immer mal wieder aus der westdeutschen Universitätsstadt nach West-Berlin fuhren, um Kultur zu tanken und in echten Kneipen abzuhängen.

Wie monströs die gigantischen Grenzanlagen waren, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Schon lange vor Helmstedt musste Udo in den Kassettenrekorder. Und wenn wir uns dann den tatsächlichen Grenzern näherten, hatten wir schon „Johnny Controletti“ vorbereitet zum Abspielen.

Die Ballade von der Mafia, die Udo zum Superstar machen will, passte inhaltlich zwar nicht so ganz. Aber der Refrain war inmitten dieser ganzen Wachtürme und Barrieren und Autoschlangen einfach zu bestechend: „Und dann reicht er mir das Glas, das volle/ und sagt: Alles unter Kontrolle“.

Und wie haben Sie das Konzert erlebt? Welche Erinnerungen haben Sie an Udo Lindenberg? Nutzen Sie die Kommentarfunktion unter diesem Artikel, um ihre Erlebnisse zu schildern und mit anderen Usern zu diskutieren.

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