Lesung: Im Milieu von Zille und Dutschke
Alte Kneipe, gute Storys: Lesung im „Hoeck 1892“
Matthias Gerschwitz redet gern in Sprüchen über das Leben: „Du kommst als Fremder und gehst als Freund“, sagt er über seine Wahlheimat Berlin. Wobei Berlin für ihn vor allem Charlottenburg bedeutet. Und Charlottenburg ist für ihn das „Wilhelm Hoeck 1892“, seine Stammkneipe. Eine Institution, findet Gerschwitz. Hier gibt es Leber mit Äpfeln für 6,90. Die Fassbrause kommt aus dem Fass, das Bier nennt man Molle. Ende vorigen Jahres hat Gerschwitz im Eigenverlag ein Buch über das Hoeck veröffentlicht. „Molle und Medaillen“ heißt es und handelt von den Anekdoten, die sich in 116 Jahren im Hoeck abgelagert haben.
1892 gründete Wilhelm Hoeck die Kneipe, „Destillation und Liquerfabrikation“ inklusive. Viele Arbeiter schickten damals ihre Jungs abends mit dem Krug ins Hoeck, zum Bierholen. „Manche ältere Gäste wurden schon als Kind an die Kneipe gewöhnt“, sagt Gerschwitz.
Heinrich Zille, der Zeichner der kleinen Leute, hat um 1910 im Hoeck nach Motiven gesucht. „Das Bild ,Schnapsdestille‘ zeigt eigentlich das Hoeck“, sagt Gerschwitz und zeigt auf die Zeichnung. Stimmt: die Holzvertäfelung, die Uhr, die Flaschen – alles wie im Wilhelm Hoeck 1892. Nur die Gäste lassen die Köpfe nicht so tief hängen wie einst bei Zille. 1933 stirbt Hoeck, sein Sohn Horst übernimmt die Kneipe. Und Berlin verliert einen großen Ruderer an die Theke, denn im Jahr zuvor hatte Horst Hoeck bei den Olympischen Spielen in Los Angeles die Goldmedaille gewonnen. Im Zweiten Weltkrieg landeten Querschläger in der Theke. Sie stecken immer noch dort – es verändert sich eben nicht viel im Hoeck.
Erst nach dem Krieg, schreibt Gerschwitz, wurde die Alt-Berliner Kneipe so richtig alt. Denn inmitten der vielen Neubauten blieb hier alles, wie es war. Nur die Gäste änderten sich, in den 1960ern kamen viele Studenten. Der Legende nach diskutierten und tranken sie viel und oft. Bier, aber auch Tee. Rudi Dutschke soll einen Teebeutel an die Decke geschmissen haben. Der klebt noch immer dort. Konserviert vom Zigarettenrauch, genauso dunkel wie die Decke. „Früher war die Decke weiß“, sagt Gerschwitz. „Wenn hier nicht mehr geraucht werden darf, dann fällt einem bald die ganze Patina auf den Kopf.“ Samt Teebeutel wäre das wohl eine Veränderung zu viel. Das Rauchverbot war schon Neuerung genug. Genau wie der Latte Macchiato, der auch auf der Karte steht. Wenn das der alte Wilhelm Hoeck wüsste.
Am 21. März liest Matthias Gerschwitz aus seinem Buch. 18 Uhr, „Wilhelm Hoeck 1892“, Wilmersdorfer Straße 149. Telefon: 341 81 74. Der Eintritt kostet 5 Euro.
Daniel Stender
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