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Destillation gelungen? Gerald Schroff (l.) stammt aus einem Schnapsbrennerdorf im Schwarzwald. Mit seinem späteren Kompagnon, dem Berliner Mikrobiologen und TU-Professor Ulf Stahl traf er wortwörtlich auf einer Skipiste am Arlberg zusammen.
© Michael Handelmann

Schnapsmanufaktur: Gurus des Gärens

Gerald Schroff und Ulf Stahl fabrizieren feine Schnäpse und Liköre in der Preußischen Spirituosen-Manufaktur in Wedding, einem historischen Ort.

Der Zweckbau an der Seestraße sieht nicht gerade historisch aus und weckt ganz sicher keine Ahnung von der historischen Dimension der Geräte, die drinnen untergebracht sind. Matt glänzende Kupferkessel, große Steingutgefäße, komplizierte Brennapparaturen – und über allem schwebt ein angenehmer Hauch von Gewürzen und eine Ahnung verdunstenden Alkohols. Wer glaubt, dass feine Spirituosen nur im Wald oder auf den Orkneys entstehen können, der muss angesichts der Preußischen Spirituosen-Manufaktur umlernen: Es geht auch in Wedding.

Gerald Schroff, einer der beiden Köpfe hinter der Produktion, kommt immerhin aus dem Schwarzwald: „Ein Dorf, 2000 Einwohner, 800 Schnapsbrenner“, erinnert er sich scherzend. Er hat das Dorf verlassen, eine Karriere als Hotelfachmann, Koch, Sommelier und Barkeeper hinter sich gebracht; zum Unternehmer in Sachen Alkohol wurde er, als er auf einer Skipiste am Arlberg mit dem Berliner Mikrobiologen und TU-Professor Ulf Stahl zusammentraf, und zwar im unmittelbaren Wortsinn. Beide begegneten sich später im Hotel an der Bar wieder und begründeten auf der gemeinsamen Vorliebe für ausgefuchste Cocktails eine Freundschaft mit Folgen.

Stahl ist ein international renommierter Guru für alles Gärende – und sitzt mit seinem Institut auf demselben Gelände wie die historische Spirituosen-Manufaktur, die 1874 als Versuchs- und Lehranstalt durch Kabinettsorder gegründet wurde, um die Kartoffelpreise zu stabilisieren; was die Bauern zu viel produzierten, wurde aufgekauft und zu Alkohol gebrannt. Der Leiter Max Delbrück entwickelte aber größeren Ehrgeiz, gründete eine Lehranstalt für den Destillateursnachwuchs und eine Versuchslikörfabrik und versuchte sich schließlich auf dem freien Markt mit der Marke „Adler Spirituosen“. Stahl ist heute als Nachfolger Delbrücks der Hüter eines immensen, akribisch dokumentierten Wissensschatzes.

In dessen erhaltener Fabrik begannen Schroff und Stahl im Jahr 2005, Delbrücks „Adler Gin“ wieder aufzulegen – ein paar Flaschen als Vorbild hatten die Jahrzehnte überlebt. Vier Jahre später übernahmen sie den kompletten Betrieb und sind nun praktisch Vollsortimenter mit 35 eigenen Produkten vom klassischen „Kurfürstlichen Magenbitter“ über Wodka und Gin bis zum fruchtig-süßen Obstlikör. Ihre Manufaktur ist der einzige Betrieb, der in Deutschland noch den Meisterbrief für Destillateure ausgeben darf.

Schnaps gebrannt wird in Wedding allerdings nicht – das lassen Schroff und Stahl zur Sortimentsabrundung im Schwarzwald erledigen. Sie selbst beschäftigen sich überwiegend damit, die Essenzen aus Hunderten von Kräutern und Gewürzen zu extrahieren, die die Grundlage ihrer Liköre sind. Klassische Destillation und Mazeration – also Kaltextraktion von Substanzen in Alkohol – sind die beiden wesentlichen Methoden. Schroff hebt den schweren Deckel eines kupfernen Gefäßes, holt ein paar feuchte Krümel heraus, intensiver Ingwerduft breitet sich aus: Hier entsteht nach wochenlanger Einwirkungszeit die Basis für den pfeffrig-scharfen Ingwerlikör.

„Das ist nicht so einfach, wie es aussieht“, sagt er, „die Details sind wichtig, und wir wissen sehr viel darüber, welcher Alkohol der geeignetste ist und welche Mengen angesetzt werden müssen.“ Aktuell beschäftigt sich Schroff mit einem Holunderlikör, der eine große Zukunft als Beigabe zu Champagner oder Sekt haben könnte. Er möchte ohne industrielle Aromen arbeiten und demonstriert im Vergleich mit einem aromatisierten und einem natürlichen Likör die Unterschiede: Der natürliche ist in der Nase viel weniger intensiv, dafür aber am Gaumen viel nachhaltiger und fruchtiger.

Der Adler-Gin ist neben dem Magenbitter das wichtigste Standbein der Firma. Die Markteinführung war ein wenig überschattet von Protesten, weil manch Außenstehender das Adlersymbol in Verbindung mit dem Namen „Schroff und Stahl“ in den falschen Hals bekommen hatte, doch das hat sich rasch gelegt. Gin aus Berlin steht in den stilbildenden Hotelbars längst neben Legenden wie Bombay Sapphire und Tanqueray, und er zeigt, dass Gin nicht gleich Gin ist. „Wir wollen das Wacholderaroma nicht übertönen, sondern stützen“, sagt Schroff, „viele Sorten am Markt sind mir einfach zu blümerant“.

Deshalb benutzt er eine Gewürzmischung aus 14 Sorten, in der Koriander, Ingwer, Lavendel und Zitronenschale im Vordergrund stehen. Sie wird mit dem Wacholder zunächst in Weizendestillat mazeriert, dann folgt eine schonende, zweifache Vakuumdestillation – und nach fünf bis acht Monaten in einem großen Steingutgefäß ist der Gin fertig, gut ausbalanciert und sehr mild, reif zur Abfüllung.

Die beiden Schnaps-Spezialisten wollen nun auch in andere Märkte vordringen. „Wir sehen uns in erster Linie als Hersteller von Essenzen“, sagt Schroff, und diese Essenzen sind auch auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel gefragt. Deshalb arbeitet er gegenwärtig an einem Trunk, der alle gefragten Komponenten enthält: Sonnenhut zur Immunstärkung, verschiedene Fruchtsäuren als Radikalenfänger gegen Zellalterung, rechtsdrehende Milchsäure für die Verdauung. Darin steckt ein Jahr wissenschaftlicher Arbeit mit Hilfe einer Doktorandin. Das alles läuft ganz ohne Geheimnistuerei und pseudowissenschaftliche Verbrämung. Und das Beste ist, dass die Manufaktur nicht nur Betriebsführungen anbietet, sondern ihre Produkte auch ab Fabrik verkauft.

Seestraße 13, Wedding, Montag bis Freitag von 9-17 Uhr, Telefon 45028537

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