Philharmonie: Eine Brise zu viel
Die Philharmonie ist ein architektonisches Meisterwerk, das aber auch so seine Tücken hat. Karajan klagte über Zugluft.
Es gibt Leute, die sind enttäuscht, weil sie so wenig von dem sehen, was das Großfeuer angerichtet hat. Noch drei Tage nach dem Brand pilgern Touristen und Berliner zum Unfallort, um das berühmte Dach und seine verkohlten Reste zu sehen. Eine traurige Attraktion. Sie wundern sich, dass die Zerstörung, vom Potsdamer Platz aus gesehen, so unsichtbar ist. Auf die Perspektive kommt es an. Der Kemperplatz ist besserer Aussichtspunkt. Ortskundige empfehlen sich als Wegweiser. Am Sony-Center, gegenüber dem Musikinstrumentenmuseum, stehen Neugierige einzeln, in Gruppen, diskutieren, fotografieren und filmen. Die Gesichter sind gespannt, bestürzt: Die verkohlte schiefe Ebene des Daches, die schwarze Schutthalde, wirkt wie eine offene Wunde– faszinierend scheußlich.
Aber leicht heilbar: Hans Scharoun hat das Haus Anfang der sechziger Jahre so konzipiert, dass ein Dachbrand verhältnismäßig wenig Schaden anrichtet. Die listige Betonkonstruktion schützt das Innenleben des Hauses, Scharouns Meisterleistung wird dieser Tage gern gerühmt. Die Philharmonie, ein architektonischer Geistesblitz, hatte aber im Lauf der Jahrzehnte durchaus ihre Tücken. Noch vier Jahre nach der Eröffnung war die Mikrofon- und Lautsprecheranlage nicht in Ordnung: Hildegard Knef, die Ofarims, Udo Jürgens, Charles Aznavour, Juliette Greco oder Sammy Davis jr. klangen nicht so, wie sie sangen. Die Stimmen wirkten geradezu verfremdet.
Dann die Sache mit der Zugluft zu Beginn der siebziger Jahre, Orchestermitglieder sahen sich gesundheitlich gefährdet. Natürlich litt auch Herbert von Karajan unter der kühlen Brise, wie das Publikum. Das lag auch daran, dass die von Scharoun geplante Fassadenverkleidung aus Kostengründen beim Bau eingespart, dafür rustikaler Sichtbeton angestrichen worden war. Immer wieder wurden neue Fassadenplatten in Aussicht gestellt, Anfang der achtziger Jahre waren sie fertig, honiggolden schimmerten sie, die Betonwand dahinter erhielt eine Dämmung mit Rohren für die Beregnungsanlage.
Wenig später wurde die auf dem Beton liegende Dachhaut erneuert, bekam ein „hinterlüftetes Dach“. Die Lüftung bekam ihm jetzt nicht.
Vor zwanzig Jahren stürzte Deckenputz in den Innenraum der Philharmonie, Konzerte mussten abgesagt werden, der Schaden wurde repariert, aber zwei Monate später fiel wieder Putz von der Decke. Sicherheitsnetze wurden gespannt. Der frühere Mitarbeiter von Hans Scharoun, Edgar Wisniewski, sprach von einer „Verschandelung“. Dann stand die Asbest-Sanierung an, Spritzasbest war im Foyer verwendet worden. 30 Millionen D-Mark waren für Deckenerneuerung und Asbestbeseitigung veranschlagt. Es gab eine Diskussion über die Art der künftigen Decke, Kritiker sahen die Akustik gefährdet, es ging um Sanierung oder Erneuerung, der Senat wählte Letzteres.
Nach 14-monatiger Generalüberholung – das Innere des Hauses war voller Gerüste – war die Philharmonie 1992 wieder spielbereit, die neue Saaldecke sah aus wie die alte und die Musik hörte sich auch gut an. Alles kostete dann erwartungsgemäß viel mehr als geplant, nämlich 45 Millionen D-Mark.
Betrachter, die jetzt an der Fassade des Hauses nach Brandspuren suchen, finden keine Anhaltspunkte, weil das Alublech mit glasfaserverstärkten Polyesterharz-Platten als schwer entflammbar gilt. Die damalige Bundesanstalt für Materialprüfung prüfte die Fassade, Sorgen machte man sich damals fast weniger vor Feuer als vor dem Alterungsprozess. Ein Test ergab Anfang der achtziger Jahre, dass der Farbeffekt erst in mindestens zehn Jahren dem vom Hans Scharoun gewünschten Schimmer entsprechen dürfte und dann seine Patina erhalte.
Nur das Dach konnte die Erwartungen auf einen normalen Alterungsprozess nicht erfüllen. Es ist nun schwer beschädigt. Aber die Wunde wird heilen. Auch die Reparaturarbeiten dürften die Philharmonie zur Attraktion machen.
Gestern Abend war das erste Konzert in einem Ausweichquartier: Die Münchner Philharmoniker spielten unter ihrem Dirigenten Christian Thielemann im Admiralspalast. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Mitarbeiter des Veranstalters hatten nach dem Brand rund um die Uhr 1000 Konzertbesucher telefonisch umdirigiert, für die Reservierungen vorlagen. Der Admiralspalast hat zwar 600 Plätze weniger als die Philharmonie, aber ein Kontingent von Karten war zurückgegeben worden. Wie durch ein Wunder ging die Sache deshalb auf.
Christian van Lessen
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