Journalismus heute - Was für eine Frage!: „Ein Interview ist wie eine gute Soße“
Die Schauspielerin Maren Kroymann, Martin Kotthaus, Sprecher von Wolfgang Schäuble, und die Tagesspiegel-Redakteure Norbert Thomma und Esther Kogelboom über Tricks und Tücken eines besonderen Genres.
Heute kaum vorstellbar: Vor 1999 erschienen in deutschen Zeitungen kaum Interviews – bis der Tagesspiegel die Idee hatte, die Sonntagsbeilage künftig mit einem großen Portraitinterview zu beginnen. Inzwischen gibt es in sämtlichen Zeitungen täglich meist sogar mehrere Interviews. Was an Arbeit dahinter steckt, welche Fettnäpfchen lauern und ob es ein Rezept für ein gelungenes Interview gibt, das erfuhren die Besucher der Veranstaltung aus der Reihe „Journalismus heute“ am Dienstag Abend im Verlagsgebäude am Askanischen Platz.
2010 führte Norbert Thomma, Ressortleiter vom „Sonntag“, ein Interview mit Maren Kroymann, aus dem die beiden an diesem Abend eine kurze Episode mit verteilten Rollen lesen. War sie damals bei der Autorisierung des Interviews gleich mit allem einverstanden?, will Tagesspiegel-Chefredakteur und Moderator Lorenz Maroldt von Maren Kroymann wissen. „Es ist wichtig, dass der Interviewer in der schriftlichen Form den richtigen Ton wiedergibt, die Atmosphäre, das Freche. Das ist bei diesem Interview gut gelungen“, urteilt die Schauspielerin. Allerdings seien einige positive Äußerungen über Guido Westerwelle, der im Interview ansonsten ganz schön sein Fett wegkriegt, rausgestrichen worden – „schade!“
Vom Kürzen weiß auch Martin Kotthaus zu berichten: „Gerade politische Themen sind für kurze Interviews zu komplex, die Aussagen werden oft verfälscht, wenn sie gekürzt werden.“ Zum Glück ist es erst einmal passiert, dass er einschreiten musste, weil sich das von Wolfgang Schäuble gegebene Interview hinterher völlig anders las. Deshalb ist der Sprecher des Finanzministers immer anwesend bei den Interviews seines Chefs und lässt selbst ein Tonband mitlaufen, auch wenn das manchmal mit einigem Aufwand verbunden ist: Im letzten Sommer dauerte seine Anreise für ein einstündiges Interview Schäubles fast einen ganzen Tag.
Das A und O für ein gelungenes Interview ist die Vorbereitung. Die Recherche beginnt meist im Archiv. „Ich lese ganz viel, frage im Umfeld der Person nach und werte dann das gesammelte Material aus“, erklärt Esther Kogelboom. Maren Kroymann wundert sich: „Oft finden sich in Interviewfragen ganz banale Recherchefehler, wie der falsche Geburtsort. Sowas hätte man mit einem Blick auf meine Homepage doch nachschauen können!“ Zur Vorbereitung gehört ebenfalls, den passenden Ort zu suchen und herauszufinden, ob der Interviewpartner nicht vielleicht ausschließlich frisch gepressten O-Saft trinkt.
Ist das Interview im Kasten, wartet noch einmal genauso viel Arbeit: Das aufgezeichnete Gespräch muss verschriftlicht werden, und nicht selten ärgert man sich hinterher, wie Esther Kogelboom erzählt: „Manchmal merke ich erst beim Abtippen, was für eine Steilvorlage mir mein Interviewpartner da geliefert hat – und ich hab‘s nicht gemerkt!“ Das Gesagte muss außerdem in eine gut lesbare Form gebracht, von Ähs und Füllwörtern befreit werden. „Die wenigsten Gesprächspartner sprechen druckreif“, stellt Norbert Thomma fest. „Mit einem Interview ist es wie bei einer guten Soße: Man hat ganz viele Zutaten, aber bis sie richtig gut ist, muss man sie stundenlang einkochen.“ So kommt es vor, dass nur etwa zehn Prozent des Gesprächs im gedruckten Interview erscheinen. Aber wie viel hat das denn noch mit dem tatsächlichen Gespräch zu tun? Martin Kotthaus weiß: „Jedes Interview ist ein Kunstprodukt“. Dennoch tippen Esther Kogelboom und Norbert Thomma erst einmal alles ab, was aufgenommen wurde. „Es ist natürlich viel Arbeit, aber es lohnt sich, denn nur so behält das Interview auch in der gedruckten Form den Ausdruck des Gesprochenen bei.“
Ausführliche Recherche im Vorfeld und akribische Nacharbeit sind aber noch nicht alles, was es für ein gutes Interview braucht. „Am besten ist es, wenn man seinen Interviewpartner mit einer überraschenden Frage durcheinander bringen kann“, erzählt Norbert Thomma. Häufig sind es auch gar keine richtigen Fragen, sondern Fakten, Vorwürfe, zu denen die Interviewten Stellung nehmen sollen. „Wir wollen schließlich konfrontative Interviews, keine Kuscheleien“, so Interview-Experte Thomma.
Aus dem Nähkästchen plaudern an diesem Abend auch die im Publikum sitzenden Tagesspiegel-Kollegen Susanne Kippenberger und Andreas Austilat, die dem amüsierten Publikum berichteten, wie ihnen beim Gespräch mit Schauspieler Ulrich Matthes gleich beide Tonbandgeräte kaputtgingen, und wie sie einer äußerst schwerhörigen Brigitte Mira ihre Fragen ins Ohr brüllen mussten.
Und wen möchte das Publikum am liebsten mal befragen? „Wie hat die Macht Sie verändert?“ würde jemand gerne von Angela Merkel wissen. Ein anderer Zuschauer wünscht sich auf seine Frage „Kann man vom Glossenschrieben leben?“ eine Antwort vom Kolumnisten Harald Martenstein.
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