Spaßdemo: Die Hipster-Olympiade
Bei der "Hipster-Olympiade" am Sonntagnachmittag gab es Kistenrennen, Röhrenjeans-Tauziehen und Hornbrillenweitwurf – als Demo gegen Gentrifizierung.
„Vergesst sofort alles, was wir trainiert haben“, ruft Nathie ihren Mädels an der Startlinie zu. Nun hat die 24-jährige Teamchefin der Frauen-Mannschaft „Hipstasians“ zuvor ganz ernsthaft „Starbucks-Becher-Um-Die-Wette-Rollen“ geübt, die Finger immer brav am Sportgerät auf dem Boden. Doch als es ernst wird bei der ersten deutschen Hipster-Olympiade am Sonntagnachmittag am Arkonaplatz in Mitte, da schleudert die Konkurrenz in der Hocke beim ersten Lauf die Becher so gar nicht regelkonform über die Bahn. Was soll’s, es geht ja um den Protest gegen global gleichförmige Cafés, den Kampf gegen Konsumfixiertheit und Oberflächlichkeit, gegen Gentrifizierung und „Homogenisierung von Lebensstilen in Berliner Innenstadtbezirken“.
Das steht auf den Flyern, die sich etliche der hunderten Umstehenden mitnehmen. Die Spielstraße macht ihrem Namen alle Ehre, und am Pressetisch der „Ironischen Demo“ müssen die Journalisten zur Abwechslung mal ihren Geburtstag eintragen. Die Youngster bei der Spaßdemo der „besten, individualistischsten und ironischsten Hipster der ganzen Stadt“ sind Victor und Nic, beide 13, sowie Simon, 12 – alle aus Hermsdorf. Die Drei sind Hipster wie aus dem Buche: „Enge Jeans, bunte ausgeleierte T-Shirts, Seitenscheitel.“ Einer ihrer Väter, der ist 30 und Clubbesitzer, hat ihnen aus der Zeitung von der Hipster-Olympiade vorgelesen. „Und wir haben geübt, wir mussten für eine Disziplin ja die Preise von iPhone-Apps auswendig lernen.“ Es gibt aber auch noch Röhrenjeans-Tauziehen, Fashion-Schal-Seilspringen, Jutebeutel-Sackhüpfen, Bionade-Wetttrinken.
„Ist es denn okay, wenn es für unsere Generation wichtiger ist, als Erster das neue iPhone zu besitzen, als sich um die Briefunterlagen für die Wahl zu kümmern?“, fragt sich Thomas Blockus, 26, einer der Veranstalter. Er hat die Trendprotestdemo mit einem Team von Studenten der Kreativ-Internetseite „Kultmucke.de“ organisiert. Und mit seinem Co-Moderator Alexander Bernikas von der Berliner Kulturszene-Internetseite „www.360berlin.net“ – die kommt heutzutage aber übrigens auch nicht mehr ohne eine iPhone-App aus. Der Slogan der „Kultmucke“-Macher lautet: „Mach Dir Deinen eigenen Kult“.
So wie die „Die fetten Bikini Girls“, eines der zwölf Teams, die Studentinnen kommen aus Frankfurt (Oder). Sie hatten einen „bad-hair-day“, scherzen sie, daher die Perücke. Kein Hipster ohne Nerdbrille – jetzt fliegt das Hornbrillen-Utensil beim Weitwurf durch die Gegend. „Mancher Brillenträger soll ja gar keine Sehschwäche haben“, sagen die Veranstalter auf der Kleinbühne und feuern über Mikro an, dazu passend läuft der Song „Ray Ban Vision“. Beim Wettlaufen über Club-Mate-Kisten gibt es Applaus.
Sarah Nicolini, 26, beobachtet die Szene-Olympiade auf ihr Fahrrad gestützt. „Der Kiez verändert sich total“, sagt sie. Drei Jahre war sie nicht in Berlin, sie hat in Palermo, Brüssel und Antwerpen Literatur studiert. „Als ich nach Friedrichshain zurück kam, gab es in meinem Kiez plötzlich noch mehr Cafés mit Ballermann-Partygästen, die in Hausflure brechen und urinieren.“ Ihr Lieblingsvietnamese spare nun an den Beilagen auf dem Teller, verlange aber das gleiche Geld. Ihr missfielen auch die immer mehr „gleichförmigen Shoppingcenter“. Dann aber wieder Augen aufs Event.
Poetry-Slam-Meister Till Reiners redet den Anwesenden augenzwinkernd ins soziale Gewissen, und ein Vertreter der Piratenpartei appelliert an alle, sie sollen bloß schön unpolitisch sein. Aber durch Verbraucherverhalten Zeichen setzen. Überall auf dem Globus – in der arabischen Welt, in Israel – seien aus friedlichen Aktionen einzelner Jugendlicher Massenprotestbewegungen entstanden, daran sollten sich die Anti-Hipster ein Vorbild nehmen. „Dein Leben – eine Konsumolympiade?“ steht auf einem Plakat. Jetzt ist das „Vintage-Bart-Anmalen“ dran. Da machen alle Teams ganz ohne Schummeln eine gute Figur.
Annette Kögel