Müggelberge: Der Wurm im Turm
Heute vor 50 Jahren brannte auf den Müggelbergen ein markantes Bauwerk ab. Damals fand eine traditionsreiche Ausflugsstätte ihr trauriges Ende.
Bei Schroers, einem der beliebten Biergärten am Friedrichshagener Müggelsee, ist im Gastraum ein Wandbild zu sehen. Es zeigt aus gleichem Blickwinkel wie vom realen Lokal aus den großen See, das gegenüberliegende Ufer mit den Müggelbergen, vor gut 100 Jahren. Wie wenig sich in der Natur geändert hat, staunen die Gäste. Und stutzen: Wo ist der pagodenförmige Turm, der auf dem bunten Bild zu sehen ist? Dafür grüßt von derselben Stelle – aus der Ferne dünn wie ein Streichholz – der vertraute Müggelturm.
Sein Vorgänger, der alte Turm, ist Geschichte, die heute vor 50 Jahren im Feuer endete. Da brannte nachmittags das alte Bauwerk ab. Es war aus Holz und schon hinfällig geworden, so dass es mit Stahlfachwerkstützen ein Korsett erhalten sollte. Die Gelegenheit schien günstig, auch das Restaurant zu seinen Füßen zu erweitern. Doch bei Schweißarbeiten: sprang vermutlich ein Funke über, der 27 Meter hohe Turm brannte ab, eine traditionsreiche Ausflugsstätte mit Aussichtsplattform fand ihr trauriges Ende. Kein Jahrestag zum Jubeln.
Schon der alte Turm war streng genommen ein Nachfolger, denn der ursprüngliche Bau, um 1880 errichtet, war mit zehn Metern Höhe etliche Nummern zu kurz geraten, wenig attraktiv als Aussichtspunkt. Obwohl der Kleine Müggelberg, auf dem er stand, schon mit 88 Metern Höhe ein gewisses gehobenes Niveau vorgab, um über Wald und Wasser zu blicken, fühlten sich nur wenige Besucher angelockt. So ließ Wäscherei- und Färbereibesitzer Carl Spindler – er sollte Spindlersfeld den Namen geben – den Turm zehn Jahre später erweitern oder besser: verlängern. Baumeister Max Jacob gab sein Bestes, ließ sich fernöstlich inspirieren und spendierte dem Turm die Größe, die er verdiente. Und ein markantes Aussehen, das sich den Berlinern einprägte. Der Gastwirt, der unten die Räume bewirtschaftete, hatte Grund zur Freude. Gleich im Eröffnungsjahr sollen über 50 000 Turmbesucher gekommen sein. In den zwanziger Jahren wurde die Anlage geradezu perfektioniert, mit einer großzügigen Terrasse und neuen Restaurant-Nebengebäuden. Beim Ausschachten der Baugruben entdeckten Arbeiter sogar archäologische Kostbarkeiten, Reste einer Kultstätte samt Mammut-Backenzahn. Der Turm, so stellte sich heraus, stand auf historisch wertvollem Grund.
Der Krieg ließ das Bauwerk, das militärisch als Funk- und Beobachtungsturm genutzt wurde, unbeschadet. Die deutschen Truppen wollten den Turm im April 1945 noch sprengen. Es heißt, der beherzte frühere Gastwirt habe die Drähte der Sprengladungen gerade noch zerschneiden können. So war der Bau gerettet, aber irgendwie steckte der Wurm im Turm, richtig standfest war er nicht. Ost-Berlins Behörden ließen ihn im Jahr 1957 wegen Baufälligkeit sperren und verordneten ein Stabilitätsprogramm: mit neuem Fundament und Stahlstützen. Er hätte es mit neuer Gastronomie schaffen können – wäre der Funke nicht übergesprungen. Vermutungen, jemand habe nachgeholfen, bestätigten sich nicht.
Schon 1959 war Grundsteinlegung und 1960 Eröffnung eines neuen Turms, entworfen von den jungen Architekten Jörg Streitparth, Siegfried Wagner und Klaus Weißhaupt. Fast 30 Meter hoch, neun Geschosse, Stahlbeton. Nichts mehr mit Pagode: Moderne Sachlichkeit war gefragt, mit großzügiger Gaststätte. Der neue Müggelturm wurde schnell zum Wahrzeichen der Stadt und zu einer Ausflugsstätte, die auch West-Berliner zu schätzen wussten.
Nach der Wende verkam das Areal, Konzepte wurde entwickelt und verworfen, der Turm hält sich bis heute wacker, er erhielt sogar mal frische Farbe, aber der Gastromiebereich verwitterte, ein Kiosk hielt die Stellung. Lange suchte der städtische Liegenschaftsfonds nach einem Investor für das denkmalgeschützte Areal in Köpenick. Ende vorigen Jahres hat ein Krefelder Unternehmen das Gelände gekauft und die Wiedereröffnung der Gastronomie in Aussicht gestellt – für das Jahr 2009.
Der Pagodenturm von einst aber bleibt nur Erinnerung. Vor allem an einem Tag wie heute. Christian van Lessen
Christian van Lessen
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