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linientreu
© imago/Seelinger

Diskos: Der Letzte macht den Spot aus

Tod einer Legende: Mit dem Linientreu an der Budapester Straße schließt eine der letzten West-Berliner-Kultdiskos. 26 Jahre hielt sich die wohl letzte Original-Achtziger-Diskothek.

Als der Laden aufmachte, hießen Clubs noch Disko. „Die Tanzfläche war schon damals rund wie eine Manege und mittig, rundherum stiegen im Kreis die Sitzbänke an, das ist das Besondere an dem Laden“, erinnert sich Mittvierzigerin Frauke Johannsen, früher Stammgast im Linientreu. Nach Abschlussparties am Wochenende gehen die Strahler aus im „Treu“ an der Budapester Straße, der wohl letzten Original-Achziger-Diskothek, nach 26 Jahren. Der Mietvertrag läuft aus, das Bikinihaus wird grundsaniert.

Ins Linientreu gingen nicht die Leute mit Karottenjeans, denen ihre seitengescheitelten Haare poppermäßig ins Gesicht hingen. Sondern jene mit toupierten Haaren und Nietengürtel, freakige Leute, die sich wie DJ Joke „selbst Sachen schneiderten aus schwarzen und weißen Bettlaken“. Die Leute waren „ cool, keine Discopopper, sondern Rocker und Soft-Punks“, erinnert sich Johannsen. Wenn man in den Keller kam, roch es nach Kreide, nach Nebelschwaden. Gespielt wurde etwa „Ain’t nobody“ von Chaka Khan, „Upside Down“ von Diana Ross - und viel von Depeche Mode. Die New-Wave-Band wohnte damals ein gutes Jahr im ummauerten West-Berlin, der Kultstadt für alle, die der Bundeswehrzeit entflohen. Sänger Dave Gahan soll auch mal am lang gezogenen Tresen mit Blick auf die Protagonisten unten gehockt haben. Diskokugel, Tische, Hocker, alles heute noch wie damals. Mit Depeche-Mode-Partys gelang es den Betreibern, später Publikum noch anzuziehen, als sich die Partyszene nach dem Fall der Mauer immer mehr gen Osten verschob. Die „Dachluke“ am Mehringdamm, in der Jungtänzer Anfang der 80er heimlich rauchten und mit diesem typischen Neue-Deutsche-Welle-Schritt zur Musik auf der Tanzfläche vor und zurück liefen, schloss schon vor gut 15 Jahren. Heute ist über den Dächern Kreuzbergs das BKA-Theater heimisch. Wer früher mal keine Lust aufs „Treu“ hatte, ging in den als Drogenumschlagplatz verschrienenen „Dschungel“ in der Nürnberger Straße. Oder ins „Rock It“, damals noch über Betten Hampel an der Neuköllner Karl-Marx-Straße, Eintritt sechs Mark, drei Freigetränke inklusive. Manchmal zog es einen auch ins „Madow“ an der Pariser Straße in Wilmersdorf. Oder ins „Riverboat“ im gleichen Bezirk - jetzt sind da Ateliers. Das legendäre „Big Eden“ am Ku’damm hat überlebt.

Im Linientreu haben sich die Macher immer wieder was überlegt. Zuletzt sah man an den Elektrokästen auf den Straßen der Stadt „Böhse-Onkelz-Nacht“-Plakate. Wenn besonders viele Gäste, auch aus brandenburgischen Dörfern, parkten, kam manchmal auch die Polizei dazu. Wie schon im April 1984, nachdem Besucher „nach Angaben der Polizei mit Wissen des Personals Rauschgift konsumierten“, wie der Tagesspiegel damals berichtete. „Bei einer rund zweistündigen Überprüfung“ wurden „sechs Portionen Heroin und 75 Gramm Haschisch sichergestellt“. Das Linientreu wurde vorübergehend vom Bezirksamt geschlossen.

Längst nicht alle, die damals reinwollten, kamen auch rein ins Laserlicht. Der damalige Besitzer verwehrte zwei Israeli den Zutritt, weil er „schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht“ habe. Er lasse generell keine herein, „egal, ob es sich um Soldaten der Alliierten, um Gastarbeiter oder Berlin-Besucher handele“, gab er damals an. Das haben viele Stammgäste wie Frauke Johannsen damals gar nicht mitbekommen. Sie fand jedenfalls toll, „dass der DJ noch Wünsche erfüllte.“

Linientreu, Budapester Straße 42, Freitag zum letzten Mal Techno, am Sonnabend Rock, Pop und Indie, ab 22 Uhr, zehn Euro (www.linientreu-berlin.de)

Annette Kögel

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