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© Kleist-Heinreich

Berlins Ostbezirke: Berlin-Lichtenberg auf neuem Kurs

Lichtenberg – nichts für junge Leute? Ein alter Vereinstrainer setzt erst recht auf den Nachwuchs, ein Informatiker engagiert sich fürs Kindertheater und die CDU.

Hinter dicken Bäumen ragen endlos graue Betonwände empor. In tausenden Fenstern spiegelt sich die Sonne. Es ist ein schöner Nachmittag in der Lichtenberger Normannenstraße, nur einen Kilometer weg vom Fernbahnhof und wenige Fußminuten von der Frankfurter Allee. „Das hier“, sagt Walter Ziarnetzki, 71 Jahre alt, „das hier ist meine Heimat. Das ist mein Lichtenberg.“

Die Normannenstraße hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, als hunderte Menschen am 15. Januar 1990 die Bürobauten hinter den dicken Bäumen stürmten. In der Normannenstraße befand sich die Stasizentrale, die heute noch steht. Und mittendrin das Hans-Zoschke-Stadion, das sie im Kiez gern selbstironisch „Hinterhof der Stasi“ nennen. „Ich war nicht bei der Stasi, nicht mal in der Partei“, sagt Ziarnetzki gleich mal vorab. „Ich war immer nur Mitglied bei Lichtenberg 47.“ Im Jahr 1951 trat er dem Sportverein bei, als Jugendtrainer. Das ist er geblieben, im Bezirk ist er aufgewachsen.

„Den Nachbarn da haben wir uns nicht ausgesucht“, sagt Ziarnetzki und meint die Betonbauten. Lichtenberg war der Arbeiterbezirk, es gab viele Handwerks- und Elektrobetriebe, Maschinenbau. „Nie etepetete“, sagt Ziarnetzki, gelernter Werkzeugmacher. Die Mieten in Lichtenberg waren zu Ostzeiten günstig, sie sind es heute noch. Das lockt wieder kleine Betriebe in die sanierten Häuser und zieht nach und nach Familien an, die die Vorzüge von preiswerten und längst modernisierten Plattenbauten schätzen.

Lichtenberg: Nah dran, aber nie mittendrin

Nach Friedrichshain ist es nur ein kurzer Fußmarsch, der Alexanderplatz ist mit der U-Bahn in wenigen Minuten erreicht, genauso der Tierpark in der anderen Richtung. „Die U-Bahn-Tunnel hier hat mein Vater mitgebaut“, sagt Ziarnetzki. Der Bezirk habe viele Vorzüge, aber es prahle eben keiner damit. „Wer es verrucht haben will, geht nach Prenzlauer Berg. Lichtenberg war nie aktuell, eher gemütlich.“ Nah dran, aber nie mittendrin.

Das Rauschen der Ostausfallstraße, der Frankfurter Allee, ist hier am Sportplatz nicht mehr zu hören. An den Seitenstraßen stehen satte Bäume, junge Familien haben sich jüngst preiswerte Grundstücke gekauft und bunte Häuschen gebaut, wo früher das Baustofflager der Stasi war. Mitte der Neunziger stand dort ein Ausländerwohnheim. Da haben sie sich bei Lichtenberg 47 gefreut und all die jungen Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo zum Spielen eingeladen. 1300 Mitglieder hat der Verein heute, doppelt so viele wie zu Wendejahren, allein 800 von ihnen sind unter 18 Jahre alt. Es gibt heute zehn Abteilungen, darunter so moderne wie Fitness, Aerobic und jetzt auch Line Dance. Soll keiner sagen, Lichtenberg vergreise. Der neonazibelastete Weitlingkiez ist nur ein Teil des Altbezirks, genau wie die Stasizentrale. „Da drüben“, sagt Ziarnetzki und muss grinsen, „saß unser Platzwart. Wenn der einen gehoben hatte, spielte er laut Rias.“ Die Stasi war empört, im Klubhaus der „47er“ feixten sie.

Mit der Wende kamen die Westautos, mit dem Sport kamen die Wessis. Der Klub hat seinen guten Namen in der Jugendarbeit immer gepflegt. Das enge Stadion, einst für 18.000 Zuschauer gebaut, entstand für die Weltjugendspiele 1951. Damals fand dort auch erstklassiger Fußball statt, die großen Vereine kamen: Leipzig, Erfurt, Dresden. Im Klubhaus hinter dem Tor kennen sie die Storys von früher: Stasichef Erich Mielke wollte das Hans-Zoschke-Stadion angeblich nach einem 0:1 seines Lieblingsklubs BFC Dynamo abreißen lassen, die Zoschke-Witwe intervenierte – erfolgreich. Nach der Wende wurden die Plätze mit Sportfördergeldern schön saniert. Es bildeten sich die ersten Mädchenfußballteams. In der Herzbergstraße gab es einen Platz, auf dem zwölf Tage nach der Kapitulation der Nazis das erste Fußballspiel nach dem Krieg stattfand. Vor 10 000 Zuschauern. Ein großes Ereignis. „Auf dem Platz spielte Chemie“, sagt Ziarnetzki. Nicht sein Klub, aber es war in Lichtenberg. André Görke

"Die Gegend wird sich verbessern" - Lichtenberg auf Reformkurs

Das weiße Hemd ist etwas zerknittert, die Koteletten könnten gestutzt werden, und die Brille sitzt ein wenig schief. Dass Christoph Schütte, 31, fast zwei Meter groß, sich täglich mit Computern beschäftigt, glaubt man ihm sofort. Der Informatiker rückt die Brille zurecht und lächelt: „Ich bin ein offener Typ.“ Das kommt überzeugend.

Als sein damaliger Arbeitgeber, der Musikriese Universal, vor fünf Jahren von Hamburg nach Berlin zog, hatte Schütte den Namen Lichtenberg noch nie gehört. Seine Firma hat für ihre Mitarbeiter Wohnungen suchen lassen. Dass sie für Schütte in Lichtenberg fündig wurden, war, wie er sagt, purer Zufall. „Ich hatte nur zwei Wünsche: Altbau und nah am Stadtzentrum.“

Seit 2002 wohnt der gebürtige Westfale in der Kaskelstraße, die an den 1928 verstorbenen Kommunalpolitiker Carl Kaskel erinnert. Ein Auto hat Christoph Schütte nicht, er fährt fast täglich mit der S-Bahn oder dem Fahrrad nach Mitte: „Von Lichtenberg aus kein Problem“, sagt er fröhlich. Die Kaskelstraße liegt in der Victoriastadt, die zum Lichtenberger Ortsteil Rummelsburg gehört und als die bessere Gegend des Teilbezirkes gilt. Seine Dreizimmerwohnung ist ruhig und kostet nur etwas mehr als 500 Euro warm. „Ein klarer Vorteil“, sagt Schütte, der sich allerdings auch in einem feineren Westbezirk eine Wohnung hätte leisten können.

Lichtenberg ist vielen Westdeutschen seit 1990 ein Begriff: Erstmals besetzten Neonazis da ein Haus – in der Weitlingstraße 122. Zehn Minuten von Schüttes heutiger Wohnung entfernt sammelte sich die rechte Szene Berlins. Seitdem kommt der Bezirk wegen prügelnder Neonazis immer wieder in die Schlagzeilen. Doch Christoph Schütte glaubt, dass sich etwas verändert. Nachdem die NPD im vergangenen Jahr in die Bezirksverordnetenversammlung einziehen konnte, seien viele Anwohner wachsamer geworden. „Die Gegend wird sich verbessern“, sagt er gelassen.

In die neuen Reihenhäuser an der nahen Rummelsburger Bucht ziehen immer mehr junge Familien. Rund um den Nöldnerplatz haben sich Künstler versammelt. Und in Schüttes Stammcafé „Jas“ hört man inzwischen auch süddeutschen Dialekt: Schwäbisch, Bayrisch. Schüttes Nachbarn kommen ebenfalls aus Westfalen. Berufstätige wollten häufiger weg aus den trendigen Innenstadtbezirken. „Der Bezirk wird offenbar beliebter“, beobachtet Schütte.

Ausgewogene Mischung: "Das hier wird kein neues Friedrichshain"

Na gut, der Kontakt mit den alteingesessenen Anwohnern könnte ausgeprägter sein. Aber wenigstens blieben die ihrem Bezirk treu. „Das wird hier kein neues Friedrichshain“, sagt Schütte. Dort wohnten in einigen Straßen fast nur zugezogene Studenten. „In Lichtenberg bleibt die Mischung ausgewogen.“

Sein Lichtenberger Steckenpferd ist das Theater an der Parkaue im äußersten Westen des Bezirkes. Gegründet wurde es 1948 von der sowjetischen Militäradministration, bis heute ist es das größte Kinder- und Jugendtheater Deutschlands. Als der Senat 2004 die Zuschüsse für das Theater um die Hälfte kürzen wollte, protestierten Mitarbeiter und Zuschauer so lange, bis die Pläne fallen gelassen wurden. Auch Christoph Schütte unterstützt das Haus. Er ist Mitglied im Förderverein. Muss sein, findet er. „Das Theater wird unterschätzt.“

Immerhin ist die Bühne im Bezirk derzeit beliebter als die Partei, der er sich angeschlossen hat: Die CDU musste sich bei den letzten Kommunalwahlen mit zehn Prozent der Stimmen zufriedengeben. Bekannte im Kaskelkiez fragen ihn schon scherzhaft: „Na, wie läuft’s in deiner Splittergruppe?“ Dabei hätte Christdemokrat Schütte durchaus Vorschläge, den Bezirk wirtschaftlich voranzubringen. Die Genehmigungsverfahren für Gewerbetreibende etwa könnte man beschleunigen.

Besucher führt Schütte nicht nach Mitte. Er macht Bezirksprogramm, zeigt die Erlöserkirche in der Nöldnerstraße und den mit 160 Hektar größten Zoo Europas: den Tierpark Friedrichsfelde. Hannes Heine

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