Kulturprojekt: Ballhaus Ost: Die Arbeiter- und Bauern-WG
Im Ballhaus Ost wird es sowjetisch: Bis Sonnabend leben und feiern 30 Künstler in einer Kommunalka.
Fast alles ist schon da, wo es hingehört: Die Kohlköpfe im Beet im Hof, der Roulette-Tisch im Keller, der Opernsänger in seiner Uniform. Der Wodka-Springbrunnen muss noch zum Sprudeln gebracht werden, steht aber schon im richtigen Zimmer im ersten Stock. Die ranzigen Sofas und Sessel sind überall im Haus verteilt. Aber wo ist der Wasserkocher? Das will Jürgen Schultz wissen. „Natürlich in der Pyrotechnik – eben da, wo er hingehört“, sagt Musiker Rex Joswig. So ist das in der Kommunalka im Ballhaus Ost, da wird der Wasserkocher – ohne Wasser natürlich – als Nebelmaschine eingesetzt. 30 Künstler werden in dem alten Haus an der Pappelallee bis Sonnabend gemeinsam leben und feiern. Jeweils ab 20 Uhr dürfen Gäste sich dazugesellen.
Kommunalka? War das nicht was aus der Sowjetunion? Stimmt. „Da wurden aus Wohnungen, in denen vor der Revolution gut situierte, bourgeoise Familien gelebt hatten, Wohngemeinschaften für viele Leute – mit nur einer Küche und einer Latrine“, sagt Rex Joswig. Der Mann mit den offenen Haaren fast bis zum Gesäß ist das „akustische Gewissen“ der Kommunalka und beschallt von der „Soundzentrale“ im Erdgeschoss aus das ganze Haus. Jürgen Schultz, graue kurze Haare, der neben dem Musiker steht, nickt. Er ist der Autor und einer der beiden Regisseure des ganzen WG-Spektakels, oder auch des „interdisziplinären Kunst- und Kulturprojekts“, wie es offiziell heißt. „Die Kommunalka basiert auf 40 Interviews mit Osteuropäern, die in Berlin leben“, erklärt Schultz. Daraus hat er eine Art Theaterstück-Performance gebastelt: „Eine richtige, schöne, glitzernde, prickelnde, glibschige Seifenoper“, wie Musiker Joswig das nennt. Sie wird überall im Haus gespielt, teilweise als Film in den Fernsehern in den verschiedenen Wohnzimmern. „Es gibt Papa, Mama, Tochter, Sohn und den fremden Verführer“, sagt Schultz. „Frei nach dem Roman ,Der Meister und Margarita‘ von Michail Bulgakow.“ Dann zeigt Schultz das „Zimmer“ des Fremden, der eine Art Teufel sein soll – ein dunkles Verlies im Keller. Gleich gegenüber ist der Eingang zur Sauna. Da kann man Plastik-Toilettendeckel kaufen. Aber nur, wenn man schon den „Zwangsumtausch“ hinter sich hat und seine Euros in die eigene Währung der Kommunalka umgetauscht hat: Drei „Wert“ kostet der Toilettendeckel. „In einer sowjetischen Kommunalka hatte jeder einen eigenen, den man mit auf die Gemeinschaftstoilette nahm“, erklärt Schultz.
Außer der „Familie“ und dem „Fremden“ trifft man noch viel mehr Leute in der Kommunalka: Eine echte ukrainische Friseurin setzt ihre Kunden unter eine Trockenhaube. Eine polnische Köchin kocht Kohlsuppe, die im Eingangsbereich gleich die richtige Atmosphäre verbreiten soll: „Die dampft und stinkt“, sagt Schultz. Außerdem gibt es den Croupier im Spielsalon, das Kurzfilme-Kino, die russische Band im Ballsaal und Opernsänger Piotr Czajkowski, der tatsächlich so heißt, und in Kosakenuniform Gesangsunterricht in seinem kleinen Zimmer gibt: „Ich werde singen romantische Sachen in elf Sprachen“, sagt er mit einem Akzent voller Rachenlaute. „Und ich werde versuchen, jede Frau glücklich zu machen.“ An seiner Brust baumelt ein Orden des Zaren, ab und zu wirbelt er zwei Säbel durch die Luft. „Die sind von meinem Großvater“, sagt er stolz.
Ein Kosak in einer sowjetischen Kommunalka? „Wir wollen nicht unbedingt historisch genau sein“, sagt Schultz schmunzelnd. Aber nicht alles in der WG ist witzig gemeint – etwa die Soldatinnen von der „Kommunalka-Miliz“ in ihren strengen Uniformen. Schließlich war die Sowjetunion ein Überwachungsstaat.
Ballhaus Ost, Pappelallee 15, 3.-5. Juni jeweils ab 20 Uhr, Karten 8-15 Euro, www.kommunalkaberlin.de
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