Stadtleben: Auf den Spuren Stauffenbergs
Operation Walküre? Der Film läuft im Kino – doch das Erkunden der wahren Orte ist viel spannender. Ob nun am Haus in Nikolassee oder auf dem Friedhof.
Hier also ist er losgefahren, am 20. Juli 1944, morgens um sechs: Tristanstraße 8 in Nikolassee, eine Villa im Landhausstil, mit rustikalen Stilelementen, gemauertem Torbogen und daneben einem verwitterten Schild: „Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg (* 15.11. 1907 † 20.7.1944) lebte hier 1943-44.“
Am Dienstagabend wurde im Theater am Potsdamer Platz die Premiere von „Operation Walküre“ gefeiert. Darin bekamen die Zuschauer auch das originale Haus Stauffenbergs zu sehen, zumindest von außen. Geschichts- und Drehort decken sich, für den Film waren nur kleine Korrekturen nötig. Die Gedenktafel durfte nicht ins Bild, eine Satellitenschüssel musste weg. Und den Zaun habe man gegen einen historischen ersetzt, erzählt Wolfgang Boettcher aus dem Haus gegenüber. Bei ihm im ersten Stock wurde die Kamera aufgebaut, um die Abschiedsszene zwischen Stauffenberg und seiner Frau zu drehen. Tom Cruise? Den hat er kurz gesprochen, und Cruise hat erzählt, wie Stauffenbergs Frau die Rache des NS-Regimes überlebt habe.
Boettcher wusste es genauer, aus erster Hand. Vor Jahren war er, emeritierter UdK-Professor, ehemals Cellist bei den Philharmonikern, bei einer Veranstaltung in Bamberg mit einer Frau ins Plaudern geraten. Man kam auch auf sein Haus zu sprechen und das gegenüber, in dem sie mal gewohnt habe. Auf seine Nachfrage stellte sie sich vor: Es war die Gräfin von Stauffenberg, die noch von den schweren Wochen nach dem Attentat erzählte, zudem fragte, wie hoch die Bäume in der Straße mittlerweile seien.
Will man in Berlin und Umgebung auf den Spuren Stauffenbergs seinen Weg am 20. Juli verfolgen, muss man sich vom Film wieder lösen. Darin steigt Cruise auf dem Flughafen Tempelhof in eine Ju 52, was die Zuschauer, zumal die in Amerika, überzeugen dürfte, historisch korrekt ist es nicht. Stauffenberg und sein Adjutant Oberleutnant Werner von Haeften starteten gegen 7 Uhr nicht in Berlin zur Wolfsschanze, dem „Führerhauptquartier“ in Ostpreußen, sondern von dem südlich der Stadt gelegenen Flugplatz Rangsdorf aus, in einem Heinkel-Bomber. Das Flugfeld war kurz vor den Olympischen Spielen 1936 als Reichssportflughafen eröffnet worden. Nach Kriegsausbruch wurde Rangsdorf Fliegerhorst. Heute sieht es dort aus wie in Afghanistan, jedenfalls nach Ansicht des Teams um Andreas Senn, der im Vorjahr mit Ken Duken und Ulrike Folkerts den ARD-Film „Willkommen zu Hause“ (2. Februar, 20.15 Uhr) drehte. Für Szenen auf einem afghanischen Flugplatz hatte man an die „Einfliegerhalle“ mit dem Tower, von dem schon Stauffenbergs Maschine ihre Starterlaubnis erhielt, englische und arabische Schriftzüge montiert. Sie sind entfernt, geblieben sind die Spuren eines exzessiven Vandalismus, von dem die Anlage nach dem Abzug der Sowjets 1994 heimgesucht wurde. Die Zukunft des Areals ist ungewiss, die Verwertung der Gebäude schwierig: Die Einfliegerhalle und drei Produktionshallen der ehemaligen Bücker-Flugzeugbau GmbH stehen unter Denkmalschutz. Das ehemalige Aero-Club-Haus am Flugplatzrand wird heute vom Gymnasium Seeschule genutzt. Immerhin der Name der Straße erinnert an den Mann, der von Rangsdorf aus zu einer heroischen Tat aufgebrochen war: Stauffenbergallee.
Gegen 15.15 Uhr waren der Graf und sein Adjutant in Rangsdorf wieder gelandet und zum Bendlerblock gefahren, unter anderem Sitz des Oberkommandos des Heeres und an diesem Tag Schaltzentrale der Verschwörung. Nach deren Scheitern wurden sie sowie Friedrich Olbricht und Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim gegen Mitternacht im Innenhof des Komplexes in der heutigen Tiergartener Stauffenbergstraße erschossen.
Geschichts- und Drehort decken sich hier erneut. Heute erinnert dort nichts mehr an die Abende im Spätsommer 2007, als Tom Cruise die Hauptperson war. Im Innenhof steht wie eh und je der Bronzejüngling des Mahnmals. In den Räumen in der zweiten Etage, wo am 20. Juli 1944 die von den Verschwörern gesponnenen Fäden zusammenliefen und zerrissen, befindet sich heute die Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Man erreicht sie über das Treppenhaus, in dem die vier verurteilten Verschwörer abgeführt worden waren. Im Flur des Ausstellungtrakts war Stauffenberg zuvor bei einem Schusswechsel leicht verletzt worden. In seinem Dienstzimmer, von dem aus er auf die später nach ihm benannte Straße blicken konnte, gibt es seine Büste. Man hat einen stilisierten Schreibtisch aufgebaut. Unter Glas liegen Replikate alter Schriftstücke, auch von Stauffenberg, damals Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm.
Der Film endet mit dem Tod Stauffenbergs und der Mitverschwörer. Will man ihren Weg bis zuletzt verfolgen, muss man sich nun auf den Alten St.-Matthäus-Friedhof an der Schöneberger Großgörschenstraße begeben. Prominente wie Rudolf Virchow und die Gebrüder Grimm wurden hier bestattet – und für eine Nacht auch die Toten aus dem Bendlerblock. Kurz nach der Exekution waren sie zum Friedhof gefahren worden, der Mitverschwörer Hans Bernd Gisevius, der am 20. Juli im Bendlerblock war, sich aber retten konnte, hat die Szene beschrieben: Ein Feldwebel habe den Küster wachgeklingelt, dieser erst die Polizei informiert, bevor die „fünf noch blutenden Leichen“ im Fackelschein begraben wurden. Morgens habe die SS die Leichen wieder abgeholt.
Unter Historikern gilt die Darstellung als vielleicht zu fantasievoll. So ist es ausgerechnet die Rede des Reichsführers SS Heinrich Himmler bei einer Gauleiter-Tagung am 3. August 1944 in Posen, auf die sich Forscher stützen müssen: Man habe die Leichen am nächsten Tag ausgegraben und noch einmal die Identität festgestellt. „Ich habe dann den Befehl gegeben, dass die Leichen verbrannt wurden und die Asche in die Felder gestreut wurde.“ Man wolle von diesen Leuten „nicht die geringste Erinnerung in irgendeinem Grabe oder an einer sonstigen Stätte“ haben. Laut Himmler war auch Hermann Göring beteiligt, der „sehr richtig“ gemeint habe: „Über den Acker ist zu anständig, streuen Sie sie über die Rieselfelder.“ Wo genau das geschah, weiß keiner.
Heute erinnert an der von Efeu überwucherten Begräbnisstätte in Schöneberg ein Gedenkstein an Stauffenberg und seine Mitstreiter. Er wurde 1979 auf Initiative des damaligen Friedhofverwalters Richard Mitschke aufgestellt, die Familie Stauffenberg hatte zugestimmt, aber die Nennung aller fünf Toten erbeten. Seit 1984 ist der Ort ein Berliner Ehrengrab.
Andreas Conrad
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