Aus Flughafengelände soll Smart City werden: Stadt der Zukunft in Tegel
Flugtaxis, intelligente Laternen und Rohrpost-Müll: Der Projektentwickler Philipp Bouteiller hat viel vor im Nordwesten Berlins.
Am ersten April in zwei Jahren könnte es die große Wachablösung im Kontrollturm geben, das Umlegen des Schalters am Flughafen Tegel von Starten und Landen auf Wohnen und Arbeiten. Philipp Bouteiller, vor Kurzem in Mumbai als Smart City Leader ausgezeichnet, erhält den Schlüssel zum Tower und allem anderen, was bisher Flughafen war und hält seine Antrittsrede als Präsident der Urban Tech Republic, deren Gründung mit einem feierlichen Gong der Flughafendurchsage besiegelt wird.
Genau so wird es wohl nicht kommen, zumal der Termin 1. April 2021 abhängig ist vom rechtzeitigen Start des BER im Oktober 2020. Und weil dieser Termin schon wieder in Gefahr gerät:„Das ist bei uns gar kein Thema“, sagt Hans Peter Koopmann, Sprecher von Bouteiller und der Tegel Projekt GmbH, die sich um alles kümmert, was nach dem Flugbetrieb auf dem 460 Hektar großen Gelände entstehen soll. Die Devise: Weiterplanen, als wäre nichts geschehen. So haben sie es bislang bei allen Terminverschiebungen gehalten.
Und jedesmal wiederholt Bouteiller seine These: Je später, desto besser. Die Verzögerungen am BER seien für sie „in gewisser Weise eine Chance gewesen“, spielten auf jeden Fall den Planern in die Hände. Denn die Pläne seien längst nicht fertig, würden weiter vertieft und korrigiert, erlangten somit „eine viel höhere Qualität“.
Bouteiller rechnet mit einem Baustart im Sommer 2021
Wäre der BER 2012 eröffnet worden, hätte man sich erstmal um Zwischennutzungen für die Tegel-Gebäude kümmern müssen, um Zeit zu gewinnen. 36 Mitarbeiter hat das Projekt inzwischen, sie kümmern sich vor allem um die Umbauplanungen für das Flughafengebäude und das neue Wohnviertel für bis zu 15.000 Menschen.
Inzwischen sei man dort beim Einzeichnen von Gullideckeln und Baumscheiben angekommen, da könne man dann in zwei Jahren sofort loslegen mit dem ersten Bauabschnitt. Vielleicht nicht gleich im April, Bouteiller rechnet mit den ersten Baggern eher im Sommer. Externe Planungsbüros arbeiten an den Bebauungsplänen für die Gewerbe- und Industrieflächen, auch dort könnte der Bau von Straßen und Leitungsnetzen in zwei Jahren starten.
Der BER-Verzug macht sich auch mit Blick auf die Qualität und Bedeutung der Unternehmen, die sich hier ansiedeln werden, positiv bemerkbar. Der Berliner Büromarkt boomt seit Jahren, der Wettlauf um die letzten freien Flächen in der Stadt hat begonnen. Bouteiller verspricht bekannte Namen, vor allem aus der Verkehrs- und Automobilbranche, denn E-Mobilität ist eines der großen Schwerpunktthemen.
Bis zu 20.000 Arbeitsplätze sollen entstehen
Attraktiv ist das Flughafengelände, weil dort Teststrecken für autonomes Fahren eingerichtet werden können. Mehr verraten möchte der Manager noch nicht, denn solange die Flächen nicht zur Verfügung stehen, kann Berlin sie auch nicht vermarkten. „Wir sind noch nicht vertragsfähig.“
Klar ist bislang, dass die Beuth-Hochschule ins Terminal einziehen wird, und die Berliner Feuerwehr zwei Flugzeughangars für ihre Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie übernehmen möchte. Bis die Feuerwehr soweit ist, möchte Bouteiller die Hangars zwischennutzen, als Testlabore für die „vertikale Mobilität“, konkreter: Flugtaxis und unbemannte Drohnen.
Aufseiten der Unternehmen hat sich bislang nur Menzel Elektromotoren als Interessent geoutet, ein Berliner Traditionsbetrieb mit Fertigung in Moabit. Das Unternehmen erhofft sich in Tegel neue Impulse von der innovativen Nachbarschaft. Am Ende der Entwicklungsphase sollen in Tegel rund 1000 Unternehmen 20.000 Arbeitsplätze geschaffen haben.
Das Schumacher-Quartier soll eine Smart City werden
Auch im Schumacher-Quartier am Ostrand, dem neuen Viertel mit 5000 bis 6000 Wohnungen, soll die Zukunft spätestens 2021 beginnen. Smart City wird hier nicht nur eine leere Formel bleiben, verspricht Bouteiller. Autos sollen nur noch am Rande eine Rolle spielen, in sechs Hochgaragen, sogenannten Mobilitäts-Hubs, die neben Abstellflächen für Privat-Pkw vor allem Carsharing und Fahrräder zum Leihen anbieten sollen.
Dort könnten auch Paketshops untergebracht werden, damit keine Kleintransporter die Wohnstraßen verstopfen. Ohne Autoverkehr können die Straßen im Quartier deutlich schmaler ausfallen als normal. Das neue Viertel könnte somit kuscheliger und dichter ausfallen als üblich.
Die Ingenieure basteln an einem Konzept, den Müll per Luftdruck-Rohrsystem zentral zu sammeln, vom Prinzip her eine Übertragung der alten Rohrposttechnik auf den Abfallsektor. Der Rohrmüll wird dann von der BSR abgefahren. Damit ließen sich vielleicht auch die Müllgebühren senken. Ein anderes Erkennungszeichen für die smarte Zukunft sind die Straßenlaternen.
Die Wärme- und Kälteenergie sollen aus erneuerbaren Quellen kommen
Die Tegel Projekt plant, die Laternen mit intelligenter Sensortechnik auszustatten, die etwa abnorme Bewegungsabläufe erkennen kann. Das würde helfen, einen Alarm auszulösen, wenn jemand auf der Straße zusammenbricht. Natürlich tangiert sowas den Datenschutz, da sei man im Gespräch, sagt Bouteiller.
Versteht sich von selbst, dass ein Großteil der benötigten Wärme- und Kälteenergie aus erneuerbaren Quellen kommt. Außerdem soll durch Vernetzung von betrieblichen Abwärmeproduzenten und Wärmekunden, vulgo Haushalten, der Energieverbrauch weiter reduziert werden.
Ein regionaler „Marktplatz für Wärme und Kälte“ würde entstehen, die Energiepreise könnten deutlich unter denen für Fernwärme liegen. Vertragspartner Eon bastelt schon konkret an den Plänen für ein zehn Kilometer langes Wärme-Leitungsnetz.
Die "Sidewalk-Labs" in Toronto sind das Vorbild für die Planer
Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) achtet vor allem darauf, dass in dem neuen, auf fast 50 Hektar angewachsenen Quartier günstiger Wohnraum entsteht. Gleich drei städtische Wohnungsbaugesellschaften – Degewo, Gewobag und Gesobau – sollen hier aktiv werden und rund die Hälfte der geplanten Wohnungen realisieren, 40 Prozent des Wohnraums soll gefördert werden, also für eine Miete von 6,50 Euro zu haben sein. Sozial, klimagerecht und ökologisch, mit grünen Dächern und Holzfassaden, einer dezentralen Regenversickerung und integrierten Nistkästen für Vögel. Das nennt sich dann auf Smartdeutsch „Animal Aided Design“.
Nicht das Silicon Valley –„eine städtebauliche Katastrophe“– sei das Vorbild für die Urban Tech Republic, sagt Bouteiller, auch nicht die in den frühen neunziger Jahren konzipierte Wissenschaftsstadt Adlershof, sondern technologiegetriebene Experimente wie die „Sidewalk-Labs“ in Toronto. Mit den dortigen Planern sei man im Austausch. Aber genug Zukunft für den Moment, Bouteiller muss dringend zum nächsten Termin.