Organvergabe in Berlin manipuliert?: Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags
Am Herzzentrum in Wedding soll es Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Organen gegeben haben. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt Ermittlungen eingeleitet. Gegen wen und in wie vielen Fällen ist noch unklar.
Gier und Größenwahn – das hat man Ärzten vorgeworfen, als vor zwei Jahren bekannt wurde, dass die Vergabe von Spenderorganen manipuliert wurde. Mindestens in Göttingen, Gießen, Leipzig und Regensburg sollen Mediziner in den Wartelisten gepfuscht haben – um mehr dieser oft lukrativen Operationen durchzuführen. Bundesweit gerieten Kliniken in Verdacht, die Zahl der Spender ging zurück: 2013 gab es bundesweit 876 Organspender, 2010 waren es rund 500 mehr. Etwa 11.000 Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan.
Bundesweiter Skandal? Nicht ganz, denn die Kliniken der Hauptstadtregion blieben verschont. Nun hat es Berlin erwischt: Im renommierten Herzzentrum in Wedding (DHZB) prüft die Staatsanwaltschaft mehr als 20 Vorgänge. Eine Oberärztin soll, so der Verdacht, hohe Dosen bestimmter Medikamente (sogenannte Katecholamine) verabreicht haben, um zu signalisieren: Meine Patienten brauchen schnell ein Organ.
Die Staatsanwaltschaft Berlin bestätigte am Freitag, ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags eingeleitet zu haben. "Konkret geht es um die Manipulation der Prioritätenliste für Transplantationen", sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin. Demnach habe man "Unregelmäßigkeiten" bei der Durchsicht von Dokumenten des Deutschen Herzzentrums festgestellt. Der Sprecher wollte sich nicht dazu äußern, gegen wen genau ermittelt wird und in wie vielen Fällen die Prioritätenliste manipuliert wurde.
Der nach dem Skandal 2012 eingesetzten Prüfkommission, die nun offenbar am DHZB fündig wurde, gehört unter anderem die Bundesärztekammer an. Eine frühere Richterin leitet die Kommission. Ein mit Prüfvorgängen vertrauter Mediziner sagt: Man überprüfe Schritt für Schritt alle Transplantationszentren Deutschlands, es sei eine Zeitfrage, bis es weitere Fälle gebe.
Weil Spenderorgane knapp sind, gilt ein High-Urgency-Prinzip, also ein Listenverfahren, wonach die Patienten mit der höchsten Dringlichkeit zuerst ein Organ transplantiert bekommen. Ohne diesen High-Urgency-Status (HU) ist es in vielen Fällen fast aussichtslos, Herz oder Leber zu bekommen.
Hat die Ärztin aus Größenwahn gehandelt?
Wer in die bundesweite HU-Liste aufgenommen wird, beurteilen Experten anhand der Daten, die ihnen die Kliniken übermittelt. Und wenn die Patientendaten hergeben, dass Patienten hohe Dosen bestimmter Mittel bekommen haben, rutschen diese Patienten eben in der Warteliste nach oben – sie sind den Daten zufolge ja auch schwer krank. Die Richtlinien legen fest, dass niedrig dosierte Katecholamine noch nicht zu einem HU-Status führen – aber hoch dosierte, wie es im Herzzentrum gewesen sein soll. Die Richtigkeit der gesendeten Daten verantworten die behandelnden Ärzte. Diese Transplantationsliste führt die europäische Organvergabestelle Eurotransplant in den Niederlanden. Hat eine Klinik manipuliert, können ihr Transplantationsorgane verweigert werden.
Bleibt die Frage: warum? Die Ärztin, die angeblich jene Medikamente verordnet haben soll, hat wohl keine Privatpatienten bevorzugt. Die hätten Extraeinnahmen bedeuten können. Es gilt auch als unwahrscheinlich, dass die Ärztin hohe Prämien für mehr OP-Fälle bekam. Die Medizinerin gilt intern als kompetent und wurde entsprechend gut bezahlt. „Vielleicht einfach nur Ehrgeiz“, sagt ein Chirurg einer anderen Klinik. „Bei 30.000 Euro Monatsgehalt manipuliert niemand mit klarem Verstand, weil er unbedingt Geld will.“ Die Ärztin, gegen die sich die Vorwürfe richten, gilt tatsächlich als ehrgeizig. Das wäre dann nicht Gier, vielleicht aber ein bisschen Größenwahn. Noch gilt die Unschuldsvermutung.
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