Verordnete verlassen wütend Sitzungssaal: SPD Lichtenberg kündigt Zusammenarbeit mit der Linksfraktion
Über 1000 Wohnungen sollen in Lichtenberg entstehen – doch es gibt Streit um 35 Sozialwohnungen. Linke und Investor werfen sich gegenseitig Erpressung vor.
Dramatischer Abgang SPD: Am Donnerstagabend verließen alle 13 Verordnete der Lichtenberger SPD-Fraktion geschlossen die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg rund eine Stunde vor Ende der Sitzung. Auch SPD-Stadträtin Birgit Monteiro schloss sich an. BVV-Vorsteher Rainer Bosse (Linke) verschob daraufhin eine wichtige Abstimmung um einen Monat. Andere Abstimmungen wurden ohne die SPD-Fraktion geführt.
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Die SPD kam noch am Abend mit dem Kreisvorstand zu einer Sondersitzung zusammen. Was war passiert? Es wurde über einen Dinglichkeitsantrag zum Bebauungsplan (B-Plan) Parkstadt Karlshorst abgestimmt, dem der Ausschuss Ökologische Stadtentwicklung bereits zugestimmt hatte.
Es geht darum, ob bei Bauvorhaben Staffelgeschosse für Sozialwohnungen angerechnet werden sollen. Das würde bedeuten, dass mehr Sozialwohnungen entstehen würden. Seit 2017 sollen in Berlin Bauvorhaben mit 30 Prozent mietpreisgebundenen Wohnungen entstehen, so die Vorschrift von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). Der Antrag in Lichtenberg fordert, Staffelgeschosse ab sofort immer anzurechnen - bei dem Bauvorhaben Parkstadt Karlshorst soll allerdings eine Ausnahme gemacht werden.
Nachdem der Antrag nun abgelehnt wurde, muss der Bezirk neu mit dem Projektentwickler Bonava verhandeln. Dieser jedoch pocht auf rechtskräftige Verträge ohne Anrechnung von Staffelgeschossen. Auch ohne diese sollen in Karlshorst 252 Sozialwohnungen entstehen, eine Kita, eine dreizügige Grundschule für über 400 Kinder und über tausend Quadratmeter Grünfläche. Insgesamt, so sagt die Bonava, sollen 1008 Wohnungen für 2016 Menschen entstehen, davon 470 Mietwohnungen und 538 Eigentumswohnungen. Die Bauarbeiten sollten eigentlich nächstes Jahr beginnen, die Bonava wartet auf die Baugenehmigung. Nun wird sich alles weiter verzögern.
AfD-Fraktion enthielt sich überraschenderweise
Die Lichtenberger Fraktionen der CDU, SPD und AfD waren eigentlich für den Antrag und die Ausnahmeregel für die Bonava, die im Bezirk stärkste Fraktion der Linken (sowie die eine Verordnete der Grünen) dagegen. Denn, so sagt die Linke, man würde unnötigerweise auf 35 Sozialwohnungen verzichten, wenn man in der Parkstadt Karlshorst eine Ausnahme machen würde. Eigentlich hätten CDU, SPD und AfD zusammen genügend Stimmen, um die Linke zu überstimmen - doch die AfD enthielt sich überraschenderweise.
Die SPD beantragte nach der Abstimmung am Donnerstag zunächst eine Auszeit und berief danach den Ältestenrat ein. Noch am Abend verkündete die SPD, nicht mehr mit der Linksfraktion zusammenarbeiten zu wollen. „Wenn wir als Koalition im Land Berlin die Mieten deckeln, dürfen wir nicht gleichzeitig die Bautätigkeit in Lichtenberg einstellen. Das wäre eine Bankrotterklärung“, sagte die Kreisvorsitzende der SPD Lichtenberg, Birgit Monteiro. „Wir bitten die Linken in Lichtenberg dringend, ihre Positionierung zu revidieren und werden bis auf weiteres die Zusammenarbeit mit den Linken ruhen lassen.“ Der Karlshorster Abgeordnete und Berliner Innensenator, Andreas Geisel (SPD), ergänzt: „Es ist unverantwortlich von den Linken. Unglaublich!“
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An das Bauvorhaben war laut SPD die Übertragung des Grundstücks für einen Schulneubau an das Land Berlin gekoppelt. Ohne die Zustimmung der BVV müsse der Investor das Grundstück nicht mehr an das Land übertragen. Ohne Grundstück könne das Land Berlin dort keine Schule mehr bauen.
Bereits seit 2013 wird über das Bauvorhaben diskutiert
Über das Bauvorhaben in der Parkstadt Karlshorst wird bereits seit 2013 diskutiert. Das Areal zwischen Blockdammweg und Hegemeisterweg liegt seit vielen Jahren brach. Gebaut werden sollte gemäß des Berliner Modells, mit dem der Investor verpflichtet wurde, neben sozialem Wohnungsbau auch für Kita- und Schulplätze zu sorgen.
Zwischen Linkspartei und SPD besteht in Lichtenberg seit Beginn der Wahlperiode 2016 eine Kooperationsvereinbarung. Dort wurde vertraglich festgehalten, dass bei wichtigen Bauvorhaben Einvernehmen anzustreben ist. Im Vorfeld der BVV hatte die Linksfraktion nicht angekündigt, das Bauvorhaben geschlossen abzulehnen. Die SPD ist daher davon ausgegangen, dass das Bauvorhaben eine Mehrheit in der BVV findet. Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) zeigte sich ebenfalls überrascht. Er will am Dienstag in der Bezirksamtssitzung aufrufen.
Die Fraktionsvorsitzenden der Linken, Kerstin Zimmer und Norman Wolf, bedauerten das vorzeitige Verlassen der SPD aus dem BVV-Saal. „Demokratische Entscheidungen müssen nicht immer allen gefallen, sind aber zu respektieren.“ Dass ihre Fraktion gegen den Antrag stimmte, sei keinesfalls überraschend gewesen. Bereits seit 2016 habe man darauf hingewiesen, „dass das geplante Neubauprojekt vor allem sehr zahlungskräftigen BürgerInnen gewidmet ist.“
Die Bonava sei nach mehreren Gesprächen nicht bereit, zusätzlich 35 preisgünstige Wohnungen zu planen. „Dies vor dem Hintergrund, dass rund die Hälfte der geplanten Wohnungen als hochpreisige Eigentumswohnungen verkauft werden sollen. Stattdessen wurden der Bezirk und die politischen Entscheidungsträger mit dem Bau einer Grundschule in eine Erpressungssituation gedrängt. Die Schule kann nur auf einer Fläche entstehen, die dem Investor gehört und im Falle der Schaffung von Baurecht an den Bezirk übertragen wird.“ Für die Bonava könne es nach der Abstimmung am Donnerstag nur heißen, zurück an den Verhandlungstisch zu kehren.
Investor Bonava „geschockt“
Rico Kallies, Regionsleiter bei Bonava in Deutschland, sagte dem Tagesspiegel am Freitag, er könne die Entscheidung in Lichtenberg in keinerlei Hinsicht nachvollziehen. „Wir sind ehrlich gesagt geschockt. Angesichts der angespannten Wohnungssituation in Berlin macht uns dieses Vorgehen sprachlos. Ein derart unsoziales und teilweise sogar erpresserisches Verhalten Einzelner haben wir jedoch bisher in keinem anderen Bauvorhaben erlebt.“
Bonava hat das Grundstück 2015 gekauft und am 16. Juli 2018 den städtebaulichen Vertrag mit dem Bezirk geschlossen. Darin ist u.a. festgehalten, wie viele der Wohnungen Sozialwohnungen sein werden und wie der Beteiligungsschlüssel für Kita und Grundschule aussieht.
„Die Linke spricht sich bewusst gegen den dringend notwendigen Schul- und Kitabau in Karlshorst aus“, schreibt Gregor Hoffmann, Fraktionsvorsitzender der Lichtenberger CDU-Fraktion, am Freitag. Die Entscheidung, nun gar nicht zu bauen, sei die schlechteste für Karlshorst und ganz Lichtenberg.