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Freche deutsche Jugend: Bei einem Konzert der Punk-Rock-Gruppe „Pankow“ im Kulturpark Plänterwald in Ost-Berlin tragen DDR-Punks die Kennzeichen ihrer westlichen Brüder.
© Harald Schmitt Photo

Berliner Subkultur: Sound-Anekdoten einer geteilten Stadt

Scratchende DJs, G.I.-Clubs, Punks in Ost und West – sie alle prägten den Sound des geteilten Berlin. Heute lädt die „Cold War Night Life“ zur Zeitreise mit Podiumsgespräch, Film und vor allem viel Musik.

Es ist Nacht. Die Jugend drängt in die Clubs, der DJ spielt die neuesten Schallplatten aus den USA, scratcht und mixt die Songs. Dann rappt er auf den Beat. Spätestens jetzt gibt es keinen Grund mehr, mit Dr. Pepper an der Bar zu stehen und die neuen Adidas-Sneaker nicht tanzen zu lassen.

Zur selben Zeit rocken Klick & Aus vor dem Altar einer Kirche in Prenzlauer Berg. Es ist Weihnachten und sie singen von der „Frühgeburt Christi“. Die Gemeinde schmeißt sie raus, draußen wartet die Stasi und die Punks flitzen davon.

Das sind nur zwei Sound-Anekdoten einer geteilten Stadt. Am heutigen Donnerstagabend treffen sie sich im Sage Club in Mitte zu einem Gespräch am Pool. „Cold War Night Life“ heißt die Veranstaltung, die versucht, Einblicke in die unterschiedlichen Klänge des Nachtlebens im Kalten Krieg zu geben. Dabei könnten die sechs Gäste, die von der Radio-Eins-Moderatorin Anja Caspary begleitet werden, kaum unterschiedlicher sein. Obwohl alle den Großteil ihres Lebens in Berlin verbrachten, erzählen sie sehr unterschiedliche Geschichten.

Mit Dr. Pepper im G.I.-Club

Auf dem Podium trifft zum Beispiel der Loveparade-Begründer Dr. Motte auf Kalle Kuts. Der ist gebürtiger West-Berliner und war oft und vor allem gerne in den G.I.-Discos der 80er Jahre. „Dort spielte die Musik immer am Puls der Zeit“, sagt er. „Der Sound veränderte sich immer wieder. Die Clubs waren ja ursprünglich für die in Deutschland stationierten US-Soldaten gedacht und waren immer von den US-amerikanischen Trends geprägt.“ Schon früh beeinflussten die Trends die in Deutschland gespielte Musik. In den 40/50ern kamen der Jazz und Bebop nach Deutschland, später Rock und Disco und dann auch der Hip-Hop in den 70er und 80er Jahren. Besonders in Berlin brachten die G.I.-Clubs verschiedenen Sounds und Tanzschritte zusammen.

„Die Clubs waren die Blaupause der deutschen Clubkultur“, erklärt Kuts, „und Berlin künstlerischer Freiraum für Stars wie Iggy Pop und David Bowie. Berlin war auch eine Untergrundszene, in der es einen schwächeren Starkult gab und über die die Medien nicht berichteten.“

Zu Beginn der 90er wurde Kalle Kuts DJ. Für ihn ist die Szene die Grundlage für den aktuellen Takt der Zeit. Heute veranstaltet er die G.I.-Disco als Hommage an die vergangene Zeit, aber nutzt dazu auch gegenwärtigen Funk und Soul und begeistert so alle Generationen.

Von der anderen Seite kann der Schriftsteller und Galerist Henryk Gericke erzählen. Er gehörte zu Beginn der 80er Jahre zur Punkrockszene Ost-Berlins. „Wir wurden in der DDR als Republikflüchtige gesehen“, erklärt Gericke. „Wir ließen uns vom Staat nicht in Besitz nehmen und hatten Spaß dabei, frei zu sein.“ Dass sie vor der Stasi immer wieder durch Hinterhöfe besetzter Häuser fliehen mussten, lag auch daran, dass die Partei die Jugend als „Kampfreserve“ betrachtete und sich von den Punks in ihrer gelben Blümchentapeten-Idylle gestört fühlten.

Punks vor dem Altar

Na gut, vielleicht auch an den illegalen Kunstzeitungen, die Gericke Mitte der 80er herausgab, als er auch in die Oppositionsszene kam. Er erklärt, dass „einige Beiträge wirklich politisch waren, aber die meisten waren künstlerischer Natur. Das Politische daran war die Illegalität, in der sie entstand.“

Zu dieser Zeit bekam die Punkszene Hilfe von der evangelischen Kirche. „In den Kirchen hatte die Stasi kein Recht, einzudringen. Also fanden die meisten Events und Konzerte in Kirchen oder anderen Räumen statt“, sagt Gericke. So kam es schon mal vor, dass Punkbands wie Schleim- Keim vor einem heiligen Altar spielen.

Auch das Nachtleben ist Politik

Warum es dabei nicht nur zu Konflikten mit der Kirche und der Stasi kam, erklärt der Historiker Bodo Mrozek von der Freien Universität. „Berlin und seine Clubs wurden durch die Alliierten multinational. Es bildeten sich unterschiedliche Subkulturen, wie die der Punks oder der Popper.“ Das führt aus verschiedenen Gründen zu Problemen. Vor der Gesprächsrunde wird er einen kurzen Vortrag halten. Darin werden die Berliner und die Popgeschichte Thema sein, aber auch die Besonderheiten im Kalten Krieg. Wie stark auch das Nachtleben mit internationalen Konflikten verbunden war, belegt der Bombenanschlag auf die bei G.I.s sehr beliebte Diskothek La Belle in Friedenau. Später bekannte sich die libysche Regierung unter Muammar al Gaddafi dazu.

"Ich glaube, ich bin da, um die politischen Aspekte zu beleuchten, damit es nicht zu einem reinen Insidergespräch kommt“, sagt Mrozek. Am Gespräch nehmen auch der Betreiber des Sage Clubs, Sascha Disselkamp, und der Gründer des Trance-Plattenlabels MFS, Mark Reeder, teil.

Reeder ist auch Schauspieler und gleich nach dem Gespräch auf der Leinwand zu sehen. Im Kino am Pool wird der „B-Movie“ gezeigt, der hochgelobte Dokumentarfilm, der die 80er Jahre in West-Berlin mit den Augen eines Fremden betrachtet. Über Sound soll nicht nur gesprochen werden, man will ihn auch beleben. Nach der Veranstaltung kann noch getanzt werden. Unter anderen legen Dr. Motte und Kalle Kuts auf.

Heute freier Eintritt im Sage Club, Köpenicker Straße 76, 10179, 18 Uhr Talk am Pool, 20 Uhr B-Movie, danach Musik auf mehreren Tanzflächen inklusive G.I.-Disco

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