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Cooler Cowboy. Walter Potts, genannt Wally, ist der Chef vom White Trash Fast Food in der Schönhauser Allee. Der Ami spricht nach 20 Jahren in Berlin gut Deutsch, lässt seine Kellner die Gäste aber lieber auf Englisch ansprechen. Ist angesagt.
© David von Becker

Englischsprachige Gastronomie: Sorry, kein Deutsch

Panisch nach Vokabeln kramen, weil einen der Kellner auf Englisch anspricht? Kommt immer öfter vor. In Szenebezirken gehört ausgestellte Fremdsprachigkeit inzwischen zur Imagepflege.

Man sitzt zu zweit im „Hüftengold“ in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, studiert die Karte und diskutiert über die Wahl seines Essens: lieber Salat mit Himbeerdressing oder doch die Gnocchi in Salbeibutter? Noch bevor man sich entschieden hat, kommt die Kellnerin und fragt: „Are you guys ready to order?“ Irritierte Blicke. Dann wird einem klar, dass die Frau, die da mit Stift und Zettel vor einem steht, tatsächlich kein Deutsch spricht, kein Deutsch sprechen will, möglicherweise kein Deutsch sprechen kann.

Reflexartig haspelt man was von „one more minute“ und ist froh, dass sie sich erstmal den Gästen am Nebentisch zuwendet. So bleibt einem selbst noch etwas Zeit, sich drei passable englische Sätze zurecht zu legen und kurz die korrekte Aussprache des „th“ zu üben. Denn es scheint, als müsste man jetzt verhungern und verdursten, wenn man die Bestellung nicht in vernünftigem Englisch abgibt.

Klar, im Grunde ist Englisch kein Problem, man hatte es jahrelang in der Schule, unterhält sich mit seinen ausländischen Freunden auf Englisch, kennt die Texte seiner britischen Lieblingsbands auswendig, schaut sich den einen oder anderen Film, die eine oder andere TV-Serie lieber im Original an. Und trotzdem ist man überrascht, wenn man in seinem sehr deutschen, sehr berlinerischen Alltag ohne Vorwarnung auf Englisch angesprochen wird, und das nicht von orientierungslosen Touristen, die einen nach dem Weg zum Mauerpark fragen, sondern von Kellnern, Verkäufern, Boutiqueangestellten – von Menschen also, die hier leben und arbeiten, und das nicht erst seit gestern.

Von Menschen wie Maria, 24. Sie ist eine von 12 733 US-Amerikanern, die laut Statistik in Berlin leben. Vor zwei Jahren kam sie hierher, nun kellnert sie in einem Laden an der Torstraße in Mitte, um sich ihr Studium zu finanzieren. Klar spreche sie Deutsch, ein bisschen zumindest, doch der Großteil der Gäste hier in der Gegend sei ohnehin aus dem Ausland, aus Spanien, Großbritannien, Frankreich. Deshalb nehme sie die Bestellungen gleich auf Englisch auf, das spreche sowieso jeder, es mache die Verständigung leichter. Und wenn sie es erkennbar mit einem Einheimischen zu tun hat? „Dann spreche ich auch Englisch, weil es für mich einfacher ist.“ Beschwert habe sich bislang noch niemand, sagt sie und lächelt.

Einladung oder Drohung? Für Touristen Ersteres, für Berliner oft das Zweite.
Einladung oder Drohung? Für Touristen Ersteres, für Berliner oft das Zweite.
© Q

Beschwert hat sich auch noch nie jemand im White Trash Fast Food, das sich ein paar Meter weiter in der Schönhauser Allee befindet, zumindest nicht bei Betreiber Walter Potts, den alle nur Wally nennen. Er ist der Cowboy unter Berlins Gastronomen, zum Hut trägt er Bart und Tattoos. Sein Laden ist eine Mischung aus Restaurant, Club und Kneipe, eine Art urbaner Western-Saloon. Auf der Karte stehen „home made veggie“-Burger und „bad ass big“-Burritos. Seine Angestellten kommen aus Spanien, Australien, Skandinavien, er selbst ist vor über 20 Jahren von Los Angeles nach Berlin gezogen, um Kunst zu studieren. Aus dem ehemaligen Cateringservice, mit dem sich Potts selbstständig gemacht hat, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist ein Szenelokal geworden, das in keinem Reiseführer mehr fehlt und in dem selbst Mick Jagger schon einen Abend verbracht hat.

„Ich finde, wer in Deutschland lebt, der sollte auch Deutsch sprechen“, sagt Potts. Er selbst beherrscht die Sprache gut, nur zwischendurch rutschen ihm immer wieder mal Floskeln wie „alright“ oder „fine“ raus. Manchmal hat man den Eindruck: Das gehört zum Image. So wie es zum Image des White Trashs gehört, dass das Personal mit den Gästen Englisch spricht. Auch wenn man oft den Verdacht hat, es könnte die Bestellung genauso gut auf Deutsch aufnehmen. So wie im Soho House, gleich um die Ecke. Oder im Madame Claude in der Lübbener Straße in Kreuzberg. Oder im The Bird am Falkplatz in Prenzlauer Berg. In Läden, die von jungen Menschen besucht werden, von Touristen und Einheimischen gleichermaßen.

Eine Statistik über die Zahl der Orte, an denen das Personal ganz selbstverständlich und ausschließlich Englisch mit der Kundschaft spricht, führt man bei der Marketinggesellschaft Visit Berlin nicht. Dennoch begrüßt Sprecherin Natascha Kompatzki die Entwicklung, die vor allem die Innenstadtbezirke betrifft und die der Stadt gut zu Gesicht stünde. Im Vorfeld der Fußball-WM 2006 sei das Bewusstsein dafür geschärft worden, dass Berlin internationaler auftreten müsse, das sei der Anstoß für alle Branchen gewesen, die am Tourismus partizipierten. Der Anteil der internationalen Gäste am Gesamtbesucheraufkommen sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, er betrage mittlerweile 41 Prozent. Die meisten kämen aus Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und den USA. „Die ganze Welt ist bei uns zu Gast und die Weltsprache ist eben Englisch.“

Und so geben dann wohl die Gäste an manchen Orten den Ton vor, die Gäste, die beschlossen haben, ein paar Jahre hier in Berlin zu bleiben: Wenn man in einer der Boutiquen rund um den Hackeschen Markt fragt, ob dieses oder jenes Kleidungsstück in dieser oder jenen Größe da sei, hört man ein „Sorry?“ vom Verkäufer; wenn man in dem Restaurant The Bird die Rechnung bestellen will, dann rätselt man minutenlang, ob der Amerikaner dazu nun „check“ oder „bill“ sagt. Und vielleicht ist all das eine Art späte Rache. Eine Rache der englischsprachigen Einheimischen für die Ansagen der Deutschen Bahn. Eine Rache der Gäste aus aller Welt für das, was die Deutschen seit Jahrzehnten in den Tourismushochburgen Spaniens und Italiens anrichten und wo sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass auf einer spanischen Insel nun einmal Deutsch gesprochen wird. Als Berliner kann man da vielleicht nur sagen: „Sorry, ey.“

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