Manfred Krug erhält Bundesverdienstkreuz: Sonst biste Neese!
Am Montagnachmittag erhielt Manfred Krug das Bundesverdienstkreuz. Überreicht hat es ihm Klaus Wowereit im Roten Rathaus. Schon lange geht der Grenzgänger aus Duisburg als Berliner Original durch.
Montagnachmittag im Roten Rathaus, erster Stock, Zimmer 105. Es treten auf: Klaus Wowereit als Joachim Gauck und Manfred Krug als Manfred Krug, diese Rolle beherrscht er seit gut 50 Jahren perfekt. Dafür wird der Mann, der im West-Fernsehen Liebling Kreuzberg war und im Ost-Kino die Spur der Steine legte, mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Drehbuch, Seite 1:
„Ich danke Ihnen recht herzlich, Herr Regierender Bürgermeister Wowereit. Auch dafür, dass Sie sich für mich eingesetzt haben. Ich hab’ mich gestern mal schlau gemacht. So ein Verdienstkreuz bekommt man ja nicht einfach, da muss man auch vorgeschlagen werden.“
„Ja, da muss man vorgeschlagen werden. Und das wird sogar überprüft!“
„Und wenn man nicht vorgeschlagen wird, biste Neese!“
Das Drehbuch verzeichnet: Heiterkeit.
Eigentlich ist so eine Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Sache des Bundespräsidenten. Weil aber Joachim Gauck zwischen dem Besuch des ehemaligen Notaufnahmelagers Marienfelde (Sonntag) und einem Gespräch mit dem ekuadorianischen Präsidenten (Dienstag) noch allerlei andere Verpflichtungen hat, springt Wowereit ein. Nette Abwechslung zwischen den Akten, die sonst in Zimmer 105 gewälzt werden.
Manfred Krug hat es sich schon ein halbes Stündchen vor dem Termin vor Zimmer 105 bequem gemacht. Dünn ist er geworden, Folge eines gesundheitlichen Problems, es verhinderte eine Ehrung zum 76. Geburtstag vor ein paar Wochen. Auf einen Stock gestützt gibt er Interviews, bis sich endlich die Tür zu Wowereits Büro öffnet. Der Hausherr eilt zur Begrüßung heraus, aber Krug ist mit seinem Stock schneller und es kommt zu einem kurzen Stau vor der Tür.
Draußen ist Frühling, aber das merkt keiner, weil die Fenster wegen der U-Bahn-Baustelle geschlossen und verhangen sind. Wowereit kämpft mit dem Baustellenlärm und rattert an Wikipedia-Wissen herunter, was sein Referent über Krug zusammengetragen hat: Geboren in Duisburg, „da wären Sie bestimmt Tatort-Kommissar geworden“. Den Job hat bekanntlich ein anderer bekommen: Götz George, gebürtiger Berliner und doch legendär als ewiger Duisburger Schimanski. Während der Duisburger Krug überall als Berliner Manne durchgeht.
Wowereit listet den politisch motivierten Umzug der Familie in die gerade gegründete DDR auf und verknüpft das politisch geschickt mit einer späten Rechtfertigung für die einstige rot-rote Koalition: „Ich nehme es den Leuten ab, dass sie damals in der DDR ein besseres Deutschland schaffen wollten.“ Krug nickt und schüttelt kurz den Stock. Wowereit erzählt, wie er als West-Berliner im Ost-Fernsehen die Filme mit Manfred Krug geguckt hat: „Sie waren einer der größten Schauspieler der DDR.“ Dann der Bruch mit der Nomenklatur, weil Krug sich mit dem ausgebürgerten Wolf Biermann solidarisiert hatte. „Sie wurden verfolgt von einem Regime, das es nicht ertragen konnte, dass andere anderer Meinung waren und diese auch noch äußerten. Also mussten Sie ausreisen, obwohl Sie das bestimmt nicht wollten.“
Das ist recht dramatisch formuliert. Der Umsiedler Krug durfte vergleichsweise komfortabel mit allerlei Hausrat im eigenen Auto über die Brücke an der Bornholmer Straße rollen und sogar die Pankower Familienvilla behalten. So eine Ehrung aber ist natürlich nicht der geeignete Anlass für differenziert-kritische Geschichtsaufarbeitung. Also lässt Wowereit auch Krugs Rolle als Werbefigur für den Börsengang der Telekom weg und rühmt, „dass Sie immer unbequem waren. Da ist es mehr als berechtigt, dass die Bundesrepublik Deutschland danke sagt.“ Auf dem Schreibtisch liegt ein Blumenstrauß, Wowereit drückt ihn Krugs Ehefrau Ottilie in die Hand. „Sie hätten den Orden so verdient wie Ihr Mann“, aber ein Ehegatten-Splitting ist beim Bundesverdienstkreuz nicht vorgesehen.
Ein paar Sekunden lang fingert Wowereit mit dem Bonbon an Krugs Revers herum, bloß nicht zu tief pieksen, aber im zweiten Versuch ist auch dieses Problem aus der Welt. Aus dem Hintergrund werden Sekt und Selters gereicht. Zwei Herren mit breiten Schultern und Knopf im Ohr ersuchen das Publikum, Zimmer 105 jetzt bitte zu verlassen. 17 Minuten lang hat sich das Procedere hingezogen, aber im Drehbuch ist noch reichlich Platz für den inoffiziellen Teil. Den nächsten Termin hat Klaus Wowereit in zwei Stunden beim Wirtschafts- und Investitionsforum Katar.
Sven Goldmann