Wochenende in Berlin-Kreuzberg: Sonntagsöffnung in der Amerika-Gedenkbibliothek
Die Amerika-Gedenkbibliothek hat neuerdings sonntags geöffnet – mit buntem Programm. Das Pilotprojekt unterscheidet sich bewusst vom Alltagsbetrieb.
Plötzlich sitzt im Salon der Amerika-Gedenkbibliothek, dort, wo die meisten der Besucher gerade in die ausliegenden Zeitschriften versunken sind, einer am Flügel und spielt drauf los. „Das gab es auch noch nicht“, sagt Anna Jacobi, die Pressefrau der Bibliothek, ganz verzaubert, „den hat keiner eingeladen, aber der spielt ja richtig gut.“
Es ist Sonntag, die Bibliothek am Halleschen Tor in Kreuzberg hat geöffnet – und verwandelt sich in einen Ort, an dem die Gäste seit einer Weile regelmäßig derartige Überraschungen erwarten.
Bereits seit Ende September läuft die „Aktion offener Sonntag in der AGB“ bereits. Von 11 bis 17 Uhr kann man seitdem auch am siebten Tag der Woche das machen, was man in der AGB so macht: Lesen, lernen, stöbern, ausleihen oder eine Zeitung zum Kaffee studieren. Aber eben nicht nur das. Die Bibliothek ist an diesen Sonntagen vor allem ein Veranstaltungsraum, in dem es Performances, Lesungen und sogar Lachyoga-Kurse gibt.
Der Clown bringt Kinder zum Weinen
Bei jenem Sonntagsbesuch, an dem auch der Pianist spielt, findet gerade ein „Shared Reading“ statt: Zwischen schmökernden Besuchern diskutieren etwa 20 Leute einen Text. Nebenan führt eine Dozentin in die Geheimnisse der Gebärdensprache ein. In die Jugendbibliothek marschiert irgendwann Clown Pipo ein und bringt unbeabsichtigt ein paar Kinder zum Weinen, weil die so einen komischen Vogel noch nie gesehen haben. Und in der „Zeitbibliothek“ kann man sich statt Büchern einen Menschen zum Gespräch ausleihen, „beispielsweise eine Hebamme, einen Feuerwehrmann oder einen Geflüchteten“, erzählt Tina Lange vom Sonntagsbureau, das das Programm in der Sonntags-AGB verantwortet.
Es ist ein Pilotprojekt, das hier am Blücherplatz gestartet wurde, „in dem Umfang und der Radikalität bislang einmalig in Deutschland“, wie AGB-Chef Volker Heller sagt. Die aktuelle Gesetzgebung erlaubt eigentlich keine Öffnung öffentlicher Bibliotheken an Sonntagen und untersagt deren Beschäftigten, an diesem Tag zu arbeiten.
Und tatsächlich sind in der AGB am Sonntag auch weit und breit kein Bibliothekar und keine Bibliothekarin zu sehen. Die freundliche Begrüßung so mancher Besucher, die sich an solch einem Tag beobachten lässt, gilt dann auch den Leuten vom Sonntagsbureau, einer Gruppe von Künstlern aus der Freien Szene, die sonntags sozusagen die Chefs im Haus sind. Unermüdlich erklären sie am Infostand im Foyer das Konzept der Sonntagsbibliothek und kümmern sich um den reibungslosen Ablauf. Diese Konstellation folgt einem Gutachten der Senatsverwaltung für Kultur, erklärt AGB-Sprecherin Anna Jacobi. Demnach dürfe die AGB an Sonntagen nur öffnen, wenn es besondere Veranstaltungen gebe. Nicht erlaubt: Bibliothekarische Beratung und Service. Die Ausleihe geht über die automatischen Terminals jedoch ganz normal weiter.
Man sei immer noch am Ausprobieren, sagt Tina Lange vom Sonntagsbureau, welche Art von Programm am besten bei den Besuchern ankomme. Insgesamt aber werde die Erweiterung der Öffnungszeiten „sehr gut angenommen.“
Das sieht auch AGB-Chef Volker Heller so: „Wir kriegen nur positive Resonanz.“ Seit sein Haus sieben Tage die Woche geöffnet habe, sei er so gut wie jeden Sonntag selbst hier, als Privatperson. Natürlich auch, um zu sehen, wie alles läuft unter der Regie seiner Vertreter, aber auch wegen der speziellen Atmosphäre, die diese Sonntage inzwischen auszeichne. Trubeliger als unter der Woche gehe es zu, lebendiger und durchaus auch lauter. Dennoch verdrehe niemand die Augen, weil er sich in seiner Bibliotheksruhe von einem Klavierspieler oder Lachyoga-Schülern gestört fühle. Auffällig sei auch, dass mehr Familien als unter der Woche kämen. „Ich habe schon damit gerechnet, dass die AGB am Sonntag ein Erfolg wird, aber nicht, dass der sich so schnell einstellt“, sagt Heller. An normalen Wochentagen kämen täglich durchschnittlich 3500 Besucher in sein Haus, an den Sonntagen inzwischen bereits circa 2500 – und das bei weit kürzeren Öffnungszeiten als unter der Woche.
Geöffnet ist von 11 bis 17 Uhr
Ein „Community-Projekt“ nennt er seine Sonntags-AGB, ein „Labor“, das die Berliner einlade, sich selbst einzubringen. „Wir geben den Schlüssel für unser Haus der Stadtgesellschaft und sagen: Jetzt macht was daraus.“ Natürlich gebe es auch Stimmen, die meinen, so etwas wie Clown Pipo und Lachyoga würden eine Bibliothek zur „Eventbude“ machen. Für ihn jedoch sei das ein „Statement“, das den angesichts der Digitalisierung ohnehin nötigen Wandel der Institution Bibliothek vorantreibe. Schließlich suchten die Besucher heutzutage mehr als bloß ein gutes Buch oder eine DVD. Dazu gehöre auch, als Bildungs- und Kultureinrichtung am Sonntag geöffnet zu haben – ebenso wie die Museen. Der Deutsche Bibliotheksverband fordere diese Liberalisierung schon lange. Deshalb beobachteten alle Seiten intensiv, wie sich die Sonntagsbibliothek entwickelt.
Die Kinder bei Clown Pipo zumindest sehen inzwischen so aus, als würden sie sonntags nichts lieber machen, als in die Bibliothek zu gehen.