Terror in Istanbul: So reagieren Türken in Berlin
Viele Berliner Türken und Kurden haben Verwandte in Istanbul. Die Anschläge in der Türkei beunruhigen auch den Senat. Istanbul ist Partnerstadt Berlins.
Wahrscheinlich sind Ali Riza Durmus und seine Frau die einzigen, die an diesem Dienstagnachmittag noch nicht wissen, was wenige Stunden zuvor geschah. Die beiden sitzen in ihrem kleinen Laden am Kottbusser Tor, neben der überdachten Adalbertstraße. Das Paar unterhält sich mit einer Kundin. "Haben noch nichts gehört. Was ist in Istanbul passiert?", fragt Ali Durmus. Sekunden später: Im Fernseher in der Ecke des Ladens flimmern Bilder aus Istanbul. Zu sehen ist ein Sicherheitsmann, der ein Absperrband entrollt und quer über den bekannten Sultan-Ahmed-Platz zieht. Die ersten Meldungen: Ein Selbstmordattentäter des „Islamischen Staates“ hat zehn Menschen in den Tod gerissen.
Ali Durmus’ Frau nimmt die Fernbedienung von dem kleinen Tisch neben sich, schaltet lauter. Gebannt schauen beide auf die Bilder aus der Stadt, die sie vor 47 Jahren verlassen haben. Nun, dann aber schnell, nimmt Herr Durmus sein Handy aus der Tasche, dazu einen kleinen Block, voll mit Telefonnummern.
Durmus tippt eine der Nummern ein, druckt die grüne Taste – und wartet: "Ich muss fragen was passiert ist.“ Doch Durmus kommt nicht durch. Seine Frau wendet ihren Blick vom Fernseher zur Tür. Anschläge, Terror, Gewalt - das sei "alter Käse", sagt sie mit harter Stimme. Passiere doch jeden Tag. Dann zögert sie einen Augenblick: "So viele unschuldige Leute. Warum?“ Ihr Mann hält immer noch sein Handy in der Hand.
Auch Canan Bayram (Grüne) hat Verwandte im betroffenen Stadtteil
Tausende Berliner Türken und Kurden dürften am Dienstag mit Sorge in Istanbul angerufen haben. Nach wie vor haben Einwandererfamilien in Deutschland in der türkischen Metropole viele Verwandten und Bekannten.
Die Berliner Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte, ihre Tante lebe im dem vom Anschlag betroffenen Stadtteil. Unabhängig von der aktuellen Tat, verstärkten sich die Konflikte in der Türkei rasant. Mit Blick auf die lange und vielfach kritisierte Unterstützung von Islamisten durch die Regierung in Ankara, warnte Bayram am Dienstag wiederholt vor einer „Aufwertung Erdogans durch die Europäische Union und die Bundesregierung.“
Im Berliner Abgeordnetenhaus sieht das Evrim Sommer (Linke), ebenfalls in der Türkei geboren, ähnlich. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan habe den „Islamischen Staat“ lange unterstützt, nun werde er die Geister, die er einst gerufen habe, nicht mehr los. „In der Türkei herrscht de facto ein Bürgerkrieg“, sagte Sommer. „Und zwar schon lange.“ Der von der erzkonservativen AKP dominierte Staat kämpfe vor allem gegen die kurdischen Rebellen im Osten des Landes, nun aber auch gegen diejenigen Islamisten, die in Erdogan einen Gegner sehen, seit er nach internationalen Druck begonnen hat, die Anti-IS-Koalition zu unterstützten.
Innensenator Frank Henkel: Den Drahtziehern die Stirn bieten
Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) reagierte betroffen. „Wieder hat sich die hässliche Fratze des Terrors unter friedlichen Menschen gezeigt, völlig überraschend und gnadenlos.“ Auch wenn das ganze Ausmaß dieser abscheulichen Tat zunächst noch nicht feststehe, sollte sie dazu verpflichten, im Kampf gegen den Terror nicht nachzulassen und „den verbrecherischen Drahtziehern jederzeit beherzt die Stirn zu bieten“.
Die Berliner Arbeit- und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte, „unsere Gedanken sind in Istanbul – unsere Solidarität gilt unser Partnerstadt.“
Kolat ist in der Türkei geboren, lebt aber seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. In der türkischen Gemeinde in Deutschland befürchten viele, dass das Land in eine Gewaltspirale abrutscht, in der sich viele Staaten des Nahen Ostens seit Jahrzehnten befinden. Seit Monaten kämpft das türkische Militär vor allem gegen kurdische Rebellen, im Südosten des Landes starben dabei Hunderte Kurden.
Kurden halten sich trotz Kämpfen in der Heimat im Exil zurück
Im deutschen Exil aber herrscht bei den Kurden weitgehend Ruhe. Während rechtsradikale, nationalistische Türken vergangenen Herbst in deutschen Städten aufmarschierten und es vereinzelt zu Schlägereien mit linken Kurden kam, blieben prokurdische Kampagnen wie in den 90ern aus. Damals hatten Anhänger der seit 1993 in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK türkische Einrichtungen angegriffen. Kurdische Exilpolitiker - neben Deutschland etwa vor allem in Belgien - setzen sich seit Jahren für gute Beziehungen zum Westen ein, insbesondere mit Blick es Kampfes der Kurden gegen den "Islamischen Staat". Auch in der Bundespolitik hatten einige seitdem eine Neubewertung, wenn nicht gar Aufhebung des PKK-Verbotes gefordert. Diese Bemühungen dürften die Kurden in Deutschland nicht gefährden wollen.