Smartphone-App „berlinHistory“: So lässt sich Berlins Geschichte im Laufen erkunden
Die verschwundene DDR, Geisterbahnhöfe, deutscher Widerstand: Eine neue App zeigt Berliner Geschichte vor Ort. Eine Einladung zur Zeitreise.
Die Berliner kennen ihren Kiez. Man geht durch die Straßen, man kennt die Häuser, die Leute, man weiß, wo es den besten Döner gibt, man weiß, bis um wie viel Uhr der Supermarkt geöffnet ist. Alles, was man braucht eben. Aber es gibt noch viel mehr zu erfahren. Berlin ist wie ein riesiges Museum – jede Straße hat etwas zu erzählen, nur hört meistens keiner zu. Und zu oft weiß man gar nicht, was sich hinter den Fassaden so alles versteckt.
Dagegen soll jetzt eine neue App helfen: „berlinHistory“ ist eine Geschichts-Anwendung, die mit Bildern, Tonaufnahmen, Videos, Informationstexten und Landkarten versucht, den Menschen, die durch Berlin spazieren, ein paar dieser Geschichten näher zu bringen. Es ist ein Projekt von Rainer Klemke, bis 2012 Gedenkstättenreferent des Berliner Senats. Seit drei Jahren arbeiten sein Team und er an diesem riesigen Unterfangen.
Wenn man die kostenfreie App herunterlädt und öffnet, bekommt man schnell ein Gefühl dafür, was für ein umfangreiches Projekt hier gestaltet wurde. Auf der Startseite werden unterschiedliche Felder angezeigt, durch die Nutzer sich durchklicken können: Man kann zu Beginn erst mal einen Text über politische Denkmäler lesen, oder man erfährt Spannendes zum Thema Geisterbahnhöfe. Damit sind die Bahnhöfe gemeint, die in der geteilten Stadt nicht zugänglich waren. Oder man schaut sich eine Zeitleiste an: Bilder vom Brandenburger Tor von 1899 bis 2016 gefällig?
Die App soll immer weiter ausgebaut werden
Auf einer Karte, die den aktuellen Standort des Nutzers ermittelt, erscheinen überall kleine Symbole, in unterschiedlichen Farben, die alle sagen: Hier gibt es etwas zu erfahren. Insgesamt gibt es 600 solcher Symbole, verteilt auf ganz Berlin – aber das Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen. Die App soll immer mehr und immer weiter ausgebaut werden, dabei sollen nicht nur Museen und Stiftungen mitmachen, sondern auch Schulen und Privatpersonen. Eigentlich ist die Plattform eine Art Wikipedia: Wer etwas zu erzählen oder zu zeigen hat, wer über besonderes Wissen über einen Ort verfügt, soll sich bei „berlinHistory“ melden.
Aber auch heute gibt es schon viel zu erfahren: sowohl im Zentrum als auch in den Randbezirken: Auf dem Hindenburgdamm in Steglitz zeigt die App ein kleines weißes Symbol. Wer darauf klickt, lernt etwas über die Geschichte des hier ansässigen Universitätsklinikums Benjamin Franklin. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Grundsteinlegung im Jahr 1959, bei der auch Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, anwesend war. Ein kleines Stück weiter, auf der Walter-Linse-Straße, ist ein rotes Symbol zu sehen. Ein Klick: Das Bild eines Hauses ploppt auf, dazu ein Text: „Walter Linse, Entführt in Berlin.“ Walter Linse? Entführt? Noch ein Klick verrät mehr: Hier lebte Walter Linse, ein Jurist, der 1949 aus Ostdeutschland nach West-Berlin flüchtete, von der Stasi 1952 entführt und schlussendlich 1953 wegen antisowjetischer Propaganda zum Tode verurteilt wurde.
Die Straße, in der ich stehe, gab es so noch gar nicht.
Besonders in Mitte zeigt die Karte unendlich viele Symbole. Und Nutzer sehen nicht nur Bilder oder Texte. Am Potsdamer Platz oder vor dem Brandenburger Tor werden zwei Audio-Führungen angeboten. Dieses Angebot wird laut Machern „zügig ausgebaut“ und bald an weiteren geschichtsträchtigen Orten angeboten. Die Tour, die am Brandenburger Tor beginnt, nennt sich „Die verschwundene DDR“ und führt über 75 Minuten den Boulevard Unter den Linden hinab. Am Brandenburger Tor zeigt die App Bilder aus DDR-Zeiten, als hier noch die Mauer verlief, und während man weiter zuhört, ploppt im Zusammenhang mit dem Inhalt ein Video auf: Hier ist die Rede von US-Präsident Ronald Reagan, als er genau an dieser Stelle die berühmten Worte „Tear down this wall“ sprach. Die Fülle an Bildern, Zeitungsartikeln aus vergangenen Zeiten, Videos und Original-Tonaufnahmen ist immens.
Die vielen Bilder aus der Vergangenheit sind spannend, auch weil Berlin sich so stark verändert hat. Nutzer können außerdem zwischen verschiedenen Kartenansichten wählen. Da ist zum Beispiel der „Straube Plan“ von 1910. Eine Karte der Stadt, die zeigt, wie Berlin vor etwa 109 Jahren aufgebaut war. Hier stellt man auch mal fest: Die Straße, in der ich gerade stehe, gab es so noch gar nicht.
Bei der Leinestraße in Neukölln steht zum Beispiel in Rot: „Leinestraße, im Bau“. Im Treptower Park kann eine spezielle Karte aktiviert werden: die der Gewerbeausstellung 1896. Das war damals die größte und bedeutendste Ausstellung weltweit – davon ist aber nichts übriggeblieben. Mit der App kann man jetzt durch die Grünanlage in Treptow schlendern und gleichzeitig auf dem Handy sehen, was dort mal alles stand: zum Beispiel ein riesiges Ausstellungsgebäude über die Textilindustrie in Berlin, eine Halle über Sportarten, insbesondere Pferde- und Wassersport oder eine Ausstellung zum Gartenbau. Und es soll bald noch mehr geben. Bei der offiziellen Projektvorstellung am Donnerstag erzählten die Initiatoren, dass sie gerade dabei sind, Interviews mit Zeitzeugen der verschiedenen Epochen zu sammeln, um diese dann ebenfalls in der App zur Verfügung zu stellen. Und ab dem 20. Juli soll es ein spezielles Themengebiet zum „Widerstand in Deutschland“ geben, zusammengestellt von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Vorkriegskarten und die Berliner Mauer
Wer sich für Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg interessiert, für den ist die Funktion der Vorkriegskarten spannend. Der Platz der Republik vor dem Bundestag ist eine riesige Grünfläche, die in den Tiergarten übergeht, mit dem Bismarck-Denkmal direkt vor dem Reichstagsgebäude. Den Wandel der Zeit kann man innerhalb weniger Minuten live verfolgen: Man sieht den alten Reichstag, seine Zerstörung im Krieg, die Jahre des Leerstands in der DDR, als hier die Berliner Mauer verlief und dann den Wiederaufbau.
Apropos Berliner Mauer. Natürlich zeigt die App auch stets, wo die damals genau verlief. Wer schon mal als Tourist oder mit Touristen durch Berlin gegangen ist, weiß, wie oft nach der Mauer gefragt wird. „Wären wir jetzt im Osten oder im Westen?“ Auch als Kenner ist man manchmal verwirrt. Mit der App kann man die Frage schnell beantworten. Zum Beispiel: Hier, am Moritzplatz, sind wir im Westen, und da drüben, da war der Grenzübergang zur Heinrich-Heine-Straße. Eine Bilderstrecke zeigt diese zwischen 1961 und 1978.
Die schier unendliche Menge an Daten in der App zeigt vor allem eins: Jeder, auch wenn er oder sie schon immer in dieser Stadt lebt, kann in Berlin noch etwas entdecken. Vor unserer Tür wartet ein Museum.
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