Gegen die Einsamkeit in Corona-Zeiten: So finden Berliner ihr Haustier zum Kuscheln und Gassigehen
Hundebesitzer leben gesünder, mit Katzen kuscheln soll Depressionen vorbeugen. Nicht jeder hat Zeit für ein eigenes Haustier. Doch es gibt Alternativen.
Haustiere machen glücklich. Diese These haben Wissenschaftler längst nachgewiesen. Laut Studien leben etwa Hundebesitzer auch gesünder: Das ist, auch wenig überraschend, zum einen der täglichen Runde mit dem Hund an der frischen Luft zu verdanken – samt gemeinsamer Spiele und Bewegung.
Zum anderen sorgt der Kontakt zum Tier dafür, dass Oxytocin produziert wird. Das sogenannte „Kuschelhormon“ verringert Angst und Stress und verschafft ein Gefühl von Nähe und Geborgenheit. Allein der Blickkontakt in die Hundeaugen soll dafür schon ausreichen.
Insgesamt helfen einem Haustiere dabei, den Blutdruck und den Cholesterinspiegel zu senken. Mit Katzen oder Kaninchen kuscheln oder in sogenannten „tiergestützten Therapien“ Schafe, Ziege oder andere Tiere streicheln soll gar Depressionen vorbeugen. Doch was tun, wenn kein Kontakt zu Tieren da ist, oder die Zeit fehlt, sich um ein eigenes Haustier zu kümmern?
Martina Madajová arbeitet derzeit an einer möglichen Lösung. Die 27-Jährige will eine „Hundesitting-Plattform“ gründen. Auf dem Portal könnten sich Hundebesitzer registrieren, die für eine gewisse Zeit – etwa, wenn sie verreist sind – jemanden brauchen, der mit ihrem Hund Gassi geht.
Und auf der anderen Seite können jene, die gerne Gassi gehen würden, dort ihre Dienste als Hundesitter zur Verfügung stellen. Die Plattform unter dem Namen „Pawhero“, zu Deutsch: „Pfoten-Held“, soll Angebot und Nachfrage zusammenbringen.
„Wem die Verantwortung für einen eigenen Hund zu groß ist, obwohl er Hunde liebt, findet so eine gute Möglichkeit,“ sagt Madajová. Die Preise sollen die registrierten Hundesitter für sich bestimmen.
Ähnliche Tiersitterbörsen gibt es bereits, etwa „Leinentausch“, „Pawshake“ oder „Cat in a Flat“ für Katzenfreunde. Madajová will mit ihrem Start-up allerdings auch ein soziales Ziel verfolgen: Sie wolle „mit dem Hundesitting die Einsamkeit bekämpfen“, sagt sie.
Senioren fühlen sich weniger allein
Menschen würden im Alter oft vereinsamen, die Coronakrise habe die Lage verschlimmert, sagt sie. Schon während des ersten Shutdowns im Frühjahr beschloss Madajová deshalb, sich in ihrem Kiez in Lichtenberg ehrenamtlich für Senioren zu engagieren. Madajová kaufte für ältere Menschen ein und ging mit ihnen spazieren.
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Gleichzeitig betreute sie als Hundesitterin drei Hunde. Auf ihren Spaziergängen mit den Senioren nahm sie manchmal die Hunde mit und merkte, dass die älteren Menschen sich ebenfalls darüber freuten. „Mit so einem Hund an meiner Seite war das Eis schnell gebrochen und wir hatten genug Themen zu besprechen“, sagt sie.
Mit ihrem Unternehmen will Madajová nun diese Idee etablieren. Wer Lust darauf hat, Hundesitter beim Gassigehen zu begleiten, kann sie direkt anschreiben. Sie sucht dann nach passenden Angeboten in Wohnnähe.
„Damit richten wir uns zunächst aber ausdrücklich an Senioren, weil sie in der Pandemie mit am schwersten unter der Einsamkeit leiden.“ Die Anmeldung verpflichtet Hundesitter nicht dazu, jemanden mitzunehmen. Wer das tue, habe aber Vorteile wie eine bessere Sichtbarkeit auf der Plattform.
Schon während ihres Studiums der Betriebswirtschaftslehre in Schweden wollte Madajová eine sozial engagierte Firma gründen. Gerade jetzt, wenn mit den Corona-Schließungen für viele die Einnahmequellen fehlten, gestalte sich unbezahlte Arbeit in Form von Ehrenämtern schwierig, sagt sie.
Die Pfoten-Helden sollen aber mit dem Ausführen von Hunden Geld verdienen und dabei älteren Menschen auch eine Freude machen. „Das ist der Unterschied.“ Die Plattform soll Anfang des kommenden Jahres starten. Sie soll sich aus der Provision in Höhe von etwa 15 Prozent finanzieren, die pro erfolgreicher Buchung anfällt.
Mehr Hunde wurden während Corona abgegeben
Nicht nur Menschen, auch Tiere leiden in der Corona-Pandemie unter Einsamkeit. Das Berliner Tierheim hat aktuell seine Tore geschlossen, doch zahlreiche Angebote laufen in umgewandelter Form weiter. Wer ein Tier adoptieren will, kann sich derzeit auf der Internetseite des Tierheims eine Kurzbeschreibung aller vermittelbaren Tiere anschauen.
Das Tierheim prüft dann im telefonischen Gespräch, welches Tier zu welchem Besitzer passen könnte. Erst wenn „eine gute Kombi“ gefunden wird, kommt es zum persönlichen Termin, wie Pressesprecherin Annette Rost berichtet. „Es wird jetzt vieles im Vorfeld telefonisch geklärt und besprochen."
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Rost weiß, dass es auf Dauer nichts bringt, wenn die Lebensumstände des neuen Tierhalters nicht zu den Bedürfnissen des Tieres passen. „So wie wir Menschen verschieden sind, sind es auch die Tiere“, sagt sie. Zu einem sehr aktiven Sportler passe beispielsweise kein gemütlicher Mops.
Eine Katze, die an Freigang gewohnt war, müsse die Möglichkeit bekommen, das Haus zu verlassen. „Sonst nimmt sie nach zwei Wochen die Wohnung auseinander“, sagt Rost und lacht.
Seit Ausbruch der Coronapandemie sind ihren Angaben zufolge rund 22 Prozent weniger Katzen abgegeben worden als im Vorjahr, jedoch rund 12 Prozent mehr Hunde. Dabei fanden etwas weniger Tiere ein neues Zuhause: rund neun Prozent weniger Hunde und elf Prozent weniger Katzen. Die Tierschützerinnen bewerten dies trotzdem als positive Bilanz. „Es freut uns, dass Menschen sich auch oder gerade wegen der Krisenzeiten für ein Tier entscheiden“, sagt Rost.
Lange Listen für Tieradoption
Rund 1300 Tiere leben im Tierheim in Falkenberg. Darunter sind 260 Hunde und rund 400 Katzen. „Es gibt aber auch eine Menge Tiere, die man hier eher nicht vermutet“, berichtet Rost. Neben Hühnern, Gänsen und Schafen sind es unter anderem Vögel, Schildkröten oder Geckos.
Zwei Esel seien an einen Geschäftsmann vermittelt worden, der sich mit mehreren Höfen in Brandenburg einen Traum erfüllt hatte. „Aber unsere 2,60 Meter lange Boa Konstriktor wartet noch auf ein Zuhause“, sagt Rost.
Wollen Menschen, die sich in der Corona-Zeit einsam fühlen, nun plötzlich ein Tier, rät die Tierschützerin davon ab. „Ein Tier ist nicht dazu da, eine Lücke zu füllen“, sagt sie. Vielmehr brauche es dauerhafte Aufmerksamkeit und Fürsorge. „Man muss sich ehrlich fragen, ob man die Zeit dafür und die Motivation auch noch hat, wenn man nicht mehr im Homeoffice sitzen muss.“
Wer für sein Kind ein passendes Haustier sucht, findet im Tierheim auch ungewöhnlichere Arten vor, wie etwa Farbratten. Die sind Rost zufolge sehr soziale Tiere. Für den „Umgang mit Menschen eigneten sie sich deshalb besser als Hamster, die es nicht mögen, in den Arm genommen zu werden, und zudem nachtaktiv sind. „Das wissen aber viele nicht“, sagt Rost.
Um Tieren nah zu kommen, gibt es im Tierheim für Kinder und Erwachsene viele Möglichkeiten – zumindest unter normaleren Corona-Bedingungen. Rost hofft, dass die Angebote, die in den vergangenen Monaten nach einem gut durchdachten Hygienekonzept liefen, bald wieder starten können.
Gassigehen nur mit Ausbildung
So kommen etwa Kinder mit Leseschwäche einmal wöchentlich ins Tierheim, um eine halbe Stunde lang einer Katze etwas vorzulesen. Die Resonanz war bislang groß. „Katzen urteilen nicht und schimpfen nicht mit einem, selbst wenn man ein Wort zum fünften Mal falsch ausspricht,“ sagt Rost. Kindern und Katzen hätten die Besuche gut getan. „Die Kinder hatten so großen Spaß daran, dass sie zu Hause weiter geübt haben“, sagt Rost.
Erwachsene wiederum können etwa mit den Hunden spazieren gehen. Vorher müssen sie allerdings eine Schulung absolvieren. Während des ersten Shutdowns schnellten die Anfrage in die Höhe. „Viele Menschen in Kurzarbeit wollten mit den Hunden Gassi gehen, aber wir mussten sie erst einmal vertrösten, bis die Schulungen wieder möglich waren“, berichtet Rost. „Das war ganz schlimm für uns.“ Die Schulungen liefen später wieder - allerdings mit begrenzter Teilnehmerzahl. „Bis heute stehe Interessenten noch auf der Warteliste.“
Zurzeit laufen einige Angebote übers Internet. Kinder können sich beispielsweise an „Kinderkonferenzen“ beteiligen. Während der vom Tierheim moderierten Sitzungen tauschen sie sich über Tiere aus, stellen Fragen oder basteln unter Anleitung Katzenspielzeug. Zudem gibt das Tierheim auf Anfrage Tierschutz-Unterricht in Schulklassen . Zu Beginn der Stunde gibt es stets eine längere Online-Führung durch die verschiedenen Häuser des Tierheims. Die Nachfrage für die Kurse sei „extrem hoch“, sagt Rost. Selbst eine deutsche Schule in New York habe bereits an einem der Tierschutz-Seminare des Tierheims teilgenommen.