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Tick, tack, tick, tack: Wie jeder Einzelne Zeit erlebt und nutzt, kann auch Auswirkungen auf unsere gesamte Gesellschaft haben – ein Thema im Denkraum „Mensch“ des Futuriums
© Thilo Rückeis

Erste Einblicke in das "Futurium", Teil 2: Sind wir zu hektisch, um glücklich zu sein?

Höher, schneller, weiter – das Tempo im Alltag ist enorm. Oft haben nicht wir die Zeit im Griff, sondern diese uns. Doch es geht auch anders.

Am 5. September öffnet das „Haus der Zukünfte“ in Berlin. An vier Donnerstagen stellen wir die „Denkräume“ des Futuriums vor und blicken auf Zukunftsthemen, die in den interaktiven Ausstellungen des Hauses erlebbar werden. Diese Woche geht es um die Entschleunigung.

Berlin – Paris. Wer diese Reise antritt, braucht heute zwei Stunden mit dem Flugzeug. Im 19. Jahrhundert wären es mit der Kutsche Wochen, sogar Monate gewesen – nur eines von vielen Beispielen dafür, wie sich unser Leben durch neue Technologien und andere Innovationen verändert hat. Immer häufiger erleben Menschen ihren Alltag als Hetzerei, sehnen eine „Entschleunigung“ herbei, besuchen Workshops zu Achtsamkeit oder Work-Life-Balance. Dabei sind es nicht nur Smartphone und Co, die unser Lebenstempo in die Höhe treiben. Auch der soziale Wandel trägt zur Beschleunigung bei: Lang her die Zeiten, in denen man sein Leben an einem Ort mit ein und demselben Job verbrachte. Wir sind flexibel geworden. Zu flexibel, um glücklich zu sein?

Henrik Walter ist Professor für Psychiatrie mit dem Schwerpunkt psychiatrische Neurowissenschaft und Neurophilosophie an der Universitätsmedizin Charité und leitet den Forschungsbereich Mind and Brain. Er beschäftigt sich mit dem menschlichen Empfinden von Glück und sagt: „Glück ist ein akuter Zustand. Wir können nicht über einen langen Zeitraum glücklich sein; es ist ein zeitlich beschränktes Empfinden, dem wir immer von Neuem nachjagen.“ Von Dauer könne dagegen Zufriedenheit sein, die als positive Grundlage unseres Tuns dient. „Nun kommt noch die Sinnfrage hinzu: Erscheint uns das, was wir tun, sinnvoll, so fühlen wir uns erfüllt“, erklärt der Wissenschaftler.

Muße, Innehalten, Nichtstun

Doch wie so oft im Leben macht es sich der Mensch schwer. Im Moment des Glücks sind wir selten ganz präsent. Meist schweifen die Gedanken schon wieder ab – etwa zur To-do-Liste für morgen, die uns im Nacken sitzt. Mit der Zeit sei es zudem ein echtes Paradox, meint der Neurophilosoph: „Wer im Job erfolgreich ist, bekommt mehr Aufgaben – und somit bleibt weniger Zeit. Weniger Arbeitszeit und weniger individuelle Freizeit.“ Ein neues Projekt verlangt Einsatz, die Beförderung verursacht Stress. Der Fluch des Erfolgs: Er macht uns zwar kurzzeitig glücklich, raubt langfristig jedoch wertvolle Zeit.

Auf individueller Ebene einen Gang zurückzuschalten, ist schwierig. Viele kurzzeitige Erleichterungen erhöhen langfristig die Menge dessen, was getan werden muss. Das merkt jeder, der nach dem Urlaub zurück ins Büro kommt und sich durch eine Flut von E-Mails kämpft. „Dennoch lässt sich nicht pauschal sagen, dass Langsamkeit glücklicher macht“, sagt Walter. Auszeiten seien wichtig: Muße, Innehalten, Nichtstun. Hier seien Achtsamkeitsseminare oder Ratgeber zum Zeitmanagement gute Hilfen, sagt Walter. „Selbst wenn wir diese nicht voll umsetzen können, ja eher die Erfahrung machen, das Hamsterrad dreht sich noch schneller, weil wir jetzt auch noch das Zeitmanagement stemmen müssen: Im besten Falle erwerben wir Strategien und ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge, die uns später zugutekommen.“

Die nachhaltigste Notbremse ziehe ohnehin das Leben: „Krankheit, Todesfälle, Geburten, Schicksalsschläge – diese Wendepunkte lassen uns innehalten und unser Verhalten ändern.“ Wer möglichst rasch etwas für sich tun möchte, für den hat Walter einen Tipp: „Nein sagen!“ Es sei zwar psychologisch schwierig, anderen etwas abzuschlagen, „aber einer der wichtigsten Schritte, um mehr Zeit für sich selbst zu gewinnen“.

Mehr Kontrolle macht uns nicht ausgeglichener

Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Universität Jena, sieht unser individuelles Bestreben, das Tempo zu drosseln, als Form der Anpassung. „Wer ins Achtsamkeitsseminar geht oder versucht, Meditation in den Alltag zu integrieren, greift auf reine Coping-Strategien zurück“, sagt er. Das Problem mit der beschleunigten Zeit sei nämlich kein individuelles, sondern ein strukturelles. „Kulturelles Unbehagen gegen die Zeichen der Zeit gab es schon immer. Nach der Erfindung der Eisenbahn kam es zu Protesten – und das ist 200 Jahre her.“ Es sei nicht mit dem persönlichen Notfallprogramm gegen Stress getan: „Wer die ganze Woche hektisch zu Mittag isst, sich aber am Wochenende der Slow-Food-Welle verschreibt, ändert nichts an der bestehenden Struktur.“

Für ihn würde nur eine grundsätzliche gesellschaftliche Wende etwas verändern. „Unser Ideal in der neoliberalistischen Gesellschaft ist der Wettbewerb – ob in der Wirtschaft oder bei der Förderung von Kindergartenkindern.“ Hartmut Rosa plädiert unter anderem für das bedingungslose Grundeinkommen, das ein angstfreies Leben ohne Leistungszwang ermögliche. „Wir müssen begreifen, dass unser Leben durch ein ‚Höher, Weiter, Schneller’ nicht besser wird.“

To-Do-Listen und Work-Flow-Optimierungen seien lediglich Versuche, die Kontrolle zu erlangen. Doch mehr Kontrolle ist es seiner Meinung nach nicht, die uns ausgeglichener macht. Wichtiger sei der Austausch mit anderen Menschen, aber zum Beispiel auch die Auseinandersetzung mit Kunst; Gartenarbeit könne uns ebenfalls erfüllen. Er selbst findet den Ausgleich durch Musik, aber auch durch die Betrachtung der Sterne: „Mir geht es dann nur darum, ganz im Moment zu sein.“

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