Streit um Magnus-Haus in Berlin: Siemens wiegt schwerer als der Denkmalschutz
Mittes Stadtrat Carsten Spallek hat den Denkmalschutz "weggewogen" und setzt per Dienstanweisung durch: Siemens darf hinterm Magnus-Haus an der Museumsinsel bauen. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft als Mieter fürchtet um ihre Heimat.
Der Streit um das denkmalgeschützte Magnus-Haus am Kupfergraben geht weiter. Wie berichtet, will Siemens in den Garten des Hauses seine neue Konzernrepräsentanz bauen. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), die im Magnus-Haus sitzt, ist dagegen – vor allem, weil sie fürchtet, dann rauszumüssen.
Zwar hat die DPG einen Mietvertrag bis 2024, doch was danach kommt, ist ungewiss. Der Physikprofessor Ingolf Hertel ist entsetzt über die Baupläne des Großkonzerns. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Siemens auch ins Vorderhaus vordringe, fürchtet Hertel, der in der DPG engagiert ist.
Sowohl die Denkmalschützer als auch das Stadtentwicklungsamt des Bezirks hatten das Vorhaben einmütig abgelehnt – die Denkmalschützer sehen darin eine „wesentliche Beeinträchtigung des umgebenden Denkmalbestandes“ und verweisen auf das Weltkulturerbe Museumsinsel direkt vor der Haustür, das Stadtentwicklungsamt hält den Bau aus planungsrechtlicher Sicht für nicht genehmigungsfähig.
Vom Magnus-Haus blickt man aufs Pergamon-Museum. Siemens möchte etwas höher bauen und könnte dann übers Magnus-Haus hinwegschauen.
Bedeutung als größter Arbeitgeber gab den Ausschlag
Genehmigt hat das Ganze der Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), der sich über die Bedenken hinwegsetzte und sogar zum Mittel der Dienstanweisung griff. So wurde ein Bauvorbescheid erteilt. Spallek steht zu seiner Entscheidung. Die Bedenken der Denkmalschützer habe er „weggewogen“, das heißt, in der Abwägung gegenüber der Bedeutung von Siemens hintangestellt, sagt er. „Siemens ist einer der größten Arbeitgeber der Stadt und hat eine entsprechende wirtschaftspolitische Bedeutung“, sagt Spallek.
Im Denkmalschutz gebe es keine so klaren Vorgaben wie im Baurecht. „Da geht es um Begriffe wie ,störend‘ oder um die ,besondere Eigenart des Ensembles‘ – also um unbestimmte Begriffe, die ausgefüllt werden müssen.“ Der Garten sei nicht als Denkmal eingetragen, also müsse die Frage erlaubt sein, ob er schützenswert ist.
Siemens habe seinen Willen auch nicht in allen Punkten erfüllt bekommen – die gewünschte Tiefgarage habe er nicht genehmigt, und das geplante Gebäude wurde gestutzt, vor allem in der Höhe.
Spallek hat die Unterstützung des Senats; es gibt einen Brief des damals Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) an den damaligen Stadtentwicklungssenator und heutigen Regierenden Michael Müller (SPD), in dem Wowereit sich für den Plan stark macht. Genau das findet die Opposition kritikwürdig. Die Grünen haben das Thema zur Diskussion im Bauausschuss angemeldet; wegen der Parlamentsferien kommt es aber erst im September auf die Tagesordnung. Siemens soll auch eingeladen werden.
Ein Haus als Wiege der Physik - und von Siemens?
Der Streit reicht lange zurück; durch die Baupläne gewinnt er an Schärfe. Schon 2001, als Siemens das Gelände für nicht einmal umgerechnet anderthalb Millionen Euro erwarb, fürchtete die DPG um ihr Nutzungsrecht. Der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen erinnert sich: „Unser Ziel war bei allen ehemals in Berlin gegründeten Unternehmen, deren Engagement auch mit Sitz-Verlagerung hierher zu fördern, leider nur ein schöner Traum.“
Das Magnus-Haus ist laut DPG die Wiege der Physik in Deutschland. Der wohlhabende Chemiker und Technologie-Professor Gustav Magnus kaufte das Stadtpalais 1840 und richtete darin auf eigene Kosten ein physikalisches Labor ein, das er der Universität zur Verfügung stellte. Das Institut habe mindestens 30 berühmte Physiker hervorgebracht, sagt Hertel. Auch Werner von Siemens ging ein und aus.
Der Konzern pflegt den Gründungsmythos, dass Werner von Siemens und Johann Georg Halske sich im Magnus-Haus erstmals trafen und dann den Grundstein der Firma legten, die heute ein weltumspannender Konzern ist. „Im Moment wird diese Legende kultiviert“, so Hertel und der wissenschaftliche Leiter des Hauses, Wolfgang Eberhardt. Dass sich Siemens und Halske im Magnus-Haus kennengelernt haben, sei nicht ausgeschlossen, aber es sehe eher so aus, als ob Siemens diese Legende bilde, um das Bauvorhaben mittels Symbolik aufzuwerten.
In dem Vertrag klingt alles toll
Siemens hat das Gelände zwar 2001 erworben, hatte aber schon 1994 zehn Millionen steuerlich absetzbare Euro für dessen Renovierung gespendet. Die Immobilie gehörte zur Erbmasse der DDR und war nach der Wende total heruntergekommen. „Das war zu einer Zeit, als sich Siemens noch als Mäzen der Wissenschaft sah“, sagt Hertel. In dem Vertrag höre sich alles toll an, enger Kontakt zwischen Siemens und der Physikalischen Gesellschaft und so weiter, aber: „Siemens ist anscheinend nicht bereit, uns längerfristig hier im Haus zu dulden.“
In der Tat antwortet Siemens ausweichend auf die Frage, ob und wie lange die DPG im Haus bleiben dürfte. „Die DPG hat einen langfristigen Mietvertrag, meines Wissens bis etwa Mitte der 20er Jahre“, sagte ein Konzernsprecher. Eine feste Zusage für einen Verbleib macht er nicht, aber: „Wir haben ein gutes und konstruktives Verhältnis zur DPG und sind an einem produktiven Miteinander interessiert.“
So sei es gedacht gewesen, erinnert sich Diepgen. „Wir sind immer davon ausgegangen, dass der Sitz der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in diesem Haus durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse nicht gefährdet wird.“