Nach Übergriffen von Köln: Senator Henkel will Überwachungsvideos länger speichern
Nach den Übergriffen von Köln erwägt Berlins Innensenator Frank Henkel, die Speicherfristen für Aufnahmen in S- und U-Bahnen zu verlängern. Bisher beträgt die Frist 48 Stunden
Köln ist überall – auch auf der Senatsklausur am Mittwoch. Innensenator Frank Henkel (CDU) will dort anregen, die Speicherfrist für Videobilder aus dem öffentlichen Nahverkehr zu verlängern. „Die Ereignisse von Köln haben noch einmal bestätigt, dass Sexualdelikte von den betroffenen Frauen nicht immer unmittelbar nach der Tat angezeigt werden“, sagte der stellvertretende Senatssprecher Bernhard Schodrowski am Sonntag dem Tagesspiegel. Womöglich würden sich manche Opfer sexueller Übergriffe erst nach dem schlimmsten Schock und einem Gespräch im Freundeskreis melden. Deshalb wolle Henkel diskutieren, ob die Speicherfrist beispielsweise auf vier oder fünf Tage ausgeweitet werden soll.
Damit steht die Neuauflage einer alten Debatte an – unter veränderten Vorzeichen allerdings, denn die Liste der dank Videoüberwachung aufgeklärten Verbrechen wächst stetig und umfasst auch schwerste Verbrechen wie den Sexualmord an der 18-jährigen Hanna. Der Täter hatte sich gestellt, nachdem die Polizei Überwachungsbilder aus der U-Bahn veröffentlicht hatte. Vor Weihnachten wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.
Aktuell ermittelt die Polizei wegen eines sexuellen Übergriffs einer als arabischstämmig beschriebenen Männergruppe auf eine Touristin in der Neujahrsnacht auf dem U-Bahnhof Kottbusser Tor. Diese Station wird komplett mit Kameras überwacht, was im konkreten Fall aber nichts nützt: Die Frau hatte die Tat erst nach sechs Tagen angezeigt.
Nach Auskunft von Schodrowski soll die Verlängerung der Speicherfrist mit Datenschutz- und Strafrechtsexperten diskutiert werden. Die aktuelle 48-Stunden-Regelung hatten SPD und CDU 2012 gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen beschlossen. Zuvor wurden die Bilder nach 24 Stunden automatisch überschrieben. Anfragen von Abgeordneten ergaben, dass schon diese kürzere Zeit in etwa 95 Prozent der Fälle ausreichte. Im Jahr 2013, als bereits die 48- Stunden-Frist galt, forderte die Polizei 3100 Mal Videobilder der BVG an. In 40 Fällen, also weniger als zwei Prozent, waren sie schon gelöscht. Allerdings ist zu vermuten, dass die Polizei im Wissen um das Zeitlimit oft gar nicht erst gefragt hat.
Was wir brauchen, sind nicht noch mehr Videos für die das Personal der nachträglichen Aufklärung fehlt, sondern wir brauchen endlich wieder eine ordentliche Präsenz und Ausstattung der Polizei.
schreibt NutzerIn butzelmen
Frank Zimmermann, Innenexperte der SPD-Fraktion, reagiert überrascht auf Henkels Forderung. „Wir sind skeptisch, ob man das wirklich braucht, aber wir werden natürlich darüber reden“, sagt er und warnt vor Schnellschüssen.
Linken-Innenpolitiker Klaus Lederer bezeichnet Henkels Plan als bekannte, „hilflose propagandistische Forderung“. Bei Massenansammlungen und aus dem Gedränge heraus begangenen Straftaten wie in Köln würden Kamerabilder ohnehin nichts nützen, sondern nur „Prävention sowie solide Polizeiarbeit gut ausgebildeter und gut bezahlter Beamter.“
Sowohl Lederer als auch sein Kollege Benedikt Lux von den Grünen kritisieren, dass die zusammen mit der 48-Stunden-Frist beschlossene Evaluation der Überwachung bis heute nicht vorliege. Zwar lehnt Lux die weitere Verlängerung der Speicherfrist nicht ganz so vehement ab, aber auch er betont, dass Videoüberwachung „nur ein minimaler Baustein zur Bekämpfung von Straftaten sein kann“. Wichtiger seien „mehr Licht, mehr Leute, mehr Leben“ – und das Bewusstsein der Opfer, dass sie möglichst schnell Anzeige erstatten sollten.
Auf den Bahnhöfen allerdings geht der Trend seit Jahren zu „weniger Leben“: Die früher selbstverständlichen Zugabfertiger sind bei der BVG und den meisten Stationen der S-Bahn abgezogen worden. Nach mehreren schweren Gewalttaten hatte 2012 Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) in einem Brief an Bahnchef Rüdiger Grube mehr Videoüberwachung gefordert. Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) sekundierte mit markigen Worten, dass Datenschutzbedenken der Lokführergewerkschaft GDL „lächerlich“ seien und das Unternehmen womöglich als künftigen S-Bahn-Betreiber disqualifizierten. Praktisch jedoch tat sich bis heute fast nichts – und die S-Bahn muss erst ihre ab 2021 erwarteten neuen Züge mit Videotechnik ausrüsten lassen.