Tonnen verschwinden aus Höfen in Berlin: Senat schaltet sich in Altglascontainer-Streit ein
Die ersten Wohngegenden in Berlin müssen ohne Glastonnen im Hof auskommen. Darüber wird heftig gestritten. Nicht nur, weil die Wege zu den Altglascontainern weit sind.
Sie findet das fürchterlich. Karin Schneider ist 59 Jahre alt und lebt seit 19 Jahren im Allendeviertel in Treptow-Köpenick. Seit Dezember sind dort die Altglasbehälter in den Hinterhöfen weg. 7700 Altglasbehälter wurden insgesamt abgezogen, auch in Wohnsiedlungen in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Sie sind Teil eines einjährigen Modellprojektes. Flaschen und Gläser müssen die Bewohner jetzt in öffentliche Containeriglus bringen. Die sollen ungefähr 300 Meter von Karin Schneiders Wohnung entfernt sein. „Wenn man ein Fahrrad oder ein Auto hat, ist das ja ok“, sagt Frau Schneider, „aber wie sollen das die alten Leute machen, die hier wohnen?“ Dann erzählt sie von ihrer Nachbarin, die fast 90 ist und kürzlich am Knie operiert wurde.
Glascontainer verschwinden aus den Hinterhöfen in Berlin
Erfahren haben die meisten Mieter im Vorfeld nichts von dieser Umstellung, ebenso wie der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg – in einer Nacht-und-Nebel-Aktion sei die Umstellung abgelaufen, hieß es gestern im Abgeordnetenhaus. Und in einer großen Koalition der Empörung tadelten Vertreter aller Parteien das Vorgehen der Firma Duales System Deutschland (DSD), die durch die Umstellung das bewährte System der Glastonnen in den Höfen zerstöre und dafür auch noch die Gebühren der Käufer von Einweggläsern verschwende. DSD-Vertreter Bernd Schneider lieferte sich sogar ein Wortgefecht mit dem Staatssekretär aus der Senatsverwaltung für Umwelt, Christian Gaebler: „Sie können sich nicht aus der Verantwortung“ ziehen, warf Schneider Gaebler vor. Dieser konterte: Es gebe „keine Vereinbarung“ über die Umstellung. Das „Chaos hat allein die DSD zu verantworten“.
Berliner Altglas kann nicht recycelt werden
Tatsache ist: Die Qualität des Berliner Altglases ist so schlecht, dass es nicht mehr recycelt werden kann. Und nach Darstellung der DSD habe die Industrie gedroht, gar kein Berliner Glas mehr abzunehmen, wenn sich daran nichts ändere. In den praktischen Glastonnen in den Hinterhöfen werde zu viel anderer Müll entsorgt. Beim Transport des Glases und durch das wiederholte Verladen würden die Flaschen so klein gemahlen, dass das Material nicht zu festem neuen Glas eingeschmolzen werden könne. Die drohenden Folgen schilderte ein Vertreter der glasverarbeitenden Industrie so: „Wir wollen nicht, dass deshalb das Nutellaglas oder die Sektflasche plötzlich in den Händen zerspringt.“
In Treptow-Köpenick findet ein Altglas-Experiment statt
Was aber ist die Rolle des Senats in dem Streit? Zwar hatte es einen Arbeitskreis unter dessen Beteiligung gegeben. Was dort aber mit der Glasindustrie und der DSD vereinbart wurde, blieb auch nach der Ausschusssitzung unklar. Sicher ist, dass nun Gutachter im Gebiet des Pilotprojektes prüfen sollen, ob durch die Umstellung die Glasqualität besser wird. Vertreter der Opposition forderten, das Pilotprojekt zu stoppen oder wenigstens nicht auszudehnen.
Staatssekretär Gaebler dämpfte die Erwartungen: „Die Entsorgung von Altglas ist ein rein privatwirtschaftlich organisiertes System.“ Der Senat habe keinen Einfluss darauf, wie das Altglas eingesammelt werde. Er warf den Unternehmen vor, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben. Glasbehälter seien ohne Vorwarnung über Nacht abgezogen worden, auch dort, wo es im Umkreis von 300 Metern keine Containeriglus gibt.
Altglas verstopft die Restmülltonnen
Diese Erfahrung hat Karin Schneider in Köpenick schon gemacht. Plötzlich waren die Altglasbehälter weg und sie wusste nicht, wo sie ihre Flaschen hinbringen sollte. „Die Leute schmeißen ihr Altglas jetzt in den Restmüll, anstatt es durch halb Berlin zu tragen“, sagt die Bewohnerin. Lutz Ackermann, Sprecher der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Degewo, sieht das genauso. Die Degewo verwaltet die Wohnsiedlung im Allendeviertel. Er wirft der DSD vor, zulasten der Bewohner Kosten einsparen zu wollen: Weniger Mülltonnen führen zu geringeren Kosten für den Abtransport. Die Rechnung sei einfach. Auch werde das Altglas jetzt keinesfalls besser getrennt. Hausmeister vieler Wohnanlagen berichteten ihm, dass sich Flaschen in den Hinterhöfen türmen. „Außerdem sind die Restmülltonnen voll mit Altglas.“ Für die Mieter bedeute das eine Steigerung der Betriebskosten, sagte Siegfried Rehberg vom Wohnungsverband BBU im Ausschuss. Schon fünf Liter mehr Restmüll verursachen zehn Euro mehr Kosten pro Haushalt im Jahr – Kosten, die auf die Mieter zurückfallen.
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