Verwirrung um Schulöffnungen in Berlin: Senat drückt aufs Tempo – Kritik von Schulen, Eltern und Verbänden
Ab Montag sollen Erst-, Fünft- und Siebtklässler zurück in die Schule. Das hat Experten überrascht. Die Senatsverwaltung sagt, die Schulen waren informiert.
Der Senat beeilt sich bei der Ausweitung der Schulöffnung. Schon ab kommendem Montag, 11. Mai, sollen Erst-, Fünft- und Siebtklässler in die Klassen zurückkehren. Das verkündete der Senat am Mittwochabend, der formelle Beschluss soll am Donnerstag gefasst werden - und überraschte viele Eltern und Schulleiter. Auch Fachleute hatten lediglich damit gerechnet, dass die Jahrgangsstufe fünf wieder in die Schule gehen.
Allerdings betonte Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) am Donnerstag, "ab dem 11. Mai" meine nicht, dass alle drei Jahrgänge schon am Montag zurückkehren müssten. Das sei organisatorisch nicht zu schaffen.
Trotzdem bleibt den Schulen für die Vorbereitung nur der Donnerstag als Arbeitstag. Nicht alle waren offenbar über die Pläne im Bilde.
Kritik vom Landeselternsprecher
Landeselternsprecher Norman Heise zeigte sich von dem Tempo überrascht. „Dass die fünften Klassen kommen sollten, war bekannt“, sagte Heise am Donnerstag. „Dass jetzt aber auch die ersten Klassen mit dabei sind, das hat vielen den Boden unter den Füßen weggerissen.“
Wie das machbar sei, müssten jetzt die Schulen organisieren. „Natürlich sehen wir da Schwierigkeiten, vor allem vor dem Hintergrund der personellen und räumlichen Ressourcen.“ Wie viele Lehrer überhaupt unterrichten können oder zur Risikogruppe gehören und das nicht dürfen, sei sehr unterschiedlich, sagte Heise.
Auf Twitter verwies er noch Mittwochabend auf das Rahmenkonzept der Kultusministerkonferenz von vergangener Woche hin. Darin war ausdrücklich der nötige Vorlauf betont worden, wenn es darum geht Jahrgang für Jahrgang zurück in die Klassenzimmer zu holen.
Neben den Schulträgern und Fuhrunternehmen würde auch die Schulgemeinschaft über solche Schritte "frühestmöglich unterrichtet", hieß es, also Eltern und Schüler. Heise dazu: "Wäre letzte Woche für nächste Woche sicherlich erfüllbar gewesen, aber jetzt?"
Philologenverband spricht von Aktionismus
Kritik kommt auch vom Philologenverband Berlin-Brandenburg, der die Lehrkräfte an den Gymnasien und Gesamtschulen vertritt und den vor allem die Entscheidung stört, am 11. Mai auch die siebten Klassen wieder zu unterrichten. Viele Schulen seien damit überfordert. Auf dem Rücken der Schüler und Lehrer werde purer Aktionismus praktiziert, teilte der Verband am Donnerstag mit.
„Bis zum Schuljahresende sind es dann noch 6,5 Wochen. Davon fällt durch Himmelfahrt und Pfingsten noch eine halbe Woche weg“, so die Verbandsvorsitzende Kathrin Wiencek. „Nebenbei müssen die mündlichen Abiturprüfungen laufen und die Klausuren der 11. Klassen.
Dadurch fallen nochmal Tage raus.“ Wenn überhaupt, sei Unterricht für jeden Schüler nur an einem Tag der Woche realistisch. „Damit würde jeder Schüler höchsten fünf- bis sechsmal in der Schule sein und ob dies wirklich etwas bringt, ist mehr als unwahrscheinlich.“
Pankows Schulstadtrat vermisst Konzept hinter den Öffnungen
Auch der Schul- und Gesundheitsstadtrat von Berlins einwohnerstärkstem Bezirk Pankow, Torsten Kühne (CDU) kritisiert den Senat dafür, dass jetzt alles so schnell gehen soll. Auf die Fünftklässler habe man sich eingestellt, doch insbesondere die Erstklässler haben auch ihn überrascht.
Kühne verweist auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts vom 23. April zum Thema Wiederöffnung von Schulen: "Um einen unkontrollierten Wiederanstieg der Neuinfektionen zu verhindern, erfordert die Wiedereröffnung von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen daher eine vorausschauende Planung." Dazu seien Konzepte und Lösungen zu erstellen und angemessen mit den zuständigen Behörden, im Kollegium und mit den Eltern zu kommunizieren.
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Genau die vermisst Kühne beim Senat. „Leider ist die Senatsbildungsverwaltung nicht den Vorgaben des RKI gefolgt, das ein Rahmenkonzept als Orientierungshilfe für die Wiedereröffnung von Schulen, eine vorausschauende Planung mit einem ausreichenden zeitlichen Vorlauf sowie ausreichend Zeit für die Umsetzung und Anpassung von Konzepten sowie die Abstimmung mit den Gesundheitsämtern empfohlen hat.“
Nun komme es „wieder alleine auf die Kreativität und Flexibilität der einzelnen Schulen und der Schulträger an“. Bereits vergangene Woche hatte Kühne ein Schulkonzept des Senats eingefordert – bisher vergeblich.
Bildungsverwaltung sagt: Wir haben mit den Schulen gesprochen
Die schnellen Öffnungen - und die Informationspolitik des Senats diesbezüglich - waren dann am Donnerstag auch Thema im Bildungsausschuss.
Hat die Senatsbildungsverwaltung mit Schulleitern gesprochen, bevor entschieden wurde, dass in kurzer Zeit weitere Jahrgänge zurückgeholt werden? Das wollte der bildungspolitische Sprecher der CDU, Dirk Stettner, von Bildungsstaatssekretärin Stoffers im Bildungsausschuss wissen.
Stoffers Antwort: "Wir haben mit den Schulleiterverbänden die verschiedenen Öffnungsszenarien besprochen." Zudem sei man auch über Schulaufsicht und über zahlreiche Schreiben in Kontakt mit den Schulen, sie selbst habe auch mit Schulleitern gesprochen, sagte Stoffers. Dass die Rückkehr der Schüler eine organisatorische Herausforderung seien, sei jedoch klar.
Schulen von Senatsplänen überrascht
Dass die Schulen über die Pläne informiert gewesen seien, bestreiten einige Leiter. „Dass die Fünftklässler zurückkommen, darauf waren wir eingestellt. Aber die Erstklässler, das hat uns überrascht“, sagt Yvonne André, Rektorin der Galilei-Grundschule in Kreuzberg.
Am Mittwoch sei die Schule erst nach 22 Uhr über die neuen Regeln informiert worden. Trotz der Kürze der Zeit hätten sie es im Team geschafft, einen Gesamtplan zu entwickeln, sagt André. Dieser sieht vor, dass die Erstklässler nächste Woche an zwei Tagen – dienstags und donnerstags – kommen, in der Woche darauf dann an drei Tagen, montags, mittwochs und freitags.
Ab dann sollen an der Galilei-Schule auch die Zweitklässler und Viertklässler wieder starten, die Drittklässler sollen in der Woche ab dem 25. Mai wieder in die Schule kommen. Die Organisation ist ein Kraftakt: Anfangszeiten müssen gestaffelt werden, Gruppen verkleinert, auf Wege geachtet werden, damit Abstände eingehalten werden können.
„Wir können nicht am Montag sofort 120 Erstklässler einbestellen“
„Keine Schule kann in so kurzer Zeit alles organisieren, aber das wird sich alles nach und nach klären“, sagt Astrid-Sabine Busse, Vorsitzende des Interessenverbands der Berliner Schulleitungen und Rektorin der Grundschule an der Köllnischen Heide in Neukölln.
„Wir können nicht am Montag sofort 120 Erstklässler einbestellen“. Das werde aber nach und nach im Laufe der nächsten Woche geschehen. Dann werde man auch die Rückkehr der weiteren Klassen organisieren. An ihrer Schule seien ohnehin schon kleine Lerngruppen von benachteiligten Schülern zurückgeholt worden. „Wir freuen uns, dass die Kleinen zurückkommen und machen jetzt das Beste draus.“
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Sie begrüßt es, dass die Schulen relativ viel Handlungsfreiheit haben. „Jede Schule ist anders und unter Coronabedingungen sowieso“, sagt Busse. Sie gehe davon aus, dass die meisten Schulen schon Pläne für die stufenweise Rückkehr in der Schublade haben.
Schule habe aus dem Medien erfahren, dass Erstklässler wiederkommen sollen
Auch aus Tempelhof-Schöneberg kommt Verwunderung über die Pläne, die ab Montag den 11. Mai gelten sollen. In dem Schreiben einer Tempelhofer Grundschule von Donnerstag heißt es, man habe am Mittwochabend "aus den Medien und heute morgen dann auch offiziell erfahren, dass ab der kommenden Woche auch die Schülerinnen und Schüler des 1. Schulbesuchsjahres beschult werden sollen. Das hat uns alle sehr überrascht und bedarf einiger Planungen, die wir heute auch noch nicht abschließen können.
Dennoch wirkt das Konzept der Schule sehr durchdacht. Alle Eltern haben ein einseitiges Blatt mit den geltenden Hygienevorschriften erhalten. Demnach sind die Schüler unter anderem aufgefordert, 1,50 Meter Abstand zueinander zu halten. Dies gelte für das gesamte Gebäude, den Schulhof sowie den Schulweg.
Umarmungen und Berührungen sind untersagt. Die Schüler dürfen keine Materialen, Trinkbecher oder Essen austauschen. Markierungen dienen als Hinweise, wo Kinder sitzen sollen. Der unnötige Aufenthalt auf den Fluren ist untersagt. Nach dem Toilettengang sind alle Kinder dazu angehalten, sich 20 Sekunden die Hände zu waschen. Wann genau die Kinder zur Schule kommen sollen, sollen die Eltern sobald wie möglich erfahren.
Schulstadtrat: Ausweitung keine Überraschung
Überhaupt nicht überrascht über die Ausweitungen zeigt sich hingegen der Schulstadtrat aus Tempelhof-Schöneberg, Oliver Schworck (SPD), weist die Kritik zurück, die Schulen hätten sich nicht auf die erweiterte Öffnung vorbereiten können. "Seit Wochen wurde darüber informiert, dass die Schulen schrittweise wieder öffnen sollen. Eine Überraschung war das jetzt nicht", sagte Schworck. Dass es jetzt mit den Erstklässlern am Montag weitergehe, diese Information sei für die Schulleiter neu, aber auch darauf hätten sie sich einstellen können.
Seit Wochen stehe fest, dass die Erstklässler zu den ersten Schülern gehören sollten, die zurück in die Schule sollen, sagte Schworck. "Bei ihnen sei es besonders wichtig, einen kontinuierlichen Lernfluss aufrecht zu erhalten, da sie gerade erst mit dem Lesen und Schreiben lernen angefangen haben".
Er gehe davon aus, dass die Schulen in seinem Bezirk ein Hygienekonzept erarbeitet hätten. Wie sie die Vorgaben umsetzen, ob sie zum Beispiel in Schichten unterrichten, sei ihnen selbst überlassen.
Das Bezirksamt sei vor allem für die Reinigung zuständig. Die Schulen müssten allerdings dem Bezirksamt die Zeiten für die Reinigung mitteilen, so der Bezirksstadtrat.
Schworck geht ebenfalls davon aus, dass die Schulcaterer die erweiterte Öffnung begrüßen werden. Für die Caterer sei es natürlich gut, wenn mehr Kinder bewirtet werden müssen. Er gehe davon aus, dass die Caterer das bis Montag umsetzen können. (mit dpa)
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