"Begegnungszone" in Berlin-Schöneberg: Selbst ein Grüner findet Maaßenstraße teils "grauenvoll"
Die sogenannte Begegnungszone in der Schöneberger Maaßenstraße funktioniert nicht, da sind sich alle einig. Und jetzt? Politiker und Anrainer streben Um- oder Rückbauten an.
Wirklich zufrieden ist offenbar niemand mit dem Umbau der Schöneberger Maaßenstraße zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz. In der „Begegnungszone“, in der sich Auto- und Radfahrer eine schmale, verschwenkte Fahrbahn teilen, gilt Tempo 20. Neue Aufenthaltsflächen für Passanten sollen die Straße gemütlicher machen. Doch selbst Befürworter des im Oktober 2015 gestarteten Pilotprojekts gaben bei einer Diskussion mit Politikern und rund 40 Anrainern am Donnerstag zu, dass die Umsetzung nicht den Erwartungen entspreche. Ayo Gnädig von der Initiative „Rolle rückwärts“ hatte ins Gründerzentrum „hub:werk“ an der Winterfeldtstraße eingeladen.
Kritiker fanden deutliche Worte: Ein Anwohner nannte das Ergebnis „peinlich, infantil und ästhetisch abstoßend“. Einig waren sich alle darin, das etwas geändert werden muss – was genau, bleibt noch zu klären. Die bisherigen Umbauten kosteten nach Auskunft der Berliner Stadtentwicklungsverwaltung 800.000 Euro zuzüglich Planungskosten in Höhe von 200.000 Euro.
Von einer „Entmündigung der Bürger“ sprach der Stadtplaner und frühere Leiter des Instituts für Städtebau der TU Braunschweig, Walter Ackers. Anscheinend seien „Verkehrsplaner, die plötzlich Stadtgestaltung machen“ am Werk gewesen. „Kindisch“ fand Ackers besonders die aufgemalten Fußabdrücke auf Teilen der Fahrbahn, die Autofahrer zur Rücksichtnahme auf Fußgänger bewegen sollen. Es handele sich auch um gar keine Begegnungszone, wie es sie in den Niederlanden und der Schweiz gibt. Dort sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt, in der Maaßenstraße jedoch nicht.
FDP fordert weitgehenden Rückbau
„Ein Großteil muss zurückgebaut werden“, forderte Sebastian Ahlefeld, Vorstandsmitglied der FDP in Schöneberg. Es solle wieder Parkplätze und eine zweispurige Fahrbahn geben. Ahlefeld ärgerte sich auch über die kleinen Spielgeräte für Kinder, die „wie an einer Autobahnraststätte aussehen“. Für Kinder sei die Straße „hochgefährlich“, zumal auch die bemalten Betonpoller direkt an der Fahrbahn zum Spielen verleiten könnten.
Im Juni hatte Ahlefeld gemeinsam mit Initiativen-Gründerin Ayo Gnädig eine Umfrage vorgestellt, wonach eine große Mehrheit der Anwohner und Händler die Begegnungszone ablehnt. Kritisiert wurden der Wegfall von rund 50 Parkplätzen, fehlende Grünflächen, die Poller und das Aussehen der Aufenthaltsbereiche. „Selbst bei gutem Wetter sitzt keiner auf der Betonfläche“, sagte Ahlefeld.
Damit übertrieb er zumindest ein wenig, denn am Donnerstag waren kurz vor 19 Uhr und kurz nach 21 Uhr je etwa ein Dutzend Menschen auf den Sitzbänken zu sehen.
Bürger sollen mitreden
Der CDU-Fraktionschef in Tempelhof-Schöneberg, Ralf Olschewski, regte eine Kurzparkzone im Mittelteil der Straße an. Er wünschte sich „ergebnisoffenen Bürgerdialog“ über Um- oder Rückbauten in der Maaßenstraße – und stellte erfreut fest, dass auch die anderen Parteivertreter anscheinend dafür waren. Anders als bei der Bürgerbeteiligung vor der Schaffung der „Begegnungszone“ dürfe es nicht wieder nur ein von Planungsbüros moderiertes Verfahren geben. Manche der Kritiker argwöhnen, die Konzepte hätten „schon in der Schublade gelegen“, bevor der Bezirk zu Informations- und Diskussionsveranstaltungen eingeladen hatte.
„Wir müssen uns einig sein, dass es Murks ist“, sagte Olschewski. Nur so könne der Bezirk noch etwas Geld für Veränderungen bereitstellen. Aber: „Wir können nicht noch einmal eine halbe Million Euro investieren." Mit weiteren Zuschüssen vom Senat rechnet Olschewski nicht.
CDU und FDP gegen weitere Begegnungszonen
Eine Evaluierung der Veränderungen in der Straße plant auch die Stadtentwicklungsverwaltung. Wie diese Untersuchung verlaufen soll, ist noch unklar. Der Senat hatte den Bezirk zur Teilnahme am Pilotprojekt für Begegnungszonen eingeladen und will das Modell außerdem in Kreuzberg in der Bergmannstraße und am Checkpoint Charlie erproben. Dagegen verlangten Olschewski und Ahlefeld, das Programm zu stoppen.
SPD-Politikerin sieht „ausgewogenes Stimmungsbild“
In der BVV hatten die SPD und die Grünen für die Begegnungszone gestimmt. „Die Bürgerbeteiligung war eine der umfassendsten“, sagte die SPD-Abgeordnetenhauskandidatin Annette Hertlein. Bei einer eigenen Veranstaltung zum Thema habe sie neulich ein „ausgewogenes Stimmungsbild“ festgestellt. Einige Teilnehmer hätten auf Abstimmungskarten für mehr Grünflächen votiert.
Die SPD sei offen für Veränderungsideen und strebe beispielsweise an, das „Nutzungsstatut zu ändern“, damit auf den Aufenthaltsflächen auch mal Feste gefeiert oder Infostände aufgebaut werden dürfen.
Elisabeth Wissel (Linke) sagte, ihre Fraktion habe nur „die Außengastronomie begrenzen und den Lärmschutz nach 24 Uhr gewährleisten“ wollen. Für die Verkehrsberuhigung hätten Fahrbahnschwellen genügt. „Wir können auf Prestigeprojekte verzichten.“
Offensichtlich sei Geld verschwendet worden, sagte der Landesvorsitzende des Bundes des Steuerzahler, Andreas Krause. In Tempelhof-Schöneberg seien „circa 50 Prozent der Gehwege sanierungsbedürftig, da können wir uns solche Spielereien nicht leisten“.
Grünen-Abgeordneter zeigt sich enttäuscht
Beinahe leer geblieben wäre der für die Grünen reservierte Stuhl auf dem Podium. Ein Bezirksverordneter hatte abgesagt. Die Veranstalter fragten aber den Berliner Grünen-Abgeordneten Thomas Birk aus Schöneberg im Publikum, ob er mit auf dem Podium sitzen wolle. Dieser stimmte zu und äußerte sich vermutlich offener, als es ein BVV-Fraktionsmitglied getan hätte. Denn er kandidiert nicht mehr für das Abgeordnetenhaus.
Birk erinnerte daran, dass es wegen „Autorasern, Schankvorgärten und der Ausbreitung der Gastronomie“ einen enormen Druck gegeben habe, die Straße umzubauen. Leider sei das Ergebnis „zum Teil sehr unbefriedigend“ bis „katastrophal“. Auch ihm hätten neue Sitzbänke sowie „Fahrbahnkissen“ gegen Raser gereicht. Aber: „Für einfache Maßnahmen hätte es kein Geld vom Senat gegeben.“
Das Hauptproblem sei die Ästhetik, sagte Birk. Die Metallsitzbänke etwa findet er „grauenvoll“. Die Spielgeräte seien „eine Beleidigung für Kinder“, auch die „Betonklötze“ der Poller sollten weg. Anpassungen und Veränderungen müsse nun der Senat finanzieren: „Es kann nicht sein, dass man einen Pilotversuch macht und dann kein Geld für die Weiterentwicklung gibt.“
Cay Dobberke