Kindesmissbrauch: Schwere Vorwürfe gegen Berliner Nonne
Nach 45 Jahren berichtet eine Frau von traumatischen Erlebnissen im Kinderheim Sancta Maria in Berlin-Wannsee. Der Orden der Hedwigsschwestern will den Fall aufklären.
Seit Bekanntwerden der Vorfälle am Berliner Canisiuskolleg reißen die Nachrichten über mutmaßliche Missbräuche durch Geistliche nicht ab. Der neueste Verdacht in Berlin: Ein früheres Heimkind der Einrichtung Sancta Maria in Wannsee erhebt Vorwürfe gegen eine Nonne der Ordensgemeinschaft der Hedwigschwestern. Die Frau habe in sechs Jahren dort Schläge auf den nackten Hintern, intime Körperpflegerituale und unangemessene Berührungen durch eine Nonne ertragen müssen, die eine Grenze überschritten haben sollen – so lauten die Vorwürfe, mit denen die Ordensgemeinschaft durch das ZDF-Magazin Mona Lisa konfrontiert wurde.
„Der Vorwurf reicht 45 Jahre zurück“, sagt Thomas Gleißner, der von den Hedwigschwestern als Pressesprecher beauftragt wurde. Die Ordensschwestern hätten bereits Kontakt zur inzwischen 79-jährigen Beschuldigten aufgenommen. Laut Gleißner sei die ehemalige Nonne entsetzt über den Vorwurf, es handle sich um sexuellen Missbrauch. Sie hatte den Orden 1986 verlassen, was „nichts mit den aktuellen Vorwürfen zu tun hat“, wie die Generaloberin der Hedwigschwestern erklärt.
Das mutmaßliche Opfer hatte sich letztes Jahr an die Heimleitung gewandt und um Einsicht in ihre Akte gebeten. Doch aus dieser Zeit liegen keine personalisierten Unterlagen mehr vor, sagt Gleißner. Daraufhin habe es ein Gespräch mit dem jetzigen Heimleiter gegeben, in dem die Betroffene von belastenden Strafen berichtet habe. „Sexuellen Missbrauch hat sie damals nicht erwähnt“, sagt Gleißner.
„Wir sind tief betroffen über die Vorwürfe“, sagt Generaloberin Schwester Vincentia. Der Orden habe der Betroffenen ein Gespräch angeboten und wolle „alles daransetzen, den Fall rückhaltlos aufzuklären“. Die Hedwigschwestern schließen eine systematische sexuelle Misshandlung aus, so Gleißner, „es sind keine weitere Fällen bekannt“. Vorsichtshalber hat der Orden den Rechtsanwalt Hansgeorg Birkhoff als externen Ansprechpartner und Ermittler eingeholt.
Fragwürdige Erziehungsmethoden mit Schikanen und Schlägen, die es in katholischen Kinderheimen in den 50er und 60er Jahren nachgewiesenermaßen gegeben hat, seien allerdings ein Thema, bestätigt Gleißner. In einer Arbeitsgemeinschaft mit anderen Ordensgemeinschaften versuchen die Hedwigschwestern demnach, die pädagogische Vergangenheit aufzuarbeiten.
„Dass Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen vorkommt, ist bekannt“, sagt Alexander Markus Homes, selbst ein Opfer, das jahrelang zu dem Thema recherchiert hat. „Pädophilie bei Frauen wird dagegen immer noch verschwiegen und sollte stärker thematisiert werden.“ Die bundesweiten Fälle, die er zusammengetragen hat, reichen vereinzelt bis in die Gegenwart, sagt der Autor von „Gewalt und Lust im Namen Gottes“. Er gehe davon aus, dass mindestens die Hälfte dieser Missbrauchsfälle von Frauen begangen werden. Es gibt nur wenige Studien dazu, Untersuchungen der offiziellen Fälle kommen auf niedrigere Zahlen.
„Missbrauchsopfer von Frauen vermeiden es, darüber zu reden“, sagt Dirk Friedrich vom Verein ehemaliger Heimkinder. Warum, kann der Ansprechpartner für Opfer nicht erklären. Der spätere Berliner war selbst bis 1964 in einem Kinderheim der Hedwigschwestern in Lippstadt. Dort sei er von Nonnen misshandelt und „pervers missbraucht“ worden, wie er sagt. Er habe als Bettnässer Spritzen in den Unterleib bekommen und sich regelmäßig nackt ausziehen müssen und sei mit dem Rohrstock geschlagen worden. Die Ordensgemeinschaft in Lippstadt bestreitet derlei Vorwürfe bis heute.
Ferda Ataman