Frauenhäuser in Berlin sind überbelegt: Schwangere und Tochter landen auf der Straße
Eine schwangere Frau und ein Kind sind in Not. In der Notunterkunft für Obdachlose können sie nicht bleiben – und die Ämter kommen nur langsam in Gang. Jetzt heißt es: die Frau soll ausreisen.
Etwas stimmte nicht, das sah man sofort. Die schwangere Frau und die beiden Mädchen waren viel zu dünn angezogen für die kühle Nacht. Sie saßen am Rande eines Spielplatzes in Spandau und machten einen verstörten Eindruck. Eine Passantin sprach sie an, und am Ende landete die Frau mit ihrer jüngeren Tochter in einer Notunterkunft für Obdachlose in Pankow. Doch dort können sie nicht bleiben, und lange war nicht einmal ganz klar, welche Behörde sich um die Familie kümmern müsste. Das ist inzwischen geklärt, aber eine wirkliche Lösung für die Frau gibt es auch jetzt nicht.
„Wir sind total überfordert“, sagte Mara Fischer, die Leiterin der Notunterkunft des Vereins Mob e.V. am vergangenen Donnerstag. „Bei uns kommen vor allem Männer, auch etliche Suchtkranke unter. Das ist kein guter Ort für ein neunjähriges Kind. Wir können die beiden nicht angemessen betreuen und schützen, zumal wir fast nur mit Ehrenamtlichen arbeiten.“
Wie war es zu der Situation gekommen? Am Dienstagabend rief eine Mitarbeiterin der BIG-Hotline (Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen) den Sozialarbeiter der Pankower Notübernachtung an und bat ihn um Hilfe. Eine Frau mit Kindern sei in Not, und die Frauenhäuser seien belegt. Sie wusste, dass Mob e.V. kürzlich ein Familienzimmer für Notfälle eingerichtet hatte. „Also bin ich nach Spandau gefahren und habe sie abgeholt“, erzählt Samyr Bouallagui, der Sozialarbeiter. Die Einrichtung hat nur über Nacht geöffnet, tagsüber müssen die Obdachlosen die Unterkunft verlassen. Die Frau und ihre Tochter dürfen zwar auch am Tag bleiben, aber auf Dauer gehe das nicht, schon allein deshalb, weil es keine Betreuer gebe.
Was genau der Frau widerfahren ist, das versuchen die Helfer noch herauszubekommen. Es ist nicht einfach, weil die Frau nur Polnisch spricht. Ihr Lebensgefährte muss offenbar bald eine Haftstrafe antreten und seine Wohnung aufgeben. Er suchte deshalb eine andere Unterbringung für die Frau und die Kinder. Die ältere Tochter, 17 Jahre alt, sei bereits verheiratet, möglicherweise zwangsverheiratet, sagt der Sozialarbeiter. Bei der Familie dieses jungen Ehemanns landete die schwangere Mutter mit ihrer neunjährigen Tochter und der 17-Jährigen schließlich. Dort ging es gewalttätig zu, die Frau und ihre Kinder flohen aus der Wohnung.
Von der 9-Jährigen wollte sich die Mutter nicht trennen
Die 17-Jährige kam in einem Mädchenprojekt unter, doch von der 9-Jährigen wollte sich die Mutter nicht trennen, berichtet der Sozialarbeiter. Samyr Bouallagui und Projektleiterin Mara Fischer telefonierten sich seit Dienstag die Finger wund. Denn egal, wie auch immer die Frau und ihre Kinder in diese Situation gekommen sind: Jetzt brauchen sie Hilfe. Sie müssen in eine sichere Wohnung oder zumindest in ein Wohnheim für Frauen mit Kindern. Aber das geht nur, wenn sie von einem Sozial- oder Jugendamt eine Kostenübernahme bekommen. „Wir haben herausgefunden, dass wir uns ans Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf wenden müssen. Aber dort wurde uns zunächst nicht geholfen“, sagt Fischer. Bei Obdachlosen ohne Meldeadresse entscheidet es sich nach dem Geburtsdatum, welcher Bezirk zuständig ist. Und in diesem Fall wäre es Charlottenburg-Wilmersdorf.
Die Jugendamtsleiterin dort, Uta von Pirani, sagt, dass sie erst am Freitag erfahren habe, dass die Frau in der Notunterkunft nicht bleiben könne. „Wir kümmern uns seit Mittwoch um den Fall, aber wir müssen auch die Zuständigkeiten klären. Der Fall ist kompliziert, auch weil es um eine EU-Bürgerin geht.“ Sie sei aber zuversichtlich, dass am heutigen Montag eine Lösung gefunden werde.
Am Montagvormittag fand dann ein Treffen zwischen der Frau, Jugendamtsmitarbeitern und Betreuern aus der Notunterkunft statt. Das Ergebnis: die Berliner Ämter können kaum etwas für die Frau tun. Sie bieten an, der Frau und den Kindern die Fahrkarten nach Stettin zu bezahlen. Für weitere Ansprüche gebe es keine rechtliche Grundlage. Ob die Frau darauf eingehe, zurück nach Polen zu fahren, das ist völlig unklar. Möglicherweise versuche sie doch noch, in Berlin irgendwo unterzukommen, sagt Bouallagui. Ein Bekannter werde sie wahrscheinlich am späten Nachmittag aus der Notunterkunft abholen.
Die Frauenhäuser klagen über Überlastung
Und warum gab es keinen Platz im Frauenhaus? Die Einrichtungen klagen schon lange, dass sie überlastet seien. „Seit drei Jahren sind wir eigentlich immer voll belegt“, sagt Pari Tamoori vom Frauenhaus Bora. „Wir mussten schon Frauen sagen, dass wir keinen Platz haben. Manche sagen dann, ’ich halte es noch aus’ und ertragen die gewalttätige Situation zu Hause weiter.“
Bei der Senatsverwaltung für Frauen, Arbeit und Integration kann man die Überlastung der Frauenhäuser nicht ganz nachvollziehen. „Wir hatten im vergangenen Jahr eine Auslastung von 88 Prozent“, sagt Sprecher Christoph Lang. Es könne schon mal Tage geben, an denen alle 326 Plätze belegt seien. Für Notfälle finde man aber immer eine Lösung. Und auch an besagtem Dienstag seien nach Informationen der Senatsverwaltung noch vier einzelne Plätze frei gewesen. Die Mitarbeiterin der BIG-Hotline habe der polnischen Frau angeboten, sich am nächsten Tag wieder zu melden, damit man nach einer Lösung suche. Das habe diese aber nicht getan.
Wie auch immer, die Frauenhäuser fordern mehr Plätze, auch mehr Geld für Personal wäre nötig. Inzwischen kämen viele geflüchtete Frauen zu ihnen, und diese bräuchten zusätzliche Betreuung, Unterstützung bei Behördengängen, Sprachmittler. Das Problem ist der Verwaltung von Senatorin Dilek Kolat (SPD) bekannt. Sie würde gern ein Frauenhaus speziell für geflüchtete Frauen eröffnen, aber die Verhandlungen im Senat darüber sind noch nicht abgeschlossen.