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Starke Bilder: "Swan Lake Reloaded" läuft ab heute im Admiralspalast
© promo

"Swan Lake Reloaded": Schwanensee auf Drogen

Er ist der Dealer der Schwäne: Fredrik Rydman mixt im Admiralspalast Schwanensee mit Streetdance. Und im Mai choreografiert er den Eurovision Song Contest für Schweden.

Fredrik Rydman ist der Mann, der Europa davon abhalten soll, aufs Klo zu gehen. Dafür ist ja bekanntlich nicht viel Zeit, wenn 26 Länder ohne Werbeunterbrechung gegeneinander ansingen. Wie also will der Choreograf es schaffen, dass die Fernsehzuschauer nicht doch in den kurzen Pausen verschwinden, die er beim Finale des Eurovision Song Contest am 14. Mai zu füllen hat? „Auf keinen Fall mit schwedischem Folklore-Scheiß“, sagt er und grinst sein sympathischstes Boygroup-Grinsen.

Warum ausgerechnet dieser ehemalige Tänzer auch für ESC-Muffel ein Grund sein könnte, vielleicht doch mal reinzuzappen, davon kann man ab Dienstag im Admiralspalast einen Eindruck bekommen: Dann kommt Rydmans Interpretation des Tschaikowski-Balletts „Schwanensee“ auf Tour, in der die Schwäne drogensüchtige Prostituierte sind, Zauberer Rotbart ihr dealender Zuhälter.

Eigentlich, sagt Fredrik Rydman sei das doch alles ganz logisch. Man müsse nur genau hinsehen, hinhören. Alles begann, als der heute 41-Jährige, damals noch aktiv in Schwedens erfolgreichster Tanzcompany Bounce, in einem Londoner Schaufenster einen gefälschten Pelz und Nuttenstiefel sah. „Ich dachte: Ach, das ist wirklich ein Klischeebild von einer Prostituierten.“ Doch gleichzeitig schoss ihm ein zweiter Gedanke durch den Kopf: Wie ein Schwan! „So kam mir die Idee: Vielleicht ist es das, was die Schwäne in ,Swan Lake‘ waren?“

Jahre später steht Rydman auf dem Dach der Stockholm Globe Arena, einer überdimensionalen Kugel in einem betonlastigen Neubaugebiet im Stadtteil Johanneshov. Hier wird am 14. Mai das musikalische Zentrum Europas liegen, zumindest für jene, die trotz des hohen Trashfaktors noch an den Gesangswettbewerb glauben. Selbstverständlich ist Fredrik Rydman so einer. „Es ist eine großartige Idee, um die Leute in Europa zusammenzubringen“, sagt er. „Unabhängig von der Qualität ist es doch in der heutigen Situation umso wichtiger, so etwas zu haben.“

Sein Flashmob für Michael Jackson fand tausende Nachahmer weltweit

Ein schräger Fahrstuhl bringt Besucher am Dach entlang auf die Kugel-Arena, die 1989 als das größte sphärische Gebäude der Welt eingeweiht wurde. Hier wurde schon der Song Contest 2000 ausgetragen, hier hat Rydman mit der Abschlusstour seiner Bounce Streetdance Company im Jahr 2010 drei Abende hintereinander vor ausverkauftem Haus getanzt, vor 50 000 Menschen.

Als Bounce nach dem Tod von Michael Jackson 2009 einen Flashmob in Stockholm organisierte und die Welt aufforderte, es ihnen gleichtun, tanzten Tausende von Seattle bis Seoul spontan und gemeinsam zu „Beat it“ – auch am Brandenburger Tor versammelten sich mehrere hundert Tänzer.

Ein Ort mit guter Erinnerung also für den Mann, der nun in einer farbverschmierten Jogginghose und orange-weißen Basketball-Sneakern mit blauen Schnürsenkeln über seine Stadt blickt, den Fahrradhelm noch immer in der Hand. Die angegrauten Haare verstärken das Bild eines gealterten Boygroup-Stars, immer noch ordentlich durchtrainiert, aber modisch im Streetdance hängen geblieben. Keine Spur von Allüren bei einem der begehrtesten Choreografen der Welt.

Frauen werden auf der Bühne als Objekte dargestellt, austauschbar

Rund 300 000 Menschen in ganz Europa haben „Swan Lake Reloaded“ bereits gesehen. Dass klassische Musik und Streetdance gut zusammenpassen können, weiß man in Berlin ja spätestens seit Christoph Hagels „Flying Bach“. Rydman geht noch einen Schritt weiter, indem er auch die Musik mit modernen Elementen mischt. Tschaikowski wird mal mit Beat unterlegt, mal gebremst, verlangsamt, wie beim Scratchen einer Platte. Die Figuren bewegen sich dazu wie in Zeitlupe. „Swan Lake Reloaded“ schwappt hin und her zwischen düster-intensiven Szenen, wenn Rotbart seine Schwäne auf Entzug setzt, um sie zu manipulieren, ist dann aber auch – wenn die Partitur schneller wird – wieder bunt wie Rydmans Schnürsenkel.

Bühnenbildnerin Lehna Edwall legt den Tänzerinnen goldene Bilderrahmen ums Gesicht, bunte Kissen auf den Kopf, Kerzenständer auf die Brüste. Frauen als austauschbare Objekte. Das stärkste Bild aber ist gleichzeitig das einfachste: Das Solo der vier Schwäne, die vielleicht berühmteste Ballettszene überhaupt, hat Rydman genial zitiert, indem die Schwäne auf dem Boden liegen, ihre Füße allein tanzen. Unverkennbar und völlig neu. Ein Bild, das sich einprägt.

Frauen sind Objekte, austauschbar.
Frauen sind Objekte, austauschbar.
© promo

Seine Kunst, solche Bilder zu erschaffen, ist auch der Grund, warum die ESC-Verantwortlichen in Schweden auf Rydman setzen. Und natürlich, weil vermutlich er es war, der den Song Contest überhaupt nach Schweden geholt hat. Rydman hat die Choreografie für den Siegersong „Heroes“ von Måns Zelmerlöw im Vorjahr gemacht, und viele sagen: An der Musik lag der Erfolg nicht. Rydman grinst: „Der Song war nicht so doll“, sagt er, „aber natürlich hat Zelmerlöw das gewonnen.“ Trotzdem weiß er, dass seine Bilder einen großen Anteil daran hatten. Zelmerlöw tanzte mit einem virtuellen Strichmännchen, ziemlich süß und vor allem: einprägsam. „Ich glaube, die Leute sind ein bisschen emotional involviert worden, das ist es, was du erreichen musst“, sagt Rydman.

Deswegen hat er nun also die Aufgabe, Schweden witzig, charmant und weltoffen darzustellen. „Ganz einfach, oder?“, sagt er und lacht. Ach ja, und gleichzeitig soll es natürlich ganz Europa gefallen, 150 Millionen Zuschauern vom Balkan bis Irland. Was also erwartet uns am 14. Mai? Wird natürlich noch nicht verraten. Nur so viel: Es könnte sein, dass es ein bisschen Tanz gibt.

„Swan Lake Reloaded“, 16. bis 21. Februar, 20 Uhr, Mo–Sa 20 Uhr, Sa+So 15 Uhr. Admiralspalast, Friedrichstraße 101–102, Mitte. Karten ab 28 Euro. Die Reise nach Stockholm fand auf Einladung von Semmel Concerts statt. Mehr Infos: www.semmel.de und www.swan-lake-reloaded.de

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