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Brigitte Thies-Böttcher leitet das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster seit 2008.
© Vincent Schlenner

Evangelisches Gymnasium zum Grauen Kloster: „Wir missionieren nicht“

Die Direktorin des Grauen Klosters freut sich über Schüler, die zuhören können und nicht nur auf Effizienz ausgerichtet sind. Ein Gespräch über Religion, Tradition und die Schönheit alter Sprachen.

Frau Thies-Böttcher, am 14. September feiert Ihre Schule, dass sie seit fünfzig Jahren den Namen Evangelisches Gymnasium zum Grauen Kloster trägt. Dabei gibt es das Gymnasium zum Grauen Kloster ja schon seit 1574 in Berlin.
Das stimmt. Das Gymnasium zum Grauen Kloster in Mitte wurde im Krieg zerstört. In der DDR wurde die Schule als Erweiterte Oberschule weitergeführt, aber der Name wurde getilgt. Ehemalige Klosteraner wollten, dass die Tradition fortgeführt wird, und suchten im Westen nach einer geeigneten Schule. Gefunden wurde schließlich das Evangelische Gymnasium, das nach dem Krieg in Tempelhof aufgebaut worden war und später nach Schmargendorf umzog. 1963 übernahm die Schule dann den Namen Graues Kloster.

Inwiefern wurde auch die Tradition des alten Grauen Klosters übernommen?

An unserer Schule gibt es eigentlich zwei Traditionen – die des Evangelischen Gymnasiums und die des Grauen Klosters. Das war ja keine dezidiert evangelische Schule. Wir haben vom Grauen Kloster die altsprachliche Tradition mit den Pflichtfächern Latein und Altgriechisch und das humanistische Bildungsideal übernommen. Die Tradition zeigt sich auch an Begrifflichkeiten. Wir verwenden die lateinischen Klassenbezeichnungen, also zum Beispiel Sexta statt fünfte Klasse, und die Mensa heißt Refektorium. Tradition ist wichtig, aber es ist vor allem wichtig, nach vorne zu schauen, Traditionen weiterzuentwickeln.

Und was ist die evangelische Tradition?

Wir verstehen uns als Schulgemeinde und betrachten das Evangelium als wichtige Grundlage, aus der heraus die Aufforderung zur Nächstenliebe und die Verantwortung für die Umwelt folgt.

Wie wird das in der Schule umgesetzt?

Wir haben eine wöchentliche Andacht und feiern auch die kirchlichen Feiertage gemeinsam. Soziale Kompetenz ist für uns ganz wichtig. In der zehnten Klasse machen alle Schüler ein zweiwöchiges Praktikum in einer diakonischen Einrichtung, sie arbeiten mit alten oder behinderten Menschen. Wir führen dies in Form einer Klassenreise durch, die Schüler wohnen dann auch dort, zusammen mit ihren Lehrern. Das ist eine ganz intensive Erfahrung.

Die Schule zählt zu den angesehensten der Stadt. Wie wählen Sie Ihre Schüler aus?

Wir erwarten keine Gymnasialempfehlung, aber die Kinder sollen in den Kernfächern, also Deutsch, Mathematik, Sachkunde und Englisch mindestens eine Zwei haben. Die meisten unserer Schüler haben allerdings bessere Noten. Uns kommt es vor allem darauf an, dass die Kinder wach, aufgeschlossen und bereit zu lernen sind. Wir nehmen uns für die Auswahl Zeit und führen mit Eltern und Kindern Gespräche.

Beeindruckt es Sie, wenn das Kind schon im Kindergarten Mandarin gelernt hat und Geige und Hockey spielt?

Ach, Sie spielen auf die sogenannten Helikopter-Eltern an, die ständig über ihren Kindern kreisen. Ein Kollege sprach in dem Zusammenhang einmal von panischer Frühförderung und Kontrolle. Nein, das ist kein Auswahlkriterium für uns. Wir freuen uns, wenn Kinder ein Instrument spielen und wenn sie für Literatur, Geschichte, ihre Umwelt allgemein, fürs Zuhören und Geschichtenerzählen aufgeschlossen sind – alles, was das Lernen entschleunigen kann und nicht nur auf Effizienz ausgerichtet ist.

Welche Rolle spielt es für Sie, ob die Eltern evangelisch sind?

Das spielt schon eine Rolle. Aber wenn wir den Eindruck haben, das Kind passt sehr gut zu uns und ist den Anforderungen gewachsen, dann nehmen wir es auch auf, wenn es nicht getauft ist und die Eltern nicht kirchennah sind. Wir fragen die Eltern, wie sie zur Kirche, zum Glauben und zu Wertefragen stehen. Eine positive Haltung ist uns dabei selbstverständlich wichtig, denn die Kinder müssen ja bei uns bis zum Abitur am Religionsunterricht teilnehmen. Wir missionieren nicht, lassen unseren Schülern viel Freiheit zur eigenen Willensbildung.

Gibt es auch Schüler anderer Religionen?

Ja, sie sind zwar in der Minderzahl, aber wir haben auch katholische, jüdische und ein paar wenige muslimische Schüler. Aber das sind in der Regel Kinder aus Familien mit akademischer Bildung.

Das gilt ja für die meisten Ihrer Eltern. Gibt es Bestrebungen, die Schule zu öffnen und auch andere Familien anzusprechen?

Zugegeben, unsere Schule hat schon etwas Insulares. Als ich anfing, war mein Ziel, die Schule durchlässiger zu machen, aber das ist ganz schön schwer. Das hängt zum einen mit unserem Standort in Schmargendorf zusammen, zum anderen aber auch mit unserem Profil. Es ist nicht so einfach, Eltern anzusprechen, die vielleicht in Neukölln wohnen und selbst keine höhere Bildung mitbringen und ihnen den Wert von drei oder vier Fremdsprachen, davon zwei altsprachlichen, zu vermitteln.

Würde es den Schülern nicht mehr nützen, moderne Fremdsprachen zu lernen?

Latein ist für uns eine entscheidende Grundlage für das Erlernen von Sprachen allgemein, für das Verstehen von Sprachstrukturen. Kinder, die Latein gelernt haben, lernen andere Sprachen viel bewusster und auch leichter. Wir fangen in der fünften Klasse damit an, und dabei lernen die Schüler auch, wie man lernt. Das bringen sie aus der Grundschule doch nicht immer mit. Diese Grundlagen wirken sich auch auf andere Fächer aus.

Und Altgriechisch?

Schüler sagen mir oft, dass sie Altgriechisch viel schöner als Latein finden, es ist die Sprache der Philosophie, der Poesie. Ich selbst habe es nicht gelernt, aber ich glaube, es kann ein sehr persönliches und bereicherndes Bildungserlebnis sein. Man muss ja auch nicht alles vom Effizienzgedanken aus beurteilen. Aber es wird in der Tat auch bei uns in der Eltern- und Lehrerschaft darüber debattiert, ob man die Verpflichtung zum Altgriechisch bis in die Oberstufe etwas modifizieren könnte. Klar ist aber auch, dass uns die alten Sprachen sehr kluge Kinder bescheren, die ein enormes Bildungspotenzial haben. Schließlich gehören Christentum und Antike zu unseren Wurzeln.

Sie haben selbst einmal von Ihrer Schule als einer „Insel der Seligen“ gesprochen. Gibt es denn bei Ihnen überhaupt keine Probleme?

Vieles können wir tatsächlich hier raushalten. Wir haben andere Probleme. Manche Eltern sind beruflich so eingespannt oder oft auf Reisen, dass sie nur selten für die Kinder da sind.

Noch mal zurück zur Tradition des Grauen Klosters. Es gibt ja Pläne, am alten Standort wieder eine Schule aufzubauen. Wie weit ist das gediehen?

Es gibt einen Bebauungsplan, und es gab auch schon einen Architekturwettbewerb und eine Machbarkeitsstudie. Der Förderverein Graues Kloster Mitte engagiert sich dafür, ehemalige Ostabsolventen und engagierte Bürger der Stadt sind dabei, auch ich bin im Vorstand. Das Problem ist, dass die Grunerstraße dafür zurückgebaut werden müsste. Im Moment ist es ein Zukunftsprojekt und kann erst im Zuge der Reurbanisierung des gesamten Gebietes realisiert werden.

Würden Sie es denn begrüßen, wenn es ein zweites Graues Kloster gäbe?

Ich stehe dem positiv gegenüber, zumal es eine solche Schule in Mitte nicht gibt. Aber natürlich ist die Frage berechtigt, ob sich eine Tradition und die Identität einer Schule teilen oder verpflanzen lässt. Es wird dann eben eine Schule unter demselben Namen an zwei Standorten geben – in einer Stadt, die lange geteilt war, sicher nichts Ungewöhnliches.

Am Sonnabend, den 14. September, feiert das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster die 50-jährige Traditionsübernahme. Um 12.30 Uhr beginnt der Festakt in der Aula (Salzbrunner Str. 41, Schmargendorf). Um 11 Uhr findet in der Kreuzkirche (Hohenzollerndamm 130, Wilmersdorf) ein Gedenkgottesdienst statt.

Brigitte Thies-Böttcher ist die erste Frau an der Spitze des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und leitet es seit 2008. Mit ihr sprachen Claudia Keller und Sylvia Vogt.

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