Ferienprogramm im FEZ-Berlin: Unsere kleine Stadt in der Wuhlheide
Sie sind Bürgermeister, Straßenreiniger, Tierpfleger und Verkäufer: Im FEZ in der Wuhlheide regieren in den Ferien die Kinder.
Die Ehe für alle, egal ob homo oder hetero, die hat Anastasia schon vor zwei Jahren eingeführt. Damals war sie zwölf und zwei Wochen lang Bürgermeisterin. „Tiere oder Gegenstände heiraten, das geht aber nicht, haben wir entschieden“, stellt sie klar. Auch noch ein paar andere Gesetze hat sie in ihrer kurzen Amtszeit auf den Weg gebracht, zum Beispiel hat sie ein Sozialamt eingeführt und Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder, die nicht so gut mit Geld umgehen können.
Wer denkt, in Berlin braucht die Politik immer ewig, bis etwas vorangeht, der sollte mal in die Wuhlheide fahren und sehen, dass es auch anders geht. Dort, im FEZ-Berlin, dem riesigen Kinder-, Jugend- und Familienzentrum, dessen Gebäude noch aus DDR-Zeiten stammt, regieren nämlich gerade die Kinder. FEZitty heißt ihr Reich, das allerdings nur bis Ende der Sommerferien Bestand hat.
Das Ganze ist ein Planspiel, bei dem Kinder von sechs bis 14 Jahren eine Stadt simulieren. Sie arbeiten dort, studieren und vergnügen sich, zahlen Steuern und können als Politiker mitbestimmen, wie sich die Stadt weiterentwickeln soll und welche Regeln gelten. Sogar Streiks und Banküberfälle hat es schon gegeben.
Alle zwei Jahre erwacht die Kinderstadt im FEZ zum Leben, seit 15 Jahren schon, und viele Kinder kommen immer wieder hierher. Ex-Bürgermeisterin Anastasia ist schon zum vierten Mal da, genau wie die 14-jährige Judith, die am liebsten im Zirkus arbeitet.
150 Jobs stehen zur Wahl
Denn arbeiten müssen sie hier alle. Wer in FEZitty ankommt, der meldet sich erstmal im Einwohnermeldeamt, bekommt den Stadtausweis mit den Spielregeln und geht dann direkt zum Jobcenter. Dort können die Kinder wählen, welchen Beruf sie an diesem Tag ausüben wollen – mindestens eine Stunde lang. 150 Jobs stehen zur Auswahl, von Bauarbeiter über Modedesigner bis zu Naturschützer. Wer keinen Spaß an seiner Arbeit hat, der sucht sich wieder eine neue. Für die Arbeit werden als Stundenlohn fünf Wuhlis gezahlt, so heißt die FEZ-Währung. Ein Wuhli wird gleich wieder eingezogen – 20 Prozent beträgt hier der Steuersatz.
Ein bisschen Sozialismus liegt schon noch in der Luft, und das hängt nicht nur mit dem leicht ostigen Charme zusammen, den das Gelände und das Gebäude in der Wuhlheide ausstrahlen. In FEZitty verdienen alle das Gleiche und zahlen den gleichen Steuersatz, aber Privilegierte gibt es auch. Wer vier Stunden gearbeitet und vier Stunden studiert hat und das nachweisen kann, wird offiziell Stadtbürger und erhält dadurch mehr Rechte, darf sich zu Wahlen aufstellen lassen oder sich selbstständig machen.
Ziemlich viele Regeln vielleicht für den Erwachsenengeschmack, aber Kinder lieben Bürokratie. Papiere ausfüllen, abstempeln und vorzeigen – dieser Spaß wird mit großem Ernst durchgezogen. Und schön, wie alles ineinander greift. In der Gärtnerei ribbeln ein paar Kinder gerade die getrockneten Blüten von Lavendelstängeln, die werden dann in die Apotheke geliefert, dort sitzen Jungen und Mädchen und füllen Kräutersäckchen ab, die im Supermarkt verkauft werden. Eine Zeitung, ein TV-Studio und Kino-Vorführungen gibt es auch.
"Elternfreie Zone"
Einen pädagogischen Lerneffekt soll das Spiel natürlich auch haben. Kinder könnten dadurch einen Einblick in die Berufswelt und ein Gefühl dafür bekommen, sagt Lutz-Stephan Mannkopf, Geschäftsführer des FEZ. Vielleicht werde so auch der Dialog mit den Eltern über deren Berufe angeregt.
Eltern selbst werden in FEZitty allerdings höchstens geduldet. Selbstgemalte Schilder mit der eindeutigen Botschaft „Elternfreie Zone“ prangen allerorten. Nicht immer halten sich alle dran. „Manchmal wollen Eltern ihre Kinder beim Jobcenter drängen, lieber Bankdirektor statt Straßenreiniger zu werden“, erzählt Marion Gusella, Sprecherin des FEZ. Dabei würden Kinder meistens lieber einen Beruf wählen, der konkret und zum Anfassen ist. Verkäufer, Tierpfleger, Kassierer, das sind so Traumjobs. Gusella rät den Eltern, sich zu entspannen, im Café oder im Park, und die Kinder einfach mal in Ruhe machen zu lassen.
Nur in der Universität, da sind auch Eltern willkommen. Die Uni ist im Obergeschoss des Gebäudes, und dort kann man sich Vorträge anhören oder selbst welche halten. Erwachsene können etwas über ihren Beruf erzählen oder über ein Hobby, wie Yoga geht oder Schach zum Beispiel. Auch Kinder sind gefragte Dozenten und dürfen erklären, was sie wissen, vielleicht wie man einen Wellensittich pflegt oder worauf es beim Legobauen ankommt.
Migranten sieht man eher selten
Zwischen 500 und 1000 Kinder kommen in den Sommerferien pro Tag. Die meisten wohnen in den umliegenden Bezirken. Kinder mit türkischen oder arabischen Eltern sieht man eher selten. Das soll sich ändern. „Wir haben eine Migrationsbeauftragte und sprechen gezielt türkische Medien an“, sagt Gusella. „Viele in den westlichen Bezirken glauben auch, dass wir zu weit draußen liegen. Dabei ist es eher weit weg im Kopf“, meint sie und verweist darauf, dass das FEZ über die Stadtautobahn bequem erreichbar sei.
Anastasia, die dieses Jahr bis zur ersten Wahl in der Übergangsregierung mitarbeitet, wohnt in Charlottenburg. Eineinhalb Stunden braucht sie hierher, sagt sie, aber sie kommt trotzdem, so oft es geht. „Ich finde es toll, dass wir hier alles bestimmen können“, sagt sie. Selbst ausprobiert hat sie das mit dem Heiraten übrigens auch gleich, nachdem sie 2012 das Gesetz eingeführt hat.
Die Kinder in der Schneiderei haben ihr ein tolles Kleid genäht, und auf dem Marktplatz in FEZitty hat sie dann das Ja-Wort gegeben. Jetzt, mit 14, will sie aber nicht mehr so recht darüber reden, wie es mit ihrer Ehe weitergegangen ist und ob sie vielleicht schon wieder geschieden ist. Statt einer Antwort kichert sie, wendet sich ab und ihren Amtsgeschäften zu. Es gibt schließlich noch viel zu tun.