Sommerschulen in Berlin: Sie lernen nie aus
Trotz Ferien gehen manche Berliner Schüler in den Unterricht. Dort sollen sie noch mehr lernen und Selbstbewusstsein gewinnen.
Wie an langen Festtafeln sitzen die Jugendlichen im Pausenhof der Wolfgang-Borchert-Schule in Spandau im Freien, ein Schultisch an den anderen gereiht. Vorne steht die große Sound-Anlage, hinten der Hausmeister der Schule hinter dem Grill. Auch Eltern und Geschwister sind am vergangenen Freitag gekommen, um mit den Teilnehmern des ersten MSAct!-Lernferienprogramms der Bildungsorganisation Teach First Deutschland Abschluss zu feiern.
Über die vergangenen zwei Wochen hinweg haben hier Neuntklässler aus umliegenden Schulen mit Blick auf ihren Mittleren Schulabschluss (MSA) im nächsten Schuljahr in Mathematik, Deutsch oder Englisch Stoff aufgeholt und nachgebessert. Insgesamt nahmen an vier Standorten in Berlin 181 Schüler von 15 Schulen an dem freiwilligen Lernprogramm teil.
Auch an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in Moabit, an der Heinz-Brandt-Schule in Weißensee und an der Kepler-Schule in Neukölln sowie einer Schule in Hamburg fanden zeitgleich MSAct!-Sommerschulen statt. Neben dem Lernstoff war es der Initiative ein wichtiges Ziel, das Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken.
„Du musst sie richtig anfeuern“, flüstert Sohrab Noorsalehi-Garakami, einer der Fellows von Teach First, während der Präsentation dem 15-jährigen Wahib zu und drückt ihm aufmunternd die Schulter. Gleich wird Wahib vorgehen und von den Aktivitäten in der Sportgruppe berichten. Der Junge hat sich gleich auch noch praktische Aufwärmübungen für alle ausgedacht.
„Das Lernen ist eine von vielen Herausforderungen“, erklärt Noorsalehi-Garakami. Neben den eigentlichen Lerngruppen mussten die Schüler an der Wolfgang-Borchert-Schule deswegen noch andere Aufgaben meistern: Manche gingen in der Altstadt Spandaus auf Passanten zu, um sie zu interviewen. Eine andere Gruppe verteilte im Zentrum Berlins Lunchpakete für Wohnungslose.
Der eigentliche Lernstoff sollte abwechslungsreich vermittelt und abgefragt werden. Zum Einstieg absolvierten alle Schüler zum Beispiel eine MSA-Freiluftrallye mit verschiedenen Stationen, um einzuschätzen, wo sie stehen. Zum Abschluss gab es einen kleinen Probe-MSA mit Live-Korrektur.
Noorsalehi-Garakami wird als Freiwilliger in den kommenden zwei Schuljahren mit Teach First Deutschland Schüler unterstützen. Die sogenannten Fellows dienen als positive Rollenvorbilder und sollen Kindern und Jugendlichen helfen, in einem häufig auf Defizite ausgerichteten Schulalltag ihre Stärken zu entdecken. Für den neuen Jahrgang war das Ferienlernprogramm der praktische Teil der Vorbereitung für die Fellows.
Die 15-jährige Kim von der Schule an der Jungfernheide hatte in Mathe bislang eine Drei minus und ist zu MSAct! gekommen, um die Note zu verbessern. Denn wenn sie im Schulunterricht eine Frage hat, hört sie häufig vom Lehrer: „Das habe ich schon erklärt.“ Gleich fünf Mitschülerinnen sind mit ihr im Mathematikkurs. Am wichtigsten ist für Kim aber, für den MSA das Präsentieren vor anderen zu üben.
Während der zwei Wochen haben die Schüler ihre Arbeitsschritte und Ergebnisse immer wieder vor den anderen vorgestellt. Am Ende setzt Kim bei einer Abschlusspräsentation gemeinsam mit einer Freundin selbstbewusst ihre Interviews mit Spandauern szenisch in einer Bildershow um und wischt locker über das Smartboard, um den anderen Teilnehmern ein neues Bild zu zeigen. Auch die Moderation der Abschlussfeier hat sie übernommen.
„Du hast Chancen auf den MSA“, hören Wahib von der B.-Traven-Schule im Ortsteil Falkenhagener Feld und sein 14-jähriger Bruder Marco, die mit Vater und Mutter zur Abschlussfeier gekommen sind, auch manchmal in der Schule – wenn sie gute Leistungen bringen. Wenn etwas nicht klappt, hören sie von den Lehrern aber auch, dass es nichts werde mit dem Abschluss.
Das Team von Teach First war in der Sommerschule sehr um einen positiven Ansatz bemüht. Was kann ein Schüler gut? Das ist die erste Frage. Dann wird geschaut, was man verbessern kann. Wahib sagt, er müsse beim Bilderbeschreiben und beim Sprechen noch üben. Im Vergleich zum regulären Unterricht hat ihm an der Sommerschule gefallen, dass die Schüler in der Pause mit Kopfhörern Musik hören durften. Auch beim stillen Arbeiten war das erlaubt, wenn sie sich dabei gut konzentrieren können. Das konnten sie selbst entscheiden. Wahib hat zum Beispiel einmal eine E-Mail auf Englisch geschrieben und dabei Musik gehört. Vielleicht macht er es das nächste Mal aber wieder ohne, meint er.
Der positive Ansatz überträgt sich auch auf die Arbeitsatmosphäre, berichten Schüler und Fellows. Auf einem Flur der Schule war ein Zettelkasten für Lob angebracht. Für Motivationstiefs lagen mehrere Strohhüte bereit. Diese wurden in kritischen Momenten aufgesetzt und sollten symbolisieren: „Du schaffst das!“ Teamleiterin Verena Wagner berichtet, in ihrem Büro habe sie extra einen „Tisch für schwierige Gespräche“ eingerichtet. Diesen habe sie jedoch während der ganzen zwei Wochen nicht einmal gebraucht.
Natürlich war es für die Schüler auch schwierig, bei über 30 Grad jeden Morgen trotz Ferien wieder in ein Schulgebäude zu gehen, meint Claudine, 16. Die Sommerschule sei eben kein Feriencamp. Zwischendurch wollte sie es auch einmal sein lassen. Sie ist ganz alleine zu MSAct! gekommen, während alle ihre Freunde und Freundinnen Ferien machten. „Aber ich habe es durchgezogen“, sagt Claudine durchaus stolz.
Das Ferienschulprogramm soll Schülern, die neu in Berlin sind, den Einstieg ins Schulsystem und in den Lernalltag erleichtern. Die zwei- bis dreiwöchigen Ferienschulen werden von der Senatsbildungsverwaltung in Kooperation mit freien Trägern in sechs Berliner Bezirken durchgeführt. Partner der Ferienschulen sind zum Beispiel das Nachbarschaftsheim Neukölln, der Zirkus Internationale in Mitte und die AWO in Marzahn-Hellersdorf.
Die teilnehmenden Schüler sind in den vergangenen zwölf Monaten nach Berlin gezogen und nehmen in der Regel an einer Berliner Schule an einer Lerngruppe für Schüler mit geringen Deutschkenntnissen teil. In Gruppen von 12 bis 15 Schülern sollen sie das Lernen lernen und Selbstbewusstsein gewinnen. Auch allgemeine Verhaltensregeln werden vermittelt und die Beziehung zwischen Eltern, Lehrern und Schülern ausgebaut.
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