Schule in Berlin: Privatschulen für Hartz-IV-Familien
Im Wedding eröffnen bald zwei Freie Schulen. Für Kinder aus Hartz-IV-Familien sollen sie kein Geld kosten. Private Sponsoren gibt es schon, das Geld reicht aber noch nicht.
Die werden eh kriminell. Das sei, drastisch ausgedrückt, die Erwartung der Gesellschaft an die Jugendlichen aus Wedding, sagt Fiona Brunk. Fast zwei Drittel von ihnen kommen aus Hartz-IV-Haushalten, viele verlassen die Schule ohne Abschluss. „Da werden die Statistiken oft zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung“, sagt Brunk, Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Quinoa. Es ist eine von gleich zwei Initiativen, die zum kommenden Schuljahr mit ihren eigenen Privatschulen in Wedding etwas gegen diesen Missstand tun.
Dafür haben sie Konzepte entwickelt, die auf die Bedürfnisse der Jugendlichen abgestimmt sind, mit besonderem Fokus darauf, die Jugendlichen auf den Beruf vorzubereiten. Die Initiative Quinoa von Fiona Brunk und Stefan Döring sowie die Bürgerplattform Wedding/Moabit mit ihrer „Freien Bürgerschule Wedding“ wollen ihre siebten bis zehnten Klassen für alle zugänglich machen – nicht nur für Jugendliche, deren Eltern sich eine Privatschule leisten können. Sie wollen kein oder nur ein geringes Schulgeld erheben. Als Förderer haben die Schulen unter anderen die Vodafone-Stiftung beziehungsweise den Paritätischen Wohlfahrtsverband an ihrer Seite. Doch beide sind für die Finanzierung ihrer Schulen, die zunächst mit jeweils einer siebten Klasse starten, weiter auf Sponsoren und Förderer angewiesen.
Staatliche Förderung notwendig
Noch im vergangenen Jahr war die Finanzierung der Schulen bedroht gewesen. Laut Senatsplänen sollte die staatliche Förderung für weiterführende private Schulen in bewährter Trägerschaft erst nach dem dritten Schuljahr einsetzen, im Fall von Grundschulen erst nach dem fünften Jahr. Doch nachdem der Gesetzentwurf im September vertagt wurde, übernimmt der Senat mit den Personalkosten jetzt schon vorher etwa die Hälfte der anfallenden Beträge – bei erfolgter Genehmigung der Schulkonzepte, die im Juli erwartet wird.
Die Freie Bürgerschule Wedding jedoch muss wohl noch ein Jahr länger ohne staatliche Hilfe auskommen. Der Träger Pfefferwerk Stadtkultur ist zwar bewährter Schulträger – eine Voraussetzung für die sofortige staatliche Förderung – jedoch bislang nur für Grundschulen. Frühestens 2015 wird das Pfefferwerk voraussichtlich auch als bewährter Träger für die Sekundarstufe anerkannt. Die Quinoa-Gründer haben als Träger die Montessori-Stiftung gewonnen und werden bei Genehmigung durch die Senatsverwaltung gleich mit dem vollen Anteil unterstützt.
„Dieser Stadtteil kann gar nicht genug Bildungsinitiativen haben“, sagt Quinoa-Macher Stefan Döring. Fiona Brunk könnte es auch nachvollziehen, wenn jemand hier eine Schule mit Sportfokus eröffnen würde. „Aber man muss halt bei einer Sache bleiben – es gibt eben nicht die endgültige Schule“, sagt sie. Beide Initiativen haben es sich zum Ziel gemacht, Leuchtturmschulen für den Wedding zu werden.
Eigene Schulkultur
Döring und Brunk greifen dabei auf ihre Erfahrungen als sogenannte Fellows der Bildungsinitiative „Teach First Deutschland“ an einer Weddinger Sekundarschule zurück. Dort haben sie zwei Jahre lang Jugendliche auf ihrem Weg zum Schulabschluss begleitet. Immer nachmittags hätten sie in Eigenregie „eine ganz eigene Schulkultur“ entwickelt, sagt Fiona Brunk. Diese habe abseits vom Überprüfen von Rechenregeln und Grammatiktests funktioniert. „Man muss als Lehrer auch mal innehalten und andersherum fragen: Wo liegen die Fähigkeiten der Schüler?“, sagt Brunk. Psychologisch mache das enorm viel aus, wenn die Schüler merkten, dass ihr Gegenüber an ihre Fähigkeiten glaube. Mit der eigenen Schule wird diese Kultur jetzt zum Leitfaden.
Bei Quinoa soll im Fach „Interkulturelles Lernen“ ab dem kommenden Jahr unter anderem Türkisch, später auch Arabisch und Polnisch unterrichtet werden. Außerdem sollen ein Tutorenprogramm, ein Theaterprojekt sowie das Fach „Zukunft“, das sich um Berufsorientierung dreht, fest im Stundenplan verankert sein. Im ersten Stock eines Gewerbegebäudes an der Osloer Straße wird der Traum von der eigenen Schule jetzt greifbar. Hier soll im Sommer Quinoa mit einer siebten Klasse starten.
Mentoren sollen beim Berufseinstieg helfen
Ein Stück die Straße hoch sitzt das Aktionsteam Schule der Bürgerplattform. Nach dem Vorbild der „Communities“ aus den USA haben sich in der Plattform 40 multikulturelle Gruppen zusammengeschlossen, die in Wedding aktiv sind – von der Moschee zur Kirchengemeinde bis zum SOS-Kinderdorf. Der Lehrer Matthias Hofmann, der im Aktionsteam mitarbeitet, hat zuvor schon mehrere Schulgründungen begleitet. „Aber das habe ich noch nie erlebt, dass Menschen aller Hintergründe, aller Bildungsstandards so für eine Sache zusammenarbeiten.“
Von dem Netzwerk sollen auch die künftigen Schüler profitieren. „Durch die Mitgliedsorganisationen haben wir den direkten Draht zu den Familien und ihren Kindern“, sagt Sonny Akpan, Ko-Pastor der Jesus Miracle Harvest Church. Die Verankerung im Kiez soll mit bürgerschaftlichem Engagement der Schüler noch unterstrichen werden. Die Jugendlichen wollen sie damit anleiten, zu „mündigen Bürgern“ zu werden und ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen, sagt Jens Wesendrup, der im Aktionsteam die Katholische Gemeinde St. Joseph/St. Aloysius vertritt.
Unternehmen im Netzwerk
In den Unternehmen, die mit dem Netzwerk verbunden sind, sollen die Jugendlichen zudem erste Berufserfahrungen sammeln. 14 Firmen aus Wedding, vom Handwerksunternehmen bis zur Arztpraxis haben zugesagt, mit den Schülern in Praktika und im besten Fall darüber hinaus als Mentoren zusammenzuarbeiten.
Wie wirksam eine solche Bezugsperson sein kann, hat auch Fiona Brunk in ihrer Zeit als Fellow erlebt. „Oft haben die Schüler den Kopf gar nicht frei zum Lernen“, sagt sie. Seien es Probleme mit Lehrern, der Familie, mit der Aufenthaltserlaubnis – das wöchentliche Treffen mit dem Tutor soll den Quinoa-Schülern helfen, Lösungen zu finden und umzusetzen. Auch nach dem Schulabschluss soll ein Mentor sie für vier weitere Jahre begleiten. Schon als Fellow vermittelte Fiona Brunk einem Schüler, der seinen Abschluss nicht geschafft hatte, einen Mentor aus dem Programm einer ansässigen Bank. Sie hoffte, der Jugendliche könne vielleicht doch noch irgendwie einen Ausbildungsplatz ergattern. „Und dann hat er eine Ausbildung in seinem Traumberuf als Fachkraft für Personenschutz bekommen“, sagt sie. „Da habe ich gemerkt: Selbst ich erwarte manchmal noch zu wenig von den Jugendlichen.“
Suche nach passenden Räumlichkeiten
Jetzt warten beide Initiativen auf die offizielle Genehmigung der Senatsverwaltung. Die Freie Bürgerschule ist zudem noch auf der Suche nach passenden Räumlichkeiten. Beide Schulen sind weiterhin auf Spenden angewiesen, um für alle Jugendlichen offen zu sein. Die bisherigen Anmeldungen und Interessensbekundungen für die beiden geplanten siebten Klassen mit jeweils etwa 26 Schülern geben ihnen recht – es sei ein Querschnitt der Bevölkerungsstruktur in Wedding, sagen beide. Bei „Quinoa“ werden noch bis 30. April Anmeldungen entgegengenommen und auch die Freie Bürgerschule ist offen für interessierte Eltern und Jugendliche.
Franziska Felber
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