Grundschulen: Neue Hoffnung für Gegner der Früheinschulung
In der SPD mehren sich die Forderungen nach einer Verschiebung der Schulpflicht - nicht nur, um der CDU entgegenzukommen. Brandenburg könnte als Vorbild für Berlin dienen.
Die Berliner Früheinschulung kommt ins Wanken. Immer mehr SPD-Politiker sind bereit, auf die CDU zuzugehen und Fünfjährigen die Schulpflicht zu erlassen. Als möglicher Kompromiss wird benannt, ab dem Schuljahr 2016/17 den Brandenburger Weg zu gehen und nur noch die Kinder verpflichtend einzuschulen, die bis 30. September desselben Jahres noch sechs Jahre alt werden. An diesem Donnerstag will sich der Arbeitskreis Bildung der SPD mit dem Thema befassen, weil die CDU auf eine Entscheidung drängt.
In Pankow blieben 730 Kinder in der Kita
„Ich halte das für keine ideologische Grundsatzfrage. Da wird es eine Lösung geben“, prognostizierte am Montag der Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß (SPP), der auch Bildungsstadtrat ist. Sein Bezirk könne „mit jeder Lösung leben“. Auch aus Pankow gibt es keine Gegenwehr: „Da kann kann man einen Kompromiss finden“, meint SPD-Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz. Allerdings gebe es in Pankow de facto „die Früheinschulung schon nicht mehr“, sagt sie mit Hinweis auf die hohe Zahl von aktuell 730 Kindern, die zurückgestellt wurden: Meist handelt es sich um Kinder, die zwischen Oktober und Dezember geboren sind. Insgesamt waren es berlinweit fast 5300, wie eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck jetzt bestätigte.
"Chaotisierung des System"
An der Spitze der Früheinschulungsgegner steht auf SPD-Seite Neukölln. Angesichts der vielen Kinder, die in der zweiten Klasse „verweilen“ müssen, seit es die Früheinschulung gibt, spricht Bildungsstadträtin Franziska Giffey von einer „Chaotisierung des Systems“.
Unterstützung bekommt sie aus der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Der Neuköllner Parlamentarier Langenbrinck fordert vehement, dass sich Berlin von seinem Sonderweg verabschiedet und ab 2016/17 damit aufhört, Fünfjährige einzuschulen. Vorher wäre es ohnehin nicht möglich, da die Anmeldungen für das Schuljahr 2015/16 schon abgeschlossen sind. Zudem würde ein weiteres Jahr Übergangszeit dazu führen, dass die Kitakapazitäten ausgebaut werden könnten. Damit entfiele ein gewichtiges Argument der Reformgegner.
Wie berichtet, warnt SPD-Bildungspolitiker Lars Oberg davor, mit der Abschaffung der Früheinschulung „ein vermeintliches Problem zu lösen und ein größeres dazuzubekommen“, wenn in den Kitas plötzlich tausende Plätze fehlten. Auch SPD-Chef Jan Stöß argumentiert inzwischen vor allem mit dem Kitaplatzmangel: „Bei einer zwingenden Späteinschulung bräuchten wir kurzfristig viele tausend zusätzliche Kitaplätze. Das ist kaum umsetzbar“, hatte er an diesem Wochenende im Tagesspiegel-Interview gesagt.
So knapp scheinen die Plätze aber gar nicht zu sein. In der Kitaplatz-Börse des Dachverbands der Kinder- und Schülerläden (DAKS) finden sich zahllose Kitas, die noch Kinder suchen, und die Jugendverwaltung zählt derzeit rund 12 000 freie Kitaplätze. Das entspricht rund acht Prozent der Gesamtplätze. „Eigentlich brauchen wir zehn Prozent über den Durst, damit Eltern wirklich eine Auswahl haben“, warnt DAKS-Sprecher Roland Kern aber vor zu großer Euphorie. 12 000 freie Plätze seien gar nicht so viel, da im Laufe des Jahres immer weitere Kinder hinzukämen, die ein Jahr alt werden und damit einen Kitaanspruch haben.
Die CDU setzt auf den neuen Doppelhaushalt
Andererseits hat sich der Kitaausbau in den vergangenen Jahren sehr rasant entwickelt. Das führte dazu, dass es in diesem Jahr kaum Platzprobleme gab, obwohl 5300 Kinder von der Schulpflicht zurückgestellt wurden. Die CDU schlägt vor, dass die Koalition im Doppelhaushalt 2016/17 noch mehr Geld für den Kitaausbau zur Verfügung stellen könnte.Die Grünen plädieren seit langem für eine spätere Schulpflicht. Hingegen hält Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bisher an der Früheinschulung fest. Die CDU droht damit, die Frage des Schulpflichtalters zum Wahlkampfthema zu machen, falls die SPD sich nicht auf eine Neuregelung einlässt.
Noch ist nichts entschieden
Gegner einer Neuregelung warnen davor, dass dann den Kindern aus bildungsfernen Familien die wichtige Frühförderung verloren gehe. Das sei auch im Hinblick auf die Sprachprobleme nicht zu verantworten. Der SPD-Abgeordnete Langenbrinck lässt dieses Argument nicht gelten: Man könne für Kinder, die den Sprachtest für Vierjährige nicht schaffen, die Kitapflicht vorverlegen. Er räumt aber ein, dass es in der SPD „sehr unterschiedliche Meinungen zum Thema Früheinschulung“ gebe. Deshalb sei noch unklar, wie sich der Arbeitskreis Bildung am Donnerstag positionieren werde. Die Befürworter der Früheinschulung hielten sich in den vergangenen Tagen allerdings auffallend zurück. Statt ihrer positionierte sich die Vorsitzende des Schulausschusses, Renate Harant (SPD), am Montag: Sie schlägt vor, dass Berlin den Brandenburger Weg geht und den 30. September zum Stichtag macht. Das sei doch eine „pragmatische Lösung“ für die Familien in der Region.
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