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Schüler einer Partnerschule des Jüdischen Museums schauen sich eine Ausstellung an.
© Promo

Projekte gegen Antisemitismus in Berlin: Mit koscheren Gummibärchen gegen Vorurteile

Schulpartnerschaften, Workshops, Fortbildungen: Was das Jüdische Museum Berlin zur Aufklärung gegen Antisemitismus an Schulen tut.

Die koscheren Gummibärchen werden neugierig bestaunt. Zügig wandert die Tüte von Hand zu Hand, es ist der Abschluss einer thematischen Führung durchs Jüdische Museum, in deren Verlauf Ufuk Topkara unter anderem über jüdische Speisevorschriften gesprochen hat – zur Veranschaulichung kreist nun gelatinefreies Weingummi. Die Zehntklässler einer Gesamtschule aus Mülheim an der Ruhr haben sich den Vortrag mehr oder weniger konzentriert angehört, bloß Fragen stellen will niemand. Auch auf direkte Ansprache reagieren die meisten nur mit müdem Schulterzucken.

„Ich kann das verstehen“, sagt Ufuk Topkara nach der Führung. „Die sind auf Klassenfahrt und haken in Berlin jeden Tag zwei Museen ab, da wäre ich auch irgendwann erschöpft.“ Trotzdem verlaufe natürlich nicht jede Schulklassenführung ähnlich zäh, gerade beim heute angebotenen Rundgang zum Thema „Ist das im Islam nicht auch so?“ ergäben sich, sagt Topkara, je nach Zusammensetzung der Klasse mitunter rege Diskussionen über die Parallelen und Unterschiede zwischen Judentum und Islam.

Mit antisemitischen Haltungen sei er dabei nur sehr selten konfrontiert, sagt der Historiker, der seit knapp zehn Jahren Gruppen durchs Museum führt. „Mitunter spürt man vielleicht eine gewisse innere Abwehrhaltung bei einzelnen Gruppenteilnehmern. Aber die wenigsten trauen sich, hier im Museum offen Antisemitisches zu äußern.“

Die Mitarbeiter der Bildungsabteilung im Jüdischen Museum können diese Einschätzung weitgehend bestätigen. Vereinzelt berichten Guides zwar von Schülern, die bei Führungen zum Beispiel fragen, ob ihre Eintrittsgelder an die israelische Regierung ausgezahlt und somit zur Unterdrückung der Palästinenser verwendet würden, andere behaupten zu wissen, dass die Weltmedien „von den Juden“ kontrolliert werden. Generell seien solche Äußerungen aber die absolute Ausnahme bei den Schulgruppen, die das Museum besuchen.

Problematisch wird es eher bei der Frage, welche Schüler gar nicht erst den Weg ins Museum finden. Von den Führungen in der Lindenstraße werden etwa 70 Prozent von Schulgruppen gebucht, gut die Hälfte kommen von Gymnasien. Der Anteil von integrierten Sekundarschulen sei dagegen „verschwindend gering“, sagt Diana Dressel aus der Bildungsabteilung des Museums. Wie sie aus Gesprächen mit Lehrern weiß, haben manche grundsätzliche Bedenken, mit ihren Klassen das Museum zu besuchen. Insbesondere wenn der Anteil von Schülern aus muslimischen Familien groß ist, befürchteten Lehrer provokative Äußerungen ihrer Schützlinge. Mitunter komme es auch vor, dass sich Schüler bei geplanten Exkursionen ins Jüdische Museum von ihren Eltern gezielt entschuldigen lassen, aus mehr oder weniger unverhohlener antisemitischer Motivation.

Diana Dressels Kollegin Rosa Fava glaubt, der Umgang mit solchen Konflikten werde schulintern erschwert, wenn Klassen mit hohem Migrantenanteil ein rein deutschstämmiges Lehrerkollegium gegenüberstehe. „Das macht es schwierig, sich beispielsweise über Themen wie den Nahostkonflikt zu verständigen.“ Der betrifft manche Schüler sehr direkt, weil Familienmitglieder in Mitleidenschaft gezogen sind. Entsprechend emotional und mitunter wütend reagieren sie, wenn ihre Lehrer den Konflikt eher nüchtern und aus dem Blickwinkel der deutschen Geschichte einzuordnen versuchen.

Ein Lehrer bietet eine Unterrichtseinheit zum Nahost-Konflikt an

Zeichnen sich solche Konflikte ab, wenden sich manche Lehrer gezielt ans Jüdische Museum, mit der Bitte um Argumentationshilfe, die das Haus etwa in Form von Lehrerfortbildungen zum Thema Antisemitismus anbietet. Um gleichzeitig auch Schulen zu erreichen, die keine Museumsführungen buchen, haben Diana Dressel und ihre Kollegen eine Reihe von Bildungsprojekten entwickelt, zu denen etwa ganztägige Antisemitismus-Workshops für Schüler ab der neunten Klasse gehören. Die finden zur Zeit etwa 15 bis 20 Mal pro Jahr in den Räumlichkeiten des Museums statt, während bei anderen Initiativen die Museumsmitarbeiter oder ihre Projektpartner Schulen besuchen, etwa im Rahmen des „On Tour“-Projekts, mit dem derzeit etwa 7000 bis 8000 Schüler pro Jahr im gesamten Bundesgebiet erreicht werden.

In Berlin unterhält das Museum außerdem im Rahmen des Projekts „Vielfalt in Schulen“ gezielte Partnerschaften und Schulkooperationen, unter anderem mit dem Hermann-Hesse-Gymnasium und der Galilei-Grundschule in Kreuzberg, der Weddinger Ernst-Schering-Schule, der B.-Traven-Oberschule in Spandau und der Kreuzberger Refik-Veseli-Schule.

Wie solche Kooperationen konkret aussehen, weiß André Barth, Ethik-Lehrer an der Ernst-Schering-Schule in Wedding, der in seinen neunten Klassen seit dem vergangenen Jahr eine zwölfstündige, in den Ethik-Unterricht integrierte Lehreinheit zum Nahost-Konflikt anbietet. Zustande gekommen sei das Projekt, erzählt Barth, nachdem Lehrer auf dem Schulhof hellhörig wurden, weil sich ihre Schüler gegenseitig als „Du Jude!“ beschimpften – ein inzwischen allerdings schon wieder aus der Mode gekommenes Schimpfwort, sagt Barth, das kaum weniger gedankenlos verwendet wurde als „Du Opfer!“ oder – aktuell – „Du Holz!“

Die Nahost-Lehreinheit vermittle im Grunde Geschichtswissen, sagt Barth: „Wieso ist der Staat Israel da gelandet, wo er liegt, was hat das mit Hitler zu tun, warum gilt die Region mehreren Nationen als heiliges Land, und so weiter.“ Wichtig sei ihm dabei, die Schüler nicht in eine bestimmte gedankliche Richtung zu drängen, sondern sie zum selbstständigen Denken anzuleiten. „Viele bringen übernommene Meinungen aus ihren Familien mit. Wenn sie lernen, die zu hinterfragen, erfüllt der Unterricht seinen Zweck.“ Die Lehreinheit sei sehr beliebt, sagt Barth, es sei vorgekommen, dass Schüler anderer Klassen vor der Tür standen und unbedingt mitdiskutieren wollten, weil sie vom Nahost-Unterricht gehört hatten. Das Thema, sagt Barth, sei für viele Schüler nun einmal aus biografischen Gründen ein sehr emotionales. „Das muss man irgendwie kanalisieren.“

Rosa Fava vom Jüdischen Museum ist froh, dass die Projekte der Bildungsabteilung bei den Schulen Anklang finden. Wichtig ist ihr jedoch, das Thema Antisemitismus nicht auf den Islam zu verengen, wie es in letzter Zeit oft geschehe, wenn die deutsche Mehrheitsgesellschaft von „muslimischem“ oder gar „importiertem“ Antisemitismus spreche. Schließlich sei der „hausgemachte“ Antisemitismus in Deutschland nach wie vor das weit größere Problem.

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