zum Hauptinhalt
Hat jemand einen Plan für Berlins Schulen? Bauplanen gibt es immerhin genug.
© Kai-Uwe Heinrich

Adventskalender der einstürzenden Schulbauten: Marode Schulen in Berlin: Leise rieselt der Kalk

Fehlende Turnhallen, marode Toiletten, feuchte Räume: Ein Adventskalender frustrierter Eltern enthüllt die schlimmsten Mängel und ein zusätzliches Problem in Steglitz.

Zwei Milliarden Euro Sanierungsbedarf schieben Berlins Schulämter vor sich her, besagt die letzte Bezirksschätzung. Aber was bedeutet es konkret, wenn buchstäblich 2000 Mal eine Million Euro fehlt? Der Bezirkselternausschuss Steglitz-Zehlendorf hat wie in den Vorjahren in ganz Berlin herumgefragt und Beispiele gesammelt, die er täglich bis zum 24. Dezember als „Adventskalender“ veröffentlicht. Wir haben ein paar Türchen geöffnet:

Turnhallen. Hier liegt es aktuell besonders im Argen. In mehreren Bezirken sind Turn- oder Sporthallen komplett gesperrt, so dass die Schüler nur eingeschränkt Sportunterricht haben oder weite Wege zu Ausweichhallen zurücklegen müssen. Besonders hart getroffen hat es die Grundschule am Karpfenteich in Lichterfelde. Ihre Turnhalle ist seit 2008 geschlossen, und wann die neue Halle steht, ist nicht absehbar. Baustadtrat Michael Karnetzki (SPD) begründet die Verzögerungen mit den komplexen europäischen Wettbewerbsregeln, mit zwischenzeitlich geänderten Bedarfsplanungen, einer Haushaltssperre und dem „ungewöhnlichen“ Abspringen des Architektenbüros.

...und plötzlich war der Architekt weg

Aber das ist nicht die einzige Problemhalle im Bezirk: Gesperrt ist – aus statischen Gründen – auch die Sporthalle der Ludwig-Bechstein–Grundschule in Lankwitz. Die Schüler müssen in eine andere Halle ausweichen. Die Turnhalle des Dahlemer Arndt-Gymnasiums muss zurzeit als Lehrerzimmer genutzt werden und steht daher nicht zur Verfügung. Eine neue Halle ist „in Planung“. Die Steglitzer Kopernikus-Sekundarschule muss wegen einer Sanierung auf ihre Halle verzichten. Ebenfalls „stark eingeschränkt“ ist nach Elternangaben der Sportunterricht am Paul-Natorp- und Rheingau-Gymnasium sowie an der Stechlinsee-Grundschule in Friedenau: Eine Turnhalle ist nach einem Wassereinbruch zur Hälfte gesperrt, eine weitere Halle ist wegen Sanierung bis Herbst 2015 nicht nutzbar. Nicht gesperrt, aber in „erbärmlichem“ Zustand ist auch die Halle des Lichterfelder Lilienthal-Gymnasiums. Eltern berichten von Schimmelbefall, kaputten Leitungen und zu geringen Kapazitäten. Zu allem Überfluss können die neue Duschen nicht benutzt werden, „weil es die Heizungsanlage nicht schafft, das Wasser so zu erhitzen, dass die Legionellengefahr gebannt ist“.

Toiletten. Schon zwei Meter von der Jungentoilette entfernt schlägt dem Besucher ein beißender Geruch entgegen: Die Sanitärräume der Grundschule an der Bäke stinken derart, dass sie von vielen Kindern gemieden werden, wie die Schulleiterin bestätigt. Eltern und Schulleitung betonen, dass sie nichts unversucht ließen, um die Lage zu verbessern, aber die alten Fugen und Fliesen haben den Urin von vielen Jahrzehnten in sich aufgesogen, so dass jede Reinigungsaktion verpufft. „Nach kurzer Zeit tränen den Kindern die Augen“, beschreiben die Lichterfelder Eltern die Lage.

Sogar ein Kalender wurde dem Problem gewidmet

Auch in anderen Schulen sind die Toiletten Dauerthema: So berichten die Eltern der Peter-Frankenfeld-Schule in Lankwitz - neben vielen anderen Problemen - von fehlenden Toilettensitzen und fehlender Kabinentür, und die Montessori-Gemeinschaftsschule am Tietzenweg wartet seit einem Jahr auf eine Reaktion des Bezirksamtes: Sie hatte die katastrophale Toilettensituation sogar in einem Kalender dargelegt und mitsamt Fotos an das Bezirksamt geschickt. Seither hat sich nichts verbessert. Und schließlich: Die Grundschule im Hasengrund. Hier liegt beim Brandschutz und der Mittagsversorgung (s.u.) dermaßen viel im Argen, dass die Toiletten zur Nebensache werden: „Wer nicht unbedingt auf die Toilette muss, geht einfach nicht“, heißt es lapidar im Adventstürchen aus Niederschönhausen.

Mensa. Trotz aller Ganztagsanstrengungen haben noch immer nicht alle Schulen adäquate Essensräume. Besonders zu leiden hat die Schule im Hasengrund. „Wir haben eine tolle Schule mit engagierten Lehrern und Erziehern, aber der bauliche Zustand des Gebäudes ist katastrophal. Neben dem bröckelnden Putz und den kaputten Fenstern, die aus der Verankerung fallen, treibt die Eltern um, dass die Brandschutzbestimmungen „krass unterlaufen werden“.

Die Schüler müssen in beengten Klassenräumen essen

Zudem wird die Essenssituation beanstandet: „350 Kinder essen in zwei umfunktionierten beengten Klassenräumen: im Schichtsystem, es ist eng, es ist laut, Kinder müssen auf einen Platz warten, sich hetzen, kommen zu spät zum Unterricht“, beklagen die Eltern. Eigentlich sollte der Mensabetrieb längst in eine Turnhalle verlagert werden, aber Anwohnerklagen kamen dazwischen. Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) muss weiterhin um Geduld bitten und die Eltern daran erinnern, dass der Bezirk gern alle Mängel beheben würde – wenn er das Geld dafür hätte.

Marode Substanz. An dieser Stellen kann das Fichtenberg-Gymnasium nicht fehlen. Wie berichtet, muss der Putz großflächig abgeschlagen werden, um Gefahr abzuwenden. Jetzt gibt es eine neue Hiobsbotschaft: Die Aula musste gesperrt werden, weil mit der Decke etwas nicht stimmt. Jetzt muss die Ursache gesucht werden. Davon mitbetroffen ist die benachbarte Rothenburg-Grundschule, die die Aula für ihre Einschulungsfeiern und viele Theater-AGs nutzt. Da spielt es schon kaum noch eine Rolle, dass es im Hort der Rothenburg-Schule feuchte Räume gibt: Seit einer Begehung am Freitag steht immerhin fest, dass der Modergeruch nicht auf Schimmel zurückzuführen ist. Aber eine Be- und Entlüftung muss her. Noch weiß keiner, wann sie kommt.

Eine grüne Abgeordnete will neue Grundlagen schaffen

Angesichts des anwachsenden Sanierungsstaus hatte die grüne Bildungspolitikerin Stefanie Remlinger kürzlich gefordert, dass der Senat mit den Bezirken einen "Fahrplan" erstellt, um den Stau abzuarbeiten. Zudem müssten sich beide Seiten auf immobilienwirtschaftliche Richtwerte einigen, auf deren Basis die für die Gebäudesanierung und Instandhaltung notwendigen Finanzmittel berechnet werden könnten. Daran erinnerte jetzt die langjährige Vorsitzendes des Bezirkselternausschusses (BEA) Steglitz-Zehlendorf, Daniela von Treuenfels, die vor Jahren die ersten bezirklichen "Adventskalender" verantwortet hatte. Sie ist inzwischen beim Landesverband schulischer Förderverein sowie bei der Stiftung Bildung aktiv ist und unterstützt den Adventskalender weiterhin.

Susanne Vieth-Entus

Zur Startseite