Religionsunterricht: Islam für alle
Muslime in ganz Deutschland sollen staatlichen Religionsunterricht erhalten. Doch noch gibt es nur Modellversuche.
„Reli“ – diese gängige Abkürzung wird bald nicht mehr nur für katholischen oder evangelischen Religionsunterricht stehen. Auch für rund 750 000 Schüler an öffentlichen Schulen in Deutschland, deren Familien sich zum Islam bekennen, soll der konfessionelle islamische Religionsunterricht als reguläres Fach in deutscher Sprache eingeführt werden. Auf dieses Ziel haben sich im März die Vertreter von Staat, muslimischen Verbänden und nicht organisierten Muslimen in Deutschland auf dem dritten Plenumstreffen der Deutschen Islamkonferenz (DIK) geeinigt.
Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wird über die Einführung von islamischem Religionsunterricht an deutschen Schulen diskutiert. Gescheitert ist die Umsetzung bislang immer an dem Argument, den Behörden fehle für die Gestaltung der Lehrpläne der vom Grundgesetz vorgeschriebene einheitliche und repräsentative Ansprechpartner der islamischen Gemeinschaft – eine Forderung, der die sehr unterschiedlich organisierten Muslime nur schwer nachkommen können. Wenn jetzt mit Hilfe der Deutschen Islamkonferenz eine Einigung von Sunniten, Schiiten, Aleviten und anderen muslimischen Glaubensrichtungen zustande kommt, werden bald rund 5000 Islam-Lehrer für den Unterricht an deutschen Schulen gebraucht, die im Sinne der deutschen Schulgesetzgebung unterrichten sollen und dürfen. Das scheint auf den ersten Blick unrealistisch zu sein, immerhin gibt es aber schon zahlreiche Lehrer mit viel Erfahrung in unterschiedlichen Modellversuchen „Islamischer Religionsunterricht“ an staatlichen Schulen.
In Nordrhein-Westfalen setzte sich ab Mitte der 80er Jahre die Einsicht durch, dass die „Gastarbeiter“ und ihre hier geborenen Kinder in Deutschland bleiben, lernen und leben. NRW bot damals als erstes Bundesland „Islamische Unterweisung“ als Schulfach an. Das Fach war zwar in den Muttersprachenunterricht muslimischer Kinder integriert, aber die 1986 von der nordrhein-westfälischen Landesregierung getragene „Religiöse Unterweisung für Schüler islamischen Glaubens“ für Klasse 1 bis 4 hatte zum ersten Mal einen Rahmenplan, der nicht aus der Perspektive der Herkunftsländer, sondern im Soester Landesinstitut für Schule und Weiterbildung entwickelt worden war und ein integratives Ziel verfolgte. Grundsätzlich neu an diesem Plan war der leitende Gedanke, „die Kinder eben nicht in ihrer ethnisch-kulturellen Herkunft, sondern in ihrer religiösen Zugehörigkeit zu beheimaten“, sagt die Islamwissenschaftlerin Irka Mohr von der Universität Erfurt. Aber noch wurde dieser Unterricht in arabischer oder türkischer Sprache abgehalten, bis 1999 wiederum die Landesregierung Nordrhein-Westfalen eine deutschsprachige Islamkunde für die Klassen 1 bis 10 einführte.
Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 wird der deutschsprachige Islamunterricht an öffentlichen Schulen nicht mehr nur im Zusammenhang mit der Integrationsdebatte diskutiert. Er gilt auch als eine Möglichkeit, die religiös-ethische Erziehung von Muslimen im Sinne des Grundgesetzes zu gestalten und damit extremistischen Einflüssen vorzubeugen. Seit 2003 hat sich das Angebot staatlich getragener Modellversuche denn auch deutlich erweitert. Niedersachsen bietet seit fünf Jahren an 21 Grundschulstandorten „Islam“ im Testlauf an, Bayern an einer Grundschule in Erlangen.
Ein auf vier Jahre angelegter Versuch läuft seit 2004 in Rheinland-Pfalz an einer Grundschule in Ludwigshafen, Baden-Württemberg startete 2006 einen Schulversuch an zwölf Grundschulen, und seit diesem Schuljahr 2007/08 gibt es zum ersten Mal „Islam“ auf Deutsch auch an Grundschulen in Schleswig-Holstein. Bundesländer wie Hamburg, Bremen oder Berlin haben andere Modelle. Während in Berlin der Unterricht in der Verantwortung der Islamischen Förderation stattfindet, wird der konfessionelle Religionsunterricht in Bremen gänzlich durch Ethikunterricht ersetzt.
Im Hamburger Modell verantwortet den Religionsunterricht zwar die Nordelbische Kirche, gestaltet ihn aber mit muslimischen und jüdischen Religionslehrern gemeinsam als überkonfessionellen „Religionsunterricht für alle“. In den ostdeutschen Ländern stehen aufgrund eines zu geringen Anteils an Muslimen unter den Schülern Modellversuche noch aus.
Die Praxis im islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gestaltet sich auch deshalb so unterschiedlich, weil Fächer, die probeweise in die Stundentafel eingeführt sind, die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren nicht durchlaufen müssen. Lehrpläne konnten damit auch ohne Ansprechpartner der Religionsgemeinschaft entwickelt oder informell am runden Tisch mit lokalen muslimischen Partnerorganisationen beraten werden. Nach dem Appell der Islamkonferenz soll nun bald eine einheitliche Lösung gefunden werden. Helfen kann dabei ein wissenschaftlicher Überblick über bestehende Modelle, der seit 2006 an der Universität Erfurt erarbeitet wird.
Gleichzeitig ist das Erfurter Projekt eine Vorarbeit für die bundesweite Ausbildung von staatlichen Islamlehrern. „Islamische Fachdidaktik“ ist ein ganz neues Feld für die Hochschulen; Lehrpläne müssen gestaltet, Bücher geschrieben und Unterrichtsmaterialien ausgearbeitet werden. Eine der zentralen Fragen, die die Forscher um Irka Mohr beantworten wollen: Wie sollen Lehrer den Kindern „Islam“ innerhalb verfassungsrechtlicher und schulgesetzlicher Grenzen vermitteln?
Bettina Mittelstraß
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