Nach der vierten Klasse: Grundschule oder Gymnasium, was ist besser für mein Kind?
Was spricht für einen frühen Wechsel aufs Gymnasium, was dagegen? Drei Erfahrungsberichte und eine Suche.
IM ZWEIFEL FÜR DEN ZWEIFEL
Fatina Keilani würde sich wieder fürs Canisius-Kolleg entscheiden.
Zur Fünften schon aufs Gymnasium? Das haben wir hinter uns, und wir sind froh darüber, aber eins muss man sich klarmachen: Der spielerische Teil des Schülerlebens ist dann vorbei. Das Arbeitspensum ist gleich enorm, und die Noten rauschen erst mal in den Keller. Unsere Zwillinge kamen von einer katholischen Grundschule mit recht gutem Ruf, mussten sich dort aber nie richtig anstrengen. Es sind aufgeweckte, intelligente Kinder. Jetzt besuchen sie das Jesuitengymnasium der Stadt, das Canisius-Kolleg in Tiergarten.
Wir Eltern waren sehr daran interessiert, die Kinder auf diese Schule zu schicken. Unsere Hoffnung: dass sie zum eigenen Denken angeregt werden, neue geistige Räume betreten, und dass neben Leistung auch Sinn das Ziel ist. Mich hat bereits die Leitlinie überzeugt, dass es darum gehe, „die Frage nach Gott wach zu halten“. Genau! Das ist das Gegenteil von Vorbeten und Nachbeten. Immer wieder zweifeln, immer neu fragen, das hat mich gleich angesprochen. Die Kinder wiederum waren nicht so leicht für den Schulwechsel zu begeistern. Der Sohn war interessiert, die Tochter lehnte kategorisch ab. Und nun? Nur eins aufs Gymnasium, das andere bis zur siebten auf der Grundschule lassen? Zumal die Tochter im Aufnahmegespräch abblockte. Diese Phase war nicht leicht. Der Sohn freute sich auf den Schulwechsel. Mit der Tochter hatten wir mehr Probleme. „Ihr zwingt mich!“, klagte sie, tja, recht hat sie, ich wollte sie unbedingt auch auf die Schule kriegen. Es war ein ziemlicher Kampf. Dann geschah das Wunder: Schon am ersten Tag fand sie die hinreißendsten neuen Freundinnen. Sie steht morgens mit Freude auf, duscht, zieht sich mit Sorgfalt an – alles neu! – und ist sehr glücklich an der Schule. Und wir Eltern auch.
PUBERTÄT IM FALTENROCK
Barbara Nolte wünscht sich für ihre Tochter eine weniger konservative Schule.
Das Goethe-Gymnasium ist als erste Schule aus unserer engeren Auswahl herausgefallen. Dabei hatte es ein Bekannter empfohlen. „Dort ist alles wie früher, wie zu unserer Zeit“, sagte er. Schule wie in den 60er Jahren (mein Bekannter ist Ende 50)? Das soll toll sein?
Auch das Graue Kloster flog von der Liste, nachdem eine Bekannte begeistert davon erzählt hatte: von „erbaulichen“ Schulgottesdiensten, Kindern, die fast ausnahmslos klassische Instrumente spielten und „mit Freude“ alte Sprachen erlernten. So sehr die Instagram-und-falsche-Fingernägel-Welt nervt, die sich an der Grundschule bereits ankündigt – eine Pubertät im Faltenrock, wie sie meine Bekannte schilderte, möchte ich meiner Tochter auch nicht zumuten.
In unserem Radius – Charlottenburg-Wilmersdorf – gibt es nicht wenige grundständige Gymnasien. Doch in einem wird der Stundenplan dominiert von Naturwissenschaften auf Kosten von Kunst und Sport, das nächste verpflichtet zu Altgriechisch. Das kleinste Übel ist noch Latein ab Klasse fünf. Warum nicht Spanisch? Die Sprache ist ähnlich aufgebaut und macht die Welt größer.
Als Gegenmittel gegen die unterstellte Mittelmäßigkeit von Berlins Schulen und ihr mitunter raues Klima scheinen die meisten Gymnasien im Westen auf einen Konservatismus zu setzen, der so gar nicht zu dem passt, weswegen ich einst in die Stadt gezogen bin. Eine Schule blieb auf unserer Liste stehen. Ob ich meine Tochter, wenn es dort nicht klappt, in die Zeitmaschine setze oder an der Grundschule lasse, weiß ich noch nicht.
MANCHE STARTEN SPÄTER
Andrea Dernbach fand für ihren Sohn sechs Grundschuljahre genau richtig.
Unser Sohn, ein Oktoberkind, war noch nicht sechs, als er in die Schule kam. Wir wollten ihm ein weiteres Jahr im verhassten Kindergarten ersparen. Und in der Tat fühlte er sich in der Schule wohler. Aber er war nun einmal als Jüngster auch einer der Kleinsten und keiner der körperlich Stärksten. Wir machten uns Sorgen um sein Selbstbewusstsein. Das Minimum schien uns, ihn möglichst lange im vertrauten Klassenverband zu belassen, das Berliner System des langen gemeinsamen Lernens gefiel uns ohnehin. In der 7. Klasse wechselte er in eine Europaschule. Dort wurde aus unserem jungen Schulfeind ein paar Jahre später, quasi kurz vor Schluss, einer, der endlich einen Sinn in der Sozialisierungsinstanz Schule sah. Der anfing, gern zu lernen, und Ehrgeiz entwickelte, ein gutes Abitur zu machen. Ob es die Entscheidung für den späten Wechsel war oder einfach die ausgezeichnete Oberschule mit engagierten Lehrkräften aus zwei Ländern: Geschadet haben ihm die sechs Grundschuljahre jedenfalls nicht.
KLUG ALLEIN REICHT NICHT
Swantje Goldbach, pädagogische Leiterin des Nachhilfeinstituts Lernwerk, weiß, worauf es ankommt.
In meinen Beratungsgesprächen geht es oft um die Frage: Frühgymnasium, ja oder nein? Eltern, die das in Erwägung ziehen, haben oft selbst ein grundständiges Gymnasium besucht oder wollen aus einer unguten Grundschulsituation fliehen. So war es auch bei Vincent. Er kam zu einem Gespräch, weil er am Frühgymnasium gescheitert war. Er war ein zarter, sprachlich gewandter Junge, der sehr früh eingeschult wurde. Er war eigentlich an den Fächern sehr interessiert, konnte jedoch in den Klassenarbeiten nie genügen. So wurde es für ihn immer schwieriger, sich zum Lernen aufzuraffen.
Um am Frühgymnasium zu bestehen, reicht es nicht aus, klug genug zu sein. Man braucht die nötige Reife, Arbeitseifer, große Selbstständigkeit und muss Drucksituationen aushalten können. Inzwischen hat Vincent sich erholt. Auf einer Sekundarschule hat er einen guten Mittleren Schulabschluss gemacht. Dadurch konnte er zwischen interessanten Schulen wählen und doch noch das Abitur machen. Ich habe gerade wieder mit ihm gesprochen: Das Lernen macht ihm jetzt Freude.
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