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Jürgen Zöllner (SPD) war von 2006 bis 2011 Bildungs- und Wissenschaftssenator in Berlin.
© Kitty Kleist-Heinrich

Ende einer Amtszeit: Fünf Jahre Zöllner - eine Bilanz

Nach der Wahl im Herbst will sich Schulsenator Jürgen Zöllner eine neue Aufgabe suchen. Als Senator hatte er sich viel vorgenommen. Nicht alles konnte er auch umsetzen.

STRUKTURREFORM

Die Abschaffung der Hauptschulen und die Gründung der ganztägigen Sekundarschulen ist die einzige große Reform, die Jürgen Zöllner den Berlinern zugemutet hat. Auf lange Sicht scheint undenkbar, dass jemand diese einschneidende und allgemein akzeptierte Strukturveränderung zurückdrehen könnte oder wollte. Erstaunlich ist vor allem, dass Zöllner diesen Schritt machen konnte, ohne dass er in der Koalitionsvereinbarung angebahnt worden wäre. Dort war nur die Pilotphase der Gemeinschaftsschule festgezurrt. Ansonsten stand in der rot-roten Vereinbarung lapidar, dass „außerdem die Kooperation von Haupt- und Realschulen weiterhin ausgebaut werden soll“. Mit Unterstützung der Grünen und auf der Grundlage einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz nach dem Rütli-Schock schaffte es Zöllner dann zur Überraschung aller, das dreigliedrige Schulwesen innerhalb von nur zwei Jahren zu überwinden. Angesichts des Umfangs der Veränderungen – immerhin waren rund 100 Schulen direkt betroffen – gab es relativ wenig Reibungsverluste, was wohl auch der Tatsache zu verdanken ist, dass Zöllner seinen damaligen Hauptschulreferenten Siegfried Arnz mit der Reform betraute. Wenn es dennoch Probleme gab, dann lag es überwiegend an einigen wenigen Bildungsstadträten oder Schulleitern, die die Reform gern scheitern sehen wollten. Eine ungelöste Frage ist allerdings, ob es im Sinne der angepeilten sozialen Mischung ausreicht, dass ein Drittel der Plätze verlost wird. Ebenso schwelt weiterhin die – berechtigte – Angst, dass neue Restschulen entstehen, weil die Eltern bestimmte Schulen meiden. Dies ließe sich nur mit einer staatlich gelenkten Schülerzuteilung ändern. Und die will wohl nicht einmal die Linkspartei.

UNTERRICHTSAUSFALL

Das alte Ärgernis aus Elternsicht ist und bleibt ein Hauptthema. Besonders auffällig ist der Unterrichtsausfall immer im Mai, weil hier wegen der Prüfungen für das Abitur und den Mittleren Schulabschluss tagelang kein Unterricht stattfindet. Daran konnte der Schulsenator nichts ändern: Schon sein Vorgänger Klaus Böger (SPD) hatte den Schulen die Möglichkeit eröffnet, so zu verfahren, um die Akzeptanz für die damals neu eingeführten zentralen Prüfungen zu erhöhen. Da dieser Ausfall nicht in der Ausfallstatistik aufgeführt werden muss, machen manche Schulen auch ausgiebig davon Gebrauch. Viele Eltern fragen, warum in diese Zeit nicht Projekttage, Wandertage oder Schülerpraktika gelegt werden könnten, um den Ausfall einzudämmen. Darüber hinaus führen Erkrankungen der Lehrer, Fortbildungen und vieles andere dazu, dass rund zehn Prozent aller Unterrichtsstunden nicht regulär erteilt werden. Mithilfe von Vertretungskräften, Klassenzusammenlegungen und der Zweckentfremdung von Sprachförderstunden gelingt es den Schulen, den Großteil der Unterrichtsstunden irgendwie abzudecken, so dass „nur“ zwei Prozent der Stunden im Schnitt komplett ausfallen. Diese Zahl ist auch nicht angestiegen, als Zöllner den Schulen 2007 ihre festen Vertretungskräfte wegnahm und ihnen stattdessen Geld gab. Damit können sie selbst Vertretungskräfte wie pensionierte Lehrer, Lehramtsstudenten oder andere Fachleute einkaufen. Kaum ein Schulleiter möchte diese Flexibilität wieder missen. Allerdings würden sie darüber hinaus gern auch wieder eine feste Vertretungsreserve an der Schule haben.

SPRACHFÖRDERUNG

Eine verpflichtende Sprachförderung von drei Stunden pro Tag vor der Einschulung hatte schon Böger festgelegt. Zöllner machte aus der Pflicht 2007 ein Gesetz, um den Druck auf die Familien zu erhöhen. Jetzt hat er erneut nachgebessert: In seinem Qualitätspaket steht, dass von 2013/14 an aus den drei Stunden fünf Stunden werden sollen. Zudem sollen Eltern ein Bußgeld zahlen, wenn sie ihre Kinder trotz Sprachdefiziten nicht in die Kita bringen. Zöllner droht zudem mit dem Verlust des Kindergeldes, wenn in Berlin gemeldete Kinder bei Verwandten im Ausland leben und deshalb nicht an der Deutschförderung teilnehmen. Lehrer begrüßen das, weil sie andernfalls noch mehr Kinder in der ersten Klassen haben, die dem Unterricht nicht folgen können. Allerdings ist dieses Feld aus Sicht der Schulen nur ein Nebenkriegsschauplatz: Ihnen ist es wichtiger, mehr Personal für die Sprachförderung zu bekommen. Stattdessen hat Rot-Rot die Stellen für die Sprachförderung „gedeckelt“, was bedeutet, dass trotz steigender Einwandererzahlen die Sprachfördermittel stagnieren. An diesem alten Streitpunkt kam Zöllner aufgrund der Sparzwänge keinen Schritt weiter. Offenbar unbeachtet ließ er das Vorhaben der Koalition, für die Eltern Sprachangebote „in direkter Anbindung an Kita- Standorte“ vorzuhalten. Dieses Vorhaben wartet auf die nächste Landesregierung.

LEHRERARBEITSZEIT

Anders als seine Vorgänger wurde Zöllner nicht vom Senat gezwungen, die Pflichtstunden zu erhöhen. Stattdessen konnte er sogar eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung von 27 auf 26 Stunden für Sekundarschullehrer erreichen. Dennoch ist die Unzufriedenheit groß, weil die Lehrer heute wesentlich mehr arbeiten müssen als vor etwa zehn Jahren. Die Lehrergewerkschaft GEW peilt jetzt an, zumindest für die älteren Pädagogen eine Arbeitszeitermäßigung durchzusetzen. Schon nächste Woche folgt die nächste Demonstration in dieser Sache. Ein ungelöstes Problem ist zudem die gesamte Struktur der Lehrerarbeitszeit. Seit Jahren gibt es immer wieder Versuche, zumindest die Lehrer mit Korrekturfächern wie Deutsch zu entlasten. Ebenso wenig ausdiskutiert sind bislang die Forderungen von innovativen Schulleitern, eine Präsenzpflicht für Lehrer einzuführen und wegzukommen von der reinen Unterrichtsstundenzahl als Berechnungsgrundlage der Arbeitszeit. Diese Diskussion hat Zöllner zu Recht vertagt, um seine Strukturreform nicht noch weiter zu belasten.

BEHINDERTENINTEGRATION

Eigentlich wollte Zöllner schon weiter sein: Die sogenannte Inklusion stand fest auf seiner To-do-Liste. Dass daraus nichts wurde, hat zwei Gründe: Zum einen glaubten ihm die Parlamentarier zu Recht nicht, dass diese von der UN geforderte Reform kostenneutral zu haben ist. Zum anderen hätte es vor allem die frisch fusionierten und gegründeten Sekundarschulen überfordert, jetzt auch noch die großen Probleme zu meistern, die aus der Inklusion erwachsen. Dazu gehört, dass völlig unklar ist, wer die notwendigen Umbauten in den Grund- und Oberschulen bezahlen soll. Dass Jürgen Zöllner dies dennoch so schnell durchsetzen wollte, kann man getrost als Fehler verbuchen. Offenbar fürchtete er, dass ein Zögern in dieser Sache als mangelndes Engagement für die Schüler mit Behinderung ausgelegt werden könnte.

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