Schule mit sechs Jahren: Ende der Früheinschulung erhöht Druck auf Kitas
Die Früheinschulung wird abgeschafft - aber nur für die Kinder, die nach 2011 geboren wurden. Der Senat rechnet mit einem Bedarf von 5.000 zusätzlichen Kitaplätzen.
Schreibtisch kaufen? Ranzen aussuchen? Schulweg üben? Wer sein Kind im Sommer 2015 einschulen will, hat in den kommenden Monaten einiges zu tun. Allerdings gibt es auch Eltern, die unschlüssig sind, ob sie ihr Kind nicht noch ein Jahr in der Kita lassen sollten. Diese Eltern dürften sich seit vergangenem Freitag in ihren Zweifeln bestärkt fühlen, als die Koalition das Ende der Früheinschulung ab Sommer 2017 in Aussicht stellte. Jetzt fragen sich viele, was das konkret für jene Kinder bedeutet, die vor diesem Zeitpunkt 2017 schulpflichtig werden.
Das gilt für den Jahrgang 2009
Kinder, die zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember 2009 geboren wurden, müssen 2015 eingeschult werden. So will es das alte Schulgesetz, das allerdings im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr abgeschwächt wurde. Zuletzt genügte ein Kreuz auf dem Einschulungsbogen in Verbindung mit einem Gutachten der Kita und des Schularztes oder Schulpsychologen: Wenn Eltern die Rückstellung wollten, wurde sie in der Regel gewährt. Dieses „weiche“ Vorgehen führte zuletzt dazu, dass die Quote der Rückstellungen auf rund 16 Prozent – weit über 5.000 Kinder – stieg. Vor allem jene Kinder, die bei der Einschulung noch fünf waren, wurden von den Eltern in der Kita gelassen. Genau diese Altersgruppe ist es, die laut Senatsbeschluss vom Donnerstag künftig nicht mehr schulpflichtig sein soll.
Wenn Eltern vor dem Hintergrund dieses Beschlusses entscheiden, ihr Kind zurückstellen zu lassen, können sie das jetzt ohne Probleme noch tun: Laut Bildungsverwaltung sollten die Anträge aus organisatorischen Gründen bis 31. März gestellt und durch die genannten Gutachten ergänzt werden. Zudem müssen die Eltern beachten, dass sie ihre Kita frühstmöglich informieren sollten, damit ihr Kind seinen Kita-Platz behalten kann.
Das gilt für den Jahrgang 2010
Wenn das Kind erst 2016 schulpflichtig wird, ist das Verfahren noch einfacher: Dann sind keine Gutachten mehr nötig, wenn man das Kind zurückstellen lassen will. Die Früheinschulung gilt allerdings formal noch. Das bedeutet, dass alle Eltern, deren Kinder zwischen Januar und Dezember 2010 geboren wurden, wie bisher vom bezirklichen Schulamt aufgefordert werden, sich an einer Schule anzumelden. Es wird dann aber genügen, einen formlosen Antrag auf eine spätere Einschulung zu stellen. Auch bleibt es wichtig, der Kita mitzuteilen, dass das Kind seinen Platz weiter braucht.
Das gilt für den Jahrgang 2011
Für diese Kinder gilt das neue Gesetz, auf das die Koalition zusteuert. Das bedeutet, dass nur jene Kinder 2017 schulpflichtig werden, die vor dem 30. September 2011 geboren wurden. Die anderen müssen erst 2018 zur Schule. Allerdings wird es möglich sein, eine frühere Einschulung zu beantragen, wenn man davon überzeugt ist, dass das eigene Kind dem Schulalltag schon gewachsen ist. Diese Regelung gilt auch in einigen anderen Bundesländern, darunter im Nachbarland Brandenburg und in Bayern.
Eine "vorsichtige Schätzung" der Jugendverwaltung
Die Frage, wie viele Kitaplätze zusätzlich gebraucht werden, kann noch keiner verlässlich beantworten, weil sich nicht genau absehen lässt, wie viele Kitaplätze bis Sommer 2017 zusätzlich gebraucht werden. Dies hängt unter anderem davon ab, wie viele Anträge auf Rückstellung künftig gestellt werden: Die Erfahrung zeigt, dass auch dann diese Anträge gestellt werden, wenn die Schulpflicht später beginnt. Offenbar gibt es immer eine Gruppe von Eltern, die prinzipiell will, dass ihr Kind nicht zu den Jüngsten einer Klasse gehört: Sie stellen Rückstellungsanträge selbst dann, wenn die Schulpflicht verschoben wird.
Die Jugendverwaltung hat aufgrund des Senatsbeschlusses eine „vorsichtige Schätzung“ abgegeben, wonach durch die Veränderung des Einschulungszeitpunktes langfristig mit einem „Plus von etwa 5.000 Kita-Kindern“ zu rechnen ist. Dies teilte Verwaltungssprecher Ilja Koschembar am Montag auf Anfrage mit.
Keine Begeisterung beim Landeselternsprecher
Die Verschiebung der Schulpflicht war seit Jahren gefordert worden – zunächst von Kinderärzten und Lehrern, dann zunehmend auch von Eltern und den Grünen. Die CDU schloss sich 2014 dieser Forderung an. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) lockerte zwar die Möglichkeiten für eine Rückstellung, wollte aber die von ihrem Vorvorgänger Klaus Böger (SPD) eingeführte frühe Schulpflicht beibehalten. Auch SPD-Bildungspolitiker hielten bis Oktober 2014 gegen. Wortführer Lars Oberg sagte damals zu dem Vorstoß der CDU, "diese Symbolpolitik wird es mit uns nicht geben".
Seine Parteifreunde entschieden letztlich anders. „Für uns steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Wichtig ist, dass Aufstieg durch Bildung für alle Kinder möglich ist. Der Elternwillen wird gestärkt, die Eltern können jetzt selbst entscheiden, ob sie ihr Kind später einschulen wollen,“ lobte SPD-Fraktionschef Raed Saleh den Koalitionskompromiss ebenso wie Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey.
Die Sozialdemokratin hatte seit langem eine Reform gefordert, weil bei früher Schulpflicht „die Nachteile eindeutig überwogen“. Als Beispiel führte sie die gestiegene Zahl der Verweiler in der Schulanfangsphase an. Ebenso wie die GEW und Landeselternsprecher Norman Heise forderte sie, die Kita besser für den Übergang zur Schule zu rüsten. Heise bedauerte die Verschiebung der Schulpflicht: Aus seiner Sicht hätte es gereicht, den Eltern die volle Wahlfreiheit bei den Rückstellungen zu lassen, ohne die gesetzliche Schulpflicht hinauszuschieben.