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Ballkontrolle. Diese Übung schult Balance und Koordination.
© Thilo Rückeis

Sport in der Schule: Alle mal mitklettern

Bewegung ist für Kinder wichtig, aber im Sportunterricht kommt vieles zu kurz. Woran das liegt – und was sinnvoll wäre.

Der Sven hat jetzt ein bisschen Pech. Hat man ja nicht so gern, dass man sich gleich als Erster eine Übung ausdenken soll. Aber er fällt halt auf in der Gruppe, der Sven; nicht weil er graue Schlabberhosen über schwarzen Leggings trägt, sondern weil er so groß ist. „Der Sven“, sagt also Frank Brenner, „macht die erste Übung vor. Die anderen machen es nach.“ Die anderen sind zwölf Männer und Frauen, sie stehen im Kreis und starren auf den Sven. Der kickt einen Ball mit dem linken Fuß nach oben und fängt ihn mit der Hand. Zwölf weitere Bälle fliegen auch.

Die Nicole lässt den Ball um die Hüften kreisen, der Rest macht es nach. Die Kathleen lässt den Ball um die gespreizten Beine kreisen, also kreisen auch alle anderen Bälle. 13 Übungen insgesamt, alle mit Ball, alle verschieden, manchmal plumpsen die Bälle auf den Boden, das gehört dazu. Mittendrin steht Brenner und sagt: „Man kann mit so einer Koordination eine ganze Sportstunde füllen.“

Brenner duzt alle, er hat vorher höflich gefragt, ob er das darf, und natürlich haben alle ja gesagt. Sportlehrer sind da unkompliziert, und älter als Brenner ist auch keiner. Brenner ist 50, er hat als Reha- und Athletiktrainer schon für die Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg gearbeitet, er ist Fitnesstrainer beim Deutschen Fußball-Bund und hat beim Berliner Fußballverband unzählige Kinder- und Jugendtrainer ausgebildet. Er ist der richtige Mann für die Frage: Wie gestaltet man Sportunterricht unterhaltsam und abwechslungsreich? Wie beschäftigt man alle Kinder so, dass sie Spaß haben und sich zugleich motorisch entwickeln?

Wie vielseitig man einen Ball einsetzen kann

Deshalb steht er jetzt in der Sporthalle des Landessportbunds, deshalb schult er hier Sportlehrer, vorwiegend aus Grundschulen. Für die Pädagogen formal eine Fortbildung, in Wirklichkeit aber eine Zeitreise in ihre Vergangenheit. „Die Übungen haben die Lehrer irgendwann mal gelernt, aber dann oft wieder vergessen“, sagt Brenner. Also bringt er ihnen wieder bei, wie einfach Kinder zu beschäftigen sind, wie vielseitig man einen Ball einsetzen kann und zugleich Orientierungsvermögen und Körperkoordination schulen kann.

Brenner hat selbst Sport auf Lehramt studiert, aber er hat nie etwas vergessen. Kreativität im Sport ist sein Alltag. Aber dann stößt er auf einen anderen Alltag, den jenes Sportlehrers zum Beispiel, der ihn mal treuherzig fragte: „Gib mir mal Tipps, was ich mit einem Medizinball machen kann?“ Er hätte Brenner auch fragen können, ob er gerne Pizza mit Sahne isst. „Bist du irre?“, fauchte Brenner, eine Antwort wie ein Stromstoß.

Medizinball? Bei Kindern? In die Ecke mit dem Ding, viel zu schwer. „Mach Übungen mit dem eigenen Körpergewicht“, empfahl Brenner. Klettern zum Beispiel. Seile hoch, Stangen hoch. „Das gehört zu den besten Kraftübungen.“

Die Rolle rückwärts muss man lernen

Brenner sitzt jetzt in einem Cafe, vor sich ein Glas Milch, er skizziert, wie guter Sportunterricht aussehen soll. Trampolinspringen zum Beispiel. „Das fördert das Gleichgewichtsgefühl in der Luft.“ Oder die Rolle rückwärts. Eine banale Übung, im Alltag kann sie entscheidend sein. „Es schult die Koordination, falls man bei einem Unfall rückwärts hinfällt.“

Oder Rauf- und Schiebespiele. Einer klemmt sich den Ball an den Körper, liegt auf dem Boden, der Partner muss versuchen, den Ball rausziehen. Alles erlaubt außer kratzen, beißen, spucken. „Das bringt alles: Kraft, Geschicklichkeit, Koordination, die Kinder verlieren Berührungsängste“, sagt Brenner. „Was man in jungen Jahren nicht lernt, kann man später nicht mehr aufholen.“ Wer motorisch geschult ist, hat seinen Körper im Griff, wenn die U-Bahn ruckartig anfährt oder bremst. Wer das nicht kann, rudert mit den Händen. Die Rolle rückwärts muss man lernen, die können Kinder nicht automatisch. „Dafür gibt es spezielle Übungen, die aber oft gar nicht eingesetzt werden“, sagt Brenner.

Manche Eltern sind überängstlich

Und dann gibt es noch ein ganz anderes Problem: überängstliche Eltern. Brenner hört es immer wieder, an den Schulen, in seinen Trainer-Lehrgängen, wenn Sportlehrer im Unterricht sitzen. Der entscheidende Satz lautet: „Ich würde dies ja gerne machen, aber es gibt Eltern, die dagegen sind.“ Es gebe keine formellen Verbote von Übungen, das sagt Brenner auch, „aber es gibt bei Lehrern dieses Denken: Das mache ich nicht, sonst gibt es Ärger mit Eltern.“ Es gibt Eltern, die sind dagegen, dass die Kinder barfuß in der Turnhalle spielen. Das Kind könnte sich ja einen Fußpilz einfangen. Es gibt Eltern, die sind gegen das Klettern an Seilen und Stangen. Die Kinder könnten ja runterfallen. Es gibt Eltern, die sind dagegen, dass ein Kind vom Trampolin abspringt und einen Kasten überquert. Es könnte sich ja verletzen. Auch das Kreisen des Kopfes, für Brenner „aus athletischer Sicht eine gute Übung – selten im Sportprogramm. „Da nützt sich die Halswirbelsäule ab“, laute die ängstliche Einschätzung von Eltern.

Solche Geschichten erzählen Sportlehrer. Und Brenner schlägt fassungslos die Hände zusammen. „Es lässt doch kein Lehrer ein Kind fünf Stunden lang den Kopf drehen. Das wird natürlich moderat gemacht, dann ist es gut für die Beweglichkeit.“ Und ein Sportlehrer „steht auch nicht vor dem Seil und sagt dem Schüler oben: ,Jetzt lässt du dich plumpsen“.

Kinder müssen Erfahrungen machen sie müssen ihren Körper kennenlernen, sie brauchen Erfolgserlebnisse, weil sie etwas geschafft haben. Das ist Brenners Credo. Alltagsweisheiten muss er verkaufen wie eine sensationelle Entdeckung. „Wenn Kindern suggeriert wird, ob von Eltern oder von Lehrern: ,Pass auf, es kann etwas passieren’, erst dann wird es gefährlich.“

In den Turnhallen fehlt das Material

Dazu kommen noch die anderen Probleme. Diana Scharke ist auch im Kurs von Brenner an der Landessportschule, eine schlanke, blonde Frau, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, Sportlehrerin an der Christoph-Földerich-Grundschule in Spandau. Die Matten in ihrer Turnhalle sind schwer. Zu schwer für Erstklässler. „Die können die Matten gar nicht tragen. Also fällt das Bodenturnen weg.“ Und die Linien auf dem Hallenboden sind so verblichen, dass sie keiner mehr erkennen kann. Wie soll sie da richtig Völkerball spielen? Oder die Kinder im Kreis versammeln, wenn kein Kreis erkennbar ist. „Bis die Kinder dort sitzen, ist Chaos.“

Kati Dräsecke, Sportlehrerin in der Gustav-Falke-Grundschule in Mitte, auch schlank, auch durchtrainiert, auch die blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, auch in Brenners Kurs, würde mit ihrer fünften und sechsten Klasse gerne Handball spielen. Pech bloß, dass es zu wenig Handbälle gibt. „Mit Medizinbällen kann ich aufwarten.“ Lieber nicht, Brenner ist in der Nähe, bei Medizinbällen wird er unruhig. Er zeigt doch, wie einfach es ist, Kinder bei Laune zu halten. Einer seiner Ratschläge: „Nicht lange auf die Kinder einquatschen. Gleich loslegen. Kinder wollen sich bewegen.“

Was im Lehrplan steht

Sport in der Schule: Was im Lehrplan steht

Sport ist ab der ersten Klasse Pflichtunterricht. Von der Grundschule und bis zur zehnten Klasse sind jeweils drei Stunden Sportunterricht pro Woche vorgeschrieben. Grundkurse in der Oberstufe sind zweistündig. In der dritten Klasse haben die Schüler Schwimmunterricht. Im neuen, ab Schuljahr 2017/18 gültigen Rahmenlehrplan für die Klassen 1 bis 10 werden Unterrichtsinhalte folgenden Themen zugeordnet: Laufen, Springen, Werfen, Stoßen; Spielen; Bewegen an Geräten; Kämpfen nach Regeln; Bewegungsfolgen gestalten und darstellen; Bewegen im Wasser; Fahren, Rollen, Gleiten.

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