Hochbegabte Kinder: Ahmad und die Kernfusion
Bei sozial benachteiligten Kindern wird Hochbegabung leicht übersehen. Ein Mentorenprogramm sucht nun gezielt Erwachsene, die die Spezialinteressen der Kinder teilen. Aber für neue Tandems und mehr Betreuung fehlt noch das Geld.
Zum Beispiel der Witz mit der Frau, die vor Übergewicht links und rechts gleichzeitig aus dem Bett fällt. Ahmad von der Grundschule in der Köllnischen Heide hat ihn als Neunjähriger von seinen Mitschülern gehört. Und er muss immer noch kichern – leise in sich hinein – wenn er ihn erzählt. „Aber könnte das nicht auch anders gehen?“, hat sich Ahmad gefragt. Wenn sich der Körper der Frau nicht nach den Gesetzen der klassischen Physik verhalten würde, sondern nach denen der Quantenmechanik, wonach ein Teilchen auch an mehreren Orten gleichzeitig sein kann?
Es gibt Kinder, die hochbegabt sind, aber wegen ihrer sozialen Situation ein hohes Risiko haben, nicht entsprechend gefördert oder überhaupt als solche erkannt zu werden: Kinder mit Migrationshintergrund, aus Haushalten mit geringem Einkommen, Kinder mit Behinderung. Seit vier Jahren bringt das Fibonacci-Mentorenprogramm deshalb Kinder wie Ahmad Hafian mit Erwachsenen zusammen, die haargenau ihre Spezialinteressen teilen und die sie fachlich, aber auch in ihrer psychosozialen Entwicklung fördern. Ein Junge aus Kreuzberg traf so auf einen Game-Designer, eine freischaffende Künstlerin widmet sich mit einer Elfjährigen der chinesischen Tuschemalerei, ein Zehnjähriger mit besonderem Interesse für Fossilien bekam einen Paläontologen als Mentor. Schon 15 solcher Tandems bestehen derzeit. Benannt ist das Programm nach einem Rechenmeister aus dem Mittelalter, der mit einer Folge unendlich wachsender Zahlen in die Mathematik einging.
Gespräche über Meteoriten und Kernfusion
Ahmad trifft sich seit mittlerweile zwei Jahren fast jede Woche mit Felix Lühning, dem Leiter der Archenhold-Sternwarte im Plänterwald. Wenn die Öffnungszeiten vorbei sind, erkunden sie gemeinsam das Haus mit dem längsten Linsenfernrohr der Welt, mit dem eisernen Meteoriten, der vor 50 000 Jahren in Arizona aufschlug, oder das kleine Planetarium.
„Ich stelle viele Fragen“, sagt Ahmad. Dann sprechen die beiden über Kernfusion und Kernspaltung, bauen aus PET- Flaschen Wasserraketen oder einen Wasserdynamo. Seit er vier Jahre alt war, interessierte sich Ahmad für Sterne. In der Schule hatte er bislang kaum Gelegenheit, Antworten auf seine vielen Fragen zu bekommen. „Kinder, die sich früh für sehr spezielle Themen interessieren, müssen in der Schule lange warten“, sagt Dagmar Schilling, die das Mentorenprogramm initiiert hat und pädagogisch betreut. Mit ihren vielen, sehr spezialisierten Fragen stoßen die Familien von hochbegabten Kindern häufig schnell an die Grenzen ihres eigenen Wissens, sagt Schilling. Die Diplom-Pädagogin spricht dabei auch aus eigener Erfahrung als Mutter eines hochbegabten Sohns.
Hochbegabte Jungs fallen häufig aggressiv auf
In der Schule können die Kinder wegen ihrer ständigen Nachfragen von Lehrern und Klassenkameraden als nervig wahrgenommen werden – bis hin zum Mobbing. Bleibt die Hochbegabung unerkannt, nehmen die Leistungen der Schüler häufig insgesamt ab, Jungs fallen dann auch als aggressiv auf. „Es gibt einen hohen Bedarf und einen hohen Leidensdruck“, sagt Schilling. Für das Mentoring werden Schüler von ihren Lehrern oder Sozialpädagogen empfohlen. Das Programm kooperiert mit dem Albrecht-Dürer-Gymnasium und der Peter-Petersen Schule in Neukölln, mit Schülerklubs sowie mit Fördervereinen für hochbegabte Kinder.
Ahmads Mutter Rouida Abbo hatte von sich aus nach einem Förderprogramm für ihren Sohn gesucht. Sie studierte zwar selbst Biochemie in Syrien, stößt bei den astronomischen Fragen des Jungen aber an Grenzen. Gegenüber anderen Patenschaftsprogrammen zeichnet sich das Fibonacci-Mentoring durch die genaue Auswahl der Erwachsenen aus. Ausgangspunkt ist jeweils das Kind mit seinem Spezialinteresse. Dazu passend sucht Schilling nach geeigneten Mentoren. Nach einem oder mehreren Probetreffen werden gemeinsame Ziele für ein Jahr vereinbart. Häufig verlängert sich das Mentoring wie bei Ahmad auf beiderseitigen Wunsch, erzählt die Initiatorin.
Keine Finanzierung für die Betreuung
Die Mentoren, von denen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis erwartet wird, werden begleitet und beraten. Derzeit gibt es aber für diese Betreuung und auch für die Vermittlung neuer Tandems keine Finanzierung. Die langjährige Förderung durch den Lions-Club Dahlem ist planmäßig ausgelaufen, eine weitere Förderung ist erst für das späte Frühjahr 2015 in Sicht. „Die Warteliste ist lang“, sagt Dagmar Schilling.
Auch Felix Lühning beobachtet als Leiter der Archenhold-Sternwarte, die regelmäßig Schulklassen zu Besuch hat, häufig Kinder, die viele aufgeweckte Fragen stellen, aber in ihren Interessen wenig gefördert scheinen. „Andere Welten eröffnen“, so beschreibt er seine Aufgabe als Mentor. Auch zu einem Vortrag mit Wissenschaftlern über die erste Kometenlandung oder zu einem Konzert im Musikinstrumentenmuseum könne er den Jungen gut mitnehmen.
Manchmal habe auch er Sorge, sagt Lühning, dass ihm die Ideen ausgehen, was er dem wissbegierigen Ahmad alles anbieten kann. Aber dann, glücklicherweise, komme Ahmad ja mit seinen Fragen.
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